Thema: Zulassung des Alzheimer-Medikaments Aducanumab in den USA
Expertenmeinungen zur Zulassung des Alzheimer-Medikaments Aducanumab in den USA
17. Juni 2021
Kommentar zur Zulassung von Aducanumab (Aduhelm®) zur Behandlung der frühen Alzheimer-Krankheit
(Stellungnahme des Deutschen Netzwerkes Gedächtnisambulanzen)
8. Juni 2021
Gestern am 7.6.2021 hat die US-Food and Drug Administration (FDA) in einer weltweit mit Spannung erwarteten Entscheidung Aducanumab (Aduhelm®) zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit zugelassen.
Initial war im August 2020 ein reguläres Zulassungsverfahren des Medikaments durch die FDA formal zur Begutachtung angenommen worden. Im November hatte der unabhängige beratende Ausschuss der FDA mit Mehrheit noch gegen eine Zulassung gestimmt und erklärt, dass die vorgelegten Daten der vorliegenden Studien hinsichtlich der klinischen Wirksamkeit nicht überzeugend genug seien. Danach kam die FDA jedoch zu dem Ergebnis, dass der Zulassungsantrag auch die Kriterien für ein beschleunigtes Zulassungsverfahren erfüllt. In einem beschleunigten Zulassungsverfahren wird nicht mehr zwingend der klinische Wirksamkeitsnachweis gefordert; die Zulassung ist in diesem Verfahren auch auf Basis von Biomarker-Daten möglich. Mit dem eindeutig erbrachten Nachweis der Reduktion von Amyloid-Ablagerungen sieht die FDA dieses Kriterium als erfüllt an und vergab daher die Zulassung. Die Hersteller-Firma Biogen wurde gleichzeitig aufgefordert, eine zusätzliche klinische Studie (Phase IV) nach der Zulassung durchzuführen, um den klinischen Nutzen des Medikaments zu bestätigen.
Aducanumab (Aduhelm®) ist ein erstes neuartiges Medikament aus der Gruppe der Amyloid-Antikörper, das für die Alzheimer-Krankheit zugelassen wurde. Es ist die erste Therapie, die auf die grundlegende Pathophysiologie der Krankheit abzielt und gehört zur Gruppe der monoklonalen Antikörper gegen Amyloid-Eiweiß, welches sich im Gehirn von Alzheimer-Patienten ablagert und dort zu Plaques verklumpt.
Eine erste kleine Phase-1-Studie zur Untersuchung der Sicherheit von Aducanumab zeigte bereits eine deutliche Amyloid-Reduktion und die klinischen Daten deuteten darauf hin, dass dies den kognitiven Verfall verlangsamen könnte. Die FDA erlaubte Biogen deshalb, die sonst üblichen Phase-2-Studien zu überspringen und gleich zwei Phase-3-Studien mit jeweils etwa 1640 Patienten durchzuführen. Diese Studien wurden im März 2019 überraschend vorzeitig gestoppt, als das unabhängige Datenüberwachungs-Komitee anhand einer Zwischenauswertung entschied, dass die Wahrscheinlichkeit zu groß sei, dass Aducanumab nicht wirken könnte. Folglich konnten 37 Prozent der Teilnehmer die 78-wöchige Studiendauer nicht abschließen. Im Oktober gab Biogen jedoch bekannt, dass nach einer erneuten Auswertung doch eine Wirksamkeit gegeben sei. Diese Schlussfolgerung basierte auf Daten von zusätzlich 318 Teilnehmern, die noch vor dem Abbruch der Studien, aber nach dem Cut-off-Datum für die Zwischenauswertung erhoben wurden. In einer der zwei Studien verlangsamte die höchste Dosis den Schweregrad der Einschränkungen signifikant um 22 Prozent. Eine niedrigere Dosis in dieser Studie und beide Dosierungen in der zweiten Studie zeigten keine statistisch signifikante Überlegenheit gegenüber Placebo. Nur eine besondere Subgruppen-Analyse in der ansonsten negativen zweiten Studie ergab Hinweise auf Wirksamkeit.
Während im bisherigen Verfahren die Frage, ob der Nachweis einer klinischen Wirksamkeit gegeben sei in den Mittelpunkt gestellt wurde, basiert die jetzt erteilte Zulassung auf dem Nachweis des Erreichens des Surrogat-Endpunktes „Reduktion von Amyloid-Beta-Plaques im Gehirn“. Dies bildet die Grundlage der beschleunigten Zulassung von Aducanumab in den USA. Die Plaques-Reduktion wurde mithilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) quantifiziert.
Die Fachinformation für Aducanumab enthält einen Warnhinweis für sogenannte Amyloid-bedingte Schädigungen (ARIA), welche in der Bildgebung mittels Magnet-Resonanz-Tomographie dargestellt werden können, und die sich am häufigsten als vorübergehende Schwellung oder fokale Mikroblutung in kleinen Bereichen des Gehirns zeigen und meist ohne Symptome auftreten. Die häufigsten Nebenwirkungen von Aduhelm waren diese ARIA und damit einhergehende Kopfschmerzen, und Verwirrtheit/Delir/veränderter Geisteszustand/Desorientierung sowie Sturz und Durchfälle. Seltene Nebenwirkungen von Aducanumab sind Überempfindlichkeitsreaktionen, einschließlich Angioödem und Urtikaria.
Das Deutsche Netzwerk Gedächtnisambulanzen möchte herausstellen, dass diese von der FDA zugelassene Behandlung zunächst nur für die USA gilt. Wichtig ist auch, dass das Fortschreiten von geistigem Leistungsabbau nur in einer begrenzten Gruppe von Patienten verlangsamt wird, nämlich bei leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI) aufgrund der Alzheimer-Krankheit oder Alzheimer-Demenz im Frühstadium. Aducanumab stoppt den kognitiven Abbau nicht vollständig, eine langfristige Besserung ist meist nicht zu erwarten. Wir möchten auch betonen, dass es – wie bei allen medikamentösen Therapien – zu variablen Behandlungseffekten kommen kann.
Weitere Forschung ist notwendig, um besser zu verstehen, welche Patienten am besten ansprechen und dann von einer Langzeitbehandlung profitieren und welche Nebenwirkungen in der Langzeitanwendung auftreten können. Hierfür sind, neben der von der FDA geforderten Phase IV Studie, auch sogenannte Registerstudien von großer Bedeutung, um den klinischen Nutzen zu belegen. Im ungünstigsten Fall könnte Aducanumab später noch als nicht wirksam bewertet werden, weil die Zulassung nach dem beschleunigten Verfahren gewährt und von den Ergebnissen einer zusätzlichen Studie abhängig gemacht wurde.
Der beschleunigte Zulassungsweg, der von der FDA für Aducanumab gewählt wurde, ist gedacht für Arzneimittel gegen schwere Krankheiten, von denen erwartet wird, dass sie einen bedeutsamen Vorteil gegenüber der verfügbaren Therapie besitzen, auch wenn eine Restunsicherheit hinsichtlich des endgültigen klinischen Nutzens des Arzneimittels besteht. Um über diesen Weg zugelassen zu werden, muss es substanzielle Beweise für die Wirksamkeit des Medikaments auf einen „Surrogat-Endpunkt“ geben der die zugrunde liegende Krankheitspathologie widerspiegelt. In der Regel handelt es sich um einen Biomarker, in diesem Fall Amyloid bzw. dessen Ablagerung. Im beschleunigten Verfahren muss nicht unbedingt nachgewiesen werden, dass der Effekt auf diesen Surrogat-Endpunkt einen klinischen Nutzen nach sich zieht.
Die Europäische Zulassungsbehörde entscheidet sich unabhängig von der FDA, weshalb eine Zulassung nicht sicher vorausgesagt werden kann. So sehr auch Patienten und Ärzte seit Jahren auf ein neues und besseres Medikament gegen die Alzheimer-Krankheit hoffen, kann derzeit nicht abgeschätzt werden, ob Aducanumab auch vor einer Europäischen Zulassung in Deutschland verfügbar gemacht werden kann. Notfallzulassungen ohne eindeutigen klinischen Wirksamkeitsnachweis sind generell kritisch zu bewerten. Auch gibt es eine Reihe offener Fragen beim Einsatz in Deutschland und Europa zu den Kosten, den Erwartungen der Patienten, dem noch ausstehenden eindeutigen klinischen Wirksamkeitsbeleg und der erforderlichen Sicherheits-Untersuchungen.
Obwohl dieses Medikament also keine Heilung bewirkt und auch noch mit einer gewissen Unsicherheit behaftet ist, ist diese erste Behandlung gegen die Pathophysiologie und die Symptome der Alzheimer-Krankheit von großer klinischer Relevanz. Das Voranschreiten des kognitiven Abbaus bei Menschen im Stadium der leichten kognitiven Beeinträchtigung (MCI) aufgrund Alzheimer-Krankheit oder Alzheimer-Demenz im Frühstadium zu verlangsamen ist ein großer Fortschritt und die bekannten Nebenwirkungen erscheinen tolerierbar. Neben Aducanumab befinden sich aktuell weitere gegen Amyloid gerichtete Antikörper in Zulassungsstudien (Gantenerumab, Lecanemab, Donanemab), von denen auf Grund ihrer Eigenschaften eine vergleichbare Wirkung erwartet werden kann. Es ist zu hoffen, dass der jetzt zumindest in den USA möglich gewordene Einsatz von Aducanumab einen Durchbruch für weitere Therapien gegen die Alzheimer Krankheit darstellt und mehr Pharmafirmen dazu veranlasst, Forschungsaktivitäten zur Entwicklung von Therapien gegen neurodegenerative Erkrankungen wieder aufzunehmen.
FDA Mitteilungen: