Persönlichkeiten der Geschichte der LMU Medizin
Zum 550-jähriges Jubiläum der Medizinischen Fakultät der LMU München stellen wir Ihnen in den kommenden Monaten - zusammen mit Prof. Wolfgang Locher vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin sowie weiteren Experten - einige der herausragenden Persönlichkeiten der LMU Medizin vor.
Pioniere der frühen Münchner Zeit
Johann Nepomuk von Ringseis (1785 – 1880)
Ringseis hat von 1805 bis 1812 an der Universität Landshut Medizin studiert. Nicht zuletzt auf seine Initiative geht es zurück, dass die Ludwigs-Maximilians-Universität heute in München beheimatet ist.
Dem am 16. Mai 1785 im oberpfälzischen Schwarzhofen geborenen Arzt, Internisten, Lehrstuhlinhaber und Medizinalreferent im Innenministerium (1826-1852) Johann Nepomuk von Ringseis war ein langes Leben beschert: Als er 1871 in den Ruhestand ging, hatte Ringseis noch neun Jahre Zeit, seine umfassenden „Erinnerungen“ zu niederzuschreiben, bis er am 22. Mai 1880 im Alter von 95 Jahren in München starb. Insgesamt diente Ringseis vier Königen und bestimmte über 40 Jahre als oberster Beamter das bayerische Gesundheitswesen. Damit gehörte Johann Nepomuk von Ringseis, der ab 1834 durch die Verleihung des Verdienstordens der Bayerischen Krone in den Adelsstand gehoben wurde, zu den einflussreichsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Vor allem geht es nicht zuletzt auf Ringseis‘ Initiative zurück, dass die Ludwigs-Maximilians-Universität heute in München beheimatet ist.
Als Leibarzt von Ludwig I. (den er auf drei Italienfahrten begleitete) war Johann Ringseis bereits dessen enger Vertrauter, bevor dieser 1825 zum bayerischen König inthronisiert wurde. Schon wenige Monate später veranlasste der König auf Ringseis‘ Drängen, die Ludwig-Maximilians-Universität von Landshut nach München zu verlegen. Ringseis selbst hatte von 1805 bis 1812 an der Universität Landshut bei Andreas Röschlaub (1768-1835) Medizin studiert und sah in der Translokation zugleich die Möglichkeit, einige Organisationsstatuten zu ändern. Das wichtigste Ziel aber war: Die Münchner Universität sollte künftig mit den renommierten Universitäten in Berlin, Bonn oder Göttingen konkurrieren können.
Der universitäre Betrieb in München startete im Wintersemester 1826/27. Zeitgleich wurde Ringseis zum ordentlichen Professor der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität berufen, genau wie sein Lehrer Andreas Röschlaub (1768-1835), der ebenfalls nach München wechselte.
Nach der Verlegung nutzte die Universität das Allgemeine Krankenhaus (mit 620 Betten) als Lehrkrankenhaus. Damit wurde das neuste und modernste Krankenhaus der Stadt nun gleichzeitig städtisches Krankenhaus und klinische Einrichtung der Universität. Johann von Ringseis leitete eine der beiden medizinischen Abteilungen, die I. Medizinischen Klinik, von 1826 bis 1887. Auch den anderen Abteilungen des Krankenhauses (neben einer weiteren medizinischen Abteilung die Chirurgische Klinik und die „Blatternstation“) standen Lehrstuhlinhaber vor. Ab 1832 übernahmen die Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul die Pflege der Kranken des Allgemeinen Krankenhauses – Ringseis hatte dem König die Schwestern wärmstens empfohlen.
Obwohl Ringseis nicht nur als Oberarzt, sondern zeitgleich auch als medizinischer Referent im Innenministerium tätig war, war ihm seine Lehrtätigkeit an der Universität sehr wichtig, später amtierte Ringseis zudem zweimal als Rektor (1835 und 1855).
Ringseis vertrat zeit seines Lebens eine zutiefst religiös geprägte Medizin („romantischen“ Medizin), die z.B. Sakramente und Gebete als hilfreiche Therapiemaßnahmen ansah. Später setzte Ringseis sich aber auch für die Etablierung des 1819 erfundenen Stethoskops im klinischen Alltag ein.
Nach Johann Nepomuk von Ringseis ist in München Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt die „Ringseisstraße“ benannt.
August von Hauner (1811-1884)
August von Hauner leistete für die Kinderheilkunde Pionierarbeit. Sein Kinderspital war aber auch eine Informationsstelle für Mütter über die richtige Ernährung Pflege und Erziehung ihrer Kinder.
Als Napoleon Michael Simon Hauner am 28. Oktober 1811 in Neumarkt an der Rott das Licht der Welt erblickte, konnten seine Eltern, der Rentbeamte Korbinian Hauner und seine Frau Anna, nicht ahnen, dass ihr Sohn lieber auf einen anderen Vornamen getauft worden wäre. Napoleon fand sich denn auch nicht mit der elterlichen Namenswahl ab, sondern sein Studium der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität (und an der Universität Wien) trat er als August Hauner an – und dabei blieb es.
Obwohl seine Doktorarbeit das „Kindbettfieber“ zum Thema hatte und er im Juli 1835 an der Universität München zum Doktor nicht nur der Medizin und Chirurgie, sondern auch der Geburtshilfe promovierte, ließ sich Hauner nach zwei Jahren praktischer Ausbildungszeit 1837 zunächst als praktischer Arzt in Thann und etwas später in Murnau am Staffelsee nieder.
Eigentlich fühlte er sich als Landarzt sehr wohl, doch reichten die Praxiseinnahmen hinten und vorne nicht aus, um seine Familie finanziell ausreichend abzusichern. Im Mai 1838 hatte Hauner endlich seine Verlobte Agatha Maria Kreszenz Gattinger zum Traualtar führen können, knapp neun Monate später war die erste Tochter geboren worden. Als Hauner 1845 mit seiner Familie nach München übersiedelte, um in der Haupt- und Residenzstadt des bayerischen Königreichs eine Stelle als Armenarzt anzutreten, war seine Familie bereits um einige Köpfe mehr angewachsen. Hauner und seine Frau mussten jedoch hilflos mitansehen, wie acht ihrer 13 Kinder noch als Baby starben – eine extrem bedrückende Erfahrung, die Hauner entscheidend prägte. Und auch, womit er tagtäglich im Armenviertel der St. Anna Vorstadt konfrontiert war, dass nämlich viele Kinder starben, die mit einer etwas besseren Versorgung hätten gerettet werden können, erschütterte Hauner zutiefst.
Aber es spornte ihn auch an, fast seine gesamten Ersparnisse zu investieren, um am 1. August 1846 das erste Kinderspital in München zu eröffnen – in vier Zimmern einer angemieteten Wohnung in der Sonnenstraße 27. Dabei sah er sein Kinderspital nicht nur als Ort für die Behandlung kranker Kinder, sondern auch als Informationsstelle für Mütter über die richtige Ernährung, Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Doch leistete er nicht nur für Kinderheilkunde, sondern auch für die Kinderchirurgie Pionierarbeit. Hauners Grundverständnis: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, sondern bedürfen einer auf sie zugeschnittene medizinische Betreuung, von der Prävention bis hin zur (operativen) Therapie.
Hauners moderner Ansatz überzeugte – zumindest einflussreiche Persönlichkeiten wie Königin Therese, die Gattin König Ludwigs I., unter deren Protektorat sich andere geldgebenden Förderer zu einem Verein zusammentaten, der fortan als juristischer Träger des Kinderspitals auftrat. Mithilfe des Fördervereins konnte die Kinderklinik schon drei Jahre später in das deutlich größere Haus Jägerstraße 9 verlegt werden. Prunkstück des Kinderspitals: ein großes Ordinationszimmer im Erdgeschoss, in dem Hauner ab 1851 Vorlesungen und klinischen Unterricht für Studenten abhielt.
Die Aufgabe, über Kinderkrankheiten zu lehren, machte Hauner großen Spaß. Doch so sehr er sich auch der Unterstützung durch den Förderverein für seine praktische Tätigkeit als Kinderarzt und einer immer größeren Beliebtheit in der Bevölkerung gewiss sein konnte – was seine wissenschaftlichen Ambitionen betraf, wehte ihm seitens der medizinischen Fakultät ein kühler Wind entgegen. Zwar hatte man ihm gestattet, sich 1848 an der LMU für das Fach Kinderheilkunde zu habilitieren, sodass Hauner 1850 zum Privatdozenten und 1858 zum Honorarprofessor – allerdings ohne jeglichen Anspruch auf ein Gehalt – berufen werden konnte.
Eine ordentliche Professur blieb August Hauner jedoch verwehrt. Der Grund: Hauner habe seine medizinischen Fähigkeiten weder am Seziertisch noch in einem Labor unter Beweis gestellt – und das Krankenbett allein ließe lediglich Beobachtungen, nicht aber wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu. Ein Vorwurf, der schwer wog und der noch dazu von niemand Geringerem als von Johann Nepomuk von Ringseis (1785-1880) formuliert worden war, der zu dieser Zeit (Ende 1850) nicht nur ein anerkannter Professor an der Medizinischen Fakultät war, sondern auch schon als Obermedizinalrat und Medizinalreferent im Innenministerium seinen Dienst verrichtete. Hinzu kam, dass weder die medizinische Fakultät noch das dafür zuständige Ministerium die Errichtung einer eigenen Professur für Kinderkrankheiten für notwendig hielt. Und so blieb es dabei: Hauner durfte interessierte Studenten zwar zu „tüchtigen Pädiatern“ ausbilden, aber nicht im Hörsaal und auch nicht für eine angemessene Vergütung.
Die Verweigerung eines bezahlten Lehramts im Universitätsbetrieb hat Hauner tief enttäuscht. Und so verwundert es nicht, dass der Eröffnungsfeier des neuen Spitalbaus in der Lindwurmstraße 4 am 15. Mai 1882 zwar viele gesellschaftliche Würdenträger beiwohnten, jedoch kein Vertreter der Universität – sie waren von Hauner nicht eingeladen worden. Seine Gäste begrüßte er als August „von“ Hauner, da sein Wirken ein Jahr zuvor mit einem Adelstitel belohnt worden war.
August von Hauner überlebte sein Lebenswerk leider nur um zwei Jahre und starb nach langer Krankheit im Juni 1884. Doch bis heute gehört das Dr. von Haunersche Kinderspital zu den größten und renommiertesten Kliniken in ganz Deutschland, die ausschließlich Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr auf höchstem medizinischen Niveau gemäß den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen behandelt.
Max von Pettenkofer (1818-1901)
Er studierte nicht nur Chemie, sondern auch Pharmazie und Medizin - und gründete das erste Hygiene-Institut weltweit. Dank Max von Pettenkofer wurde München Ende des 19. Jahrhunderts zur saubersten Stadt Deutschlands.
Pettenkofer wurde am 3. Dezember 1818 in Lichtenheim an der Donau als Sohn einer Bauernfamilie geboren. Sein Onkel, Hofapotheker Franz Pettenkofer in München, erkannte früh seine Talente und sorgte für eine umfangreiche Bildung.
Max studierte Pharmazie, zerstritt sich aber mit seinem Onkel und wollte fortan Schauspieler werden; das Theater war seine andere große Leidenschaft. Sehr zum Missfallen seiner Cousine, in die er sich verliebt hatte. Die widerherum wollte keinen Mann heiraten, der nicht einem ordentlichen Beruf nachgeht.
Daher versöhnte sich Max Pettenkofer wieder mit seinem Onkel und setzte sein Pharmazie-Studium fort, musste aber auch noch Medizin studieren, weil ihm sein Onkel eine Rückkehr in die Apotheke verweigerte. Kurzerhand absolvierte er zur Pharmazie und Medizin auch noch ein Chemie-Studium. Die Grundlage für seine spätere, herausragende wissenschaftliche Karriere war gelegt und er konnte nun zudem seine Cousine zur Frau nehmen.
Dank seiner Arbeit wurde München Ende des 19. Jahrhundert zur saubersten Stadt Deutschlands. Auf ihn gehen die Kanalisation für die Abwasserentsorgung, eine saubere Trinkwasserversorgung und der Bau eines Schlachthofes zurück.
Für seine Verdienste erhielt er den vererbbaren Adelstitel „von“ und die Bezeichnung Exzellenz. Er war Rektor der LMU und Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Einer seiner größten wissenschaftlichen Konkurrenten war Robert Koch. Mit ihm stritt er sich über die Ursachen der Cholera, die Pettenkofer durch die Hygiene-Maßnahmen zurückgedrängt hatte. Allerdings unter der falschen Annahme, dass der schlechte und verschmutzte Boden krankmachende Miasmen hervorbringen würde. Die Behauptung Kochs, dass die Cholera-Bakterien die Krankheit verursachen, lehnt er ab. Diese Fehleinschätzung schmälert jedoch die Leistung für die Wissenschaften und die Hygiene kaum.
Im Alter von 82 Jahren beendete Max von Pettenkofer sein Leben mit einem Kopfschuss, nachdem ihm wohl der Tod seiner geliebten Frau wie auch sein nachlassender Geist zusehends die Freude am Leben genommen hatte.
Max von Pettenkofer (1818–1901) hatte unter anderem im Labor des Chemikers Justus von Liebig gearbeitet, ehe er 1847 zum Professor am neu geschaffenen Lehrstuhl für Medizinische Chemie an der LMU ernannt wurde.
Während seiner Amtszeit als Münchener Universitätsrektor 1864/65 gelang es ihm, bei König Ludwig II. die Einrichtung von Hygiene-Lehrstühlen an allen drei bayerischen Universitäten – neben der LMU noch die Universitäten in Würzburg und Erlangen – durchzusetzen.
In den Jahren zwischen 1876 und 1879 konnte Pettenkofer an der LMU das erste Hygiene-Institut, Vorgänger des heutigen Max von Pettenkofer-Instituts, einrichten, das zur Etablierung des Fachs beitragen sollte.
Pettenkofers Expertise auf diesem Gebiet kam auch München zugute. Kanalisation und Trinkwasserversorgung verdankt die Stadt seinem Wirken. Im Jahr 1894 ließ er sich, 76-jährig, emeritieren.
Hugo von Ziemssen (1829-1902)
Mit der Entdeckung, dass Elektrostimulation die Herzfrequenz beeinflusst, wurde Ziemssen Pionier der diagnostischen und therapeutischen Elektrophysiologie des Herzens und revolutionierte die Innere Medizin.
Hugo von Ziemssen (1829-1902) ist der Namensgeber der Straße in der Münchner Innenstadt, in der die fast 200-jährige Geschichte der LMU Medizin in München unmittelbar sichtbar ist. Dort befindet sich mit der Hausnummer 1 nämlich noch heute das alte Gebäude des früheren Städtischen Allgemeinen Krankenhauses (1813 eröffnet), das der Ludwig-Maximilians-Universität ab 1826 als erstes Lehrkrankenhaus in München diente, und dem Ziemssen als Ärztlicher Direktor ab 1875 vorstand. Gleich daneben, Hausnummer 5, steht das 2021 eröffnete, moderne LMU Klinikum Innenstadt.
Nach München berufen wurde Ziemssen 1874, als Nachfolger des damals plötzlich und unerwartet verstorbenen Josef von Lindwurm. Ziemssen, gebürtig und vormals tätig in Greifswald, war zu der Zeit Professor in Erlangen. Krankheitsbedingt konnte Ziemssen die Stelle erst 1875 antreten. In seiner Klinik in München veranlasste er umgehend Modernisierungsmaßnahmen, ließ Toiletten einbauen und setzte Hygienekonzepte um, sorgte für fließend kaltes und warmes Wasser. Telefonanlagen wurden installiert sowie eine funktionierende Beleuchtung.
Hugo Wilhelm von Ziemssen war einer der bedeutendsten Vertreter seines Berufsstandes im 19. Jahrhundert. Geprägt war er von Rudolf von Virchow, einem herausragenden Pathologen, bei dem er in Würzburg von 1850 bis 1851 als Privatassistent gearbeitet hat. Ziemssen war in seiner Ausbildung durch und durch zum Naturwissenschaftler erzogen worden. „Ihm war aber bewusst, dass neben dieser starken experimentellen naturwissenschaftlichen Ausrichtung der Arztberuf mit Menschen und mit Vertrauen zu tun hat. Und das macht ihn auch zu einer ganz besonderen ärztlichen Persönlichkeit“, sagt Prof. Wolfgang Locher, emeritierter Medizinhistoriker der LMU.
„Ziemssen hatte später als Ton angebendes Mitglied der Medizinischen Fakultät an der Universität München im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts für eine moderne Ausbildung gesorgt“, so Locher weiter. „Damals bedeutete das die Integration der experimentellen Forschung in die ärztliche Ausbildung, in die Ausbildung der Studierenden: Ein schönes Beispiel dafür ist das von ihm 1878 eröffnete medizinisch-klinische Institut, das dem Allgemeinen Krankenhaus an die Seite gestellt wurde und in dem für die Studierenden moderne Ambulatorien, Laborplätze, eine Bibliothek und Hörsäle zur Verfügung gestellt wurden. Dieses Konzept war damals bahnbrechend in Deutschland und dieses medizinisch-klinische Institut die erste derartige Einrichtung in Deutschland und damit beispielgebend für viele andere Universitäten.“
Hugo von Ziemssen hat auch dafür gesorgt, dass die chirurgischen Patienten eine eigene Klinik erhielten, es wurde ein eigenes Gebäude vis-a-vis der Straße gebaut. Zudem ist unter seiner Leitung ein Lehrstuhl für Physikalische Medizin und Röntgenologie gegründet worden, in dem damals auf einen Trend in der physikalischen Medizin geantwortet wurde und der Gebrauch der Röntgenstrahlen integriert wurde.
„Hugo Wilhelm von Ziemssens Karriere in München war der Endpunkt einer Laufbahn, die in Greifswald und in Erlangen begonnen hat und in München sicher ihren Kulminationspunkt erreicht hat“, sagt Prof. Locher. „Er war - und dies kann man wirklich betonen und das gehört zur Geschichte unserer Fakultät - der erste Protestant als Ärztlicher Direktor dieser Klinik. Und diese Klinik war ja die Keim- und die Kernzelle der gesamten medizinischen Fakultät vor 150 Jahren. Das zeigt auch die Modernisierung und die Aufgeschlossenheit des einstmals fast vollkommen katholischen Bayern.“
Ziemssen hat mit einem weiteren Protagonisten der medizinischen Fakultät eng zusammengearbeitet, nämlich mit Max von Pettenkofer. "Er hat mit ihm auch das vielbändige Handbuch für Gewerbehygiene und Umwelthygiene herausgegeben und war selber sehr stark interessiert an der Umwelthygiene", erzählt Locher. Da er sehr lärmsensibel war, hat er dafür gesorgt, dass ein lärmschonender Kopfsteinpflasterbelag installiert wurde und generell auch Kanalisationen und moderne Wassersysteme eingeführt wurden. Er hat Pettenkofer in seiner Arbeit unterstützt und sein Vortrag Ende des 19. Jahrhunderts „Munich - A Healthy Town“ ist berühmt geworden und hat ihm auch die Ehrenbürgerwürde dieser Stadt eingetragen.“
Ein paar Worte noch zu dem erwähnten Lehrstuhl für Physikalische Medizin und Röntgenologie: "Viele Leute glauben, dass Wasserheilkunde im 19. Jahrhundert nur eine Angelegenheit von Sebastian Kneipp war", sagt der Medizinhistoriker. "Auch die Medizin hat sich im 19. Jahrhundert mit physikalischen Heilverfahren, mit der Wasserheilkunde, mit der Balneologie, aber auch mit physikalischen Dingen wie der Anwendung der Elektrizität in der Klinik befasst." Ziemssen war einer der Protagonisten auf diesem Gebiet, er hat hier die Forschung maßgeblich vorangetrieben. Prof. Locher weiter: "Es hat ihn als Repräsentant dieser berühmten Universität München mit Weltruf immer maßlos geärgert, dass alle Patienten, die sich mit Wasser behandeln lassen wollten, an dieser Stätte vorbeigefahren sind ins Allgäu nach Bad Wörishofen zu Sebastian Kneipp - vor allem die begüterten Leute, der Adel." Das habe ihn dazu bewogen, in München einen Lehrstuhl für Physikalische Medizin zu gründen, um damit der Wasserheilkunde eines Sebastian Kneipp in Bad Wörishofen ein akademisches Paroli zu bieten.
Insgesamt gesehen war Hugo von Ziemssen eine innovative Hochschullehrer-Persönlichkeit, die viel dazu beigetragen hat, den Weltruf der Universität München und ihrer der Medizinischen Fakultät Ende des 19. Jahrhunderts zu begründen. Ziemssen hat auch für die moderne Forschung entsprechende Publikationsorgane geschaffen. Das von ihm mitbegründete Archiv für klinische Medizin existiert bis heute unter einem modernen Namen: European Journal of Clinical Investigation.
Vorreiter in der Chirurgie
Johann Nepomuk von Nußbaum (1829-1890)
Johann Nepomuk von Nußbaum etablierte nicht nur neue schonende OP-Methoden, sondern er führte auch die antiseptische Wundbehandlung ein, wodurch die Sterblichkeitsrate frisch operierter Patienten drastisch sank.
Nußbaum wurde am 2. September 1829 in Haidhausen geboren – zu dieser Zeit noch ein Vorort von München. Schon früh fiel seinen Lehrern auf, dass ihr Schüler mathematisch hochbegabt ist und dass er nicht genug bekommen konnte von allem, was mit Medizin zu tun hat. Da war es nur konsequent, dass der junge Nußbaum nach dem Abitur am Wilhelms-Gymnasium 1849 sofort ein Medizinstudium an der Universität München begann.
Schon bald stellte der fleißige Student fest, dass es vor allem die Chirurgie ist, für die er sich begeisterte. Tatsächlich war das Fachgebiet gerade revolutioniert worden: In Amerika war Mitte der 1840er Jahre die Inhalationsnarkose mit Äther und Chloroform eingeführt worden, wodurch endlich ein schmerzfreies Operieren möglich geworden war. Als Nußbaum 1853 zum Dr. med. promovierte und gleich darauf Assistent des Chirurgen Franz Christoph von Rothmund (1801-1891) wurde, hatte sich das Verfahren auch in Deutschland weitgehend etabliert.
Um seine chirurgischen Fähigkeiten zu vervollständigen, besuchte Nußbaum in den folgenden Jahren namhafte Chirurgen in Europa, etwa in Paris und London, aber auch in Würzburg und Berlin. Für seine Habilitation im Jahr 1857 kehrte er jedoch nach München zurück. Noch im gleichen Jahr hielt er als Privatdozent für Chirurgie und Augenheilkunde seine ersten Vorlesungen; parallel dazu operierte er, auf Empfehlung seines langjährigen Lehrers Carl Thiersch (1822-1895), in Münchens erstem, von August von Hauner eröffnetem Kinderspital.
Zwei Jahre Lehrtätigkeit an der Universität München genügten, um Nußbaum über die Grenzen Deutschlands hinweg bekannt zu machen. Im Dezember 1859 erhielt er die Berufung des Kantons Zürich zum Ordinarius für Chirurgie – eine große Ehre. Nach einigem Zögern lehnte Nußbaum jedoch ab, auch, weil man in München signalisierte, den begabten Chirurgen und bei den Studenten äußerst beliebten Dozenten auf keinen Fall verlieren zu wollen. Und so wurde Nußbaum 1860 zum ordentlichen Professor der Chirurgie zu München ernannt und mit der Leitung eines Teils der (städtischen) Chirurgischen Klinik betraut, zu der bis 1863 auch die Augenklinik gehörte. Ab 1872 lag dann die gesamte Chirurgische Klinik in seiner Verantwortung, wo er bis zu seinem Tod praktizierte – nur unterbrochen durch seine Tätigkeit als Militärarzt, der im Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) direkt an der Front verwundete Soldaten behandelte. Dank seiner chirurgischen Geschicklichkeit gelang es Nußbaum, nicht nur vielen das Leben, sondern auch deren Arme und Beine zu retten. In den Nächten brachte er seine kriegschirurgischen Erfahrungen dann zu Papier.
Überhaupt hatte Nußbaum ein ausgeprägtes Interesse daran, seine Studenten und Kollegen an seinen Erkenntnissen und Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Chirurgie teilhaben zu lassen. Insgesamt publizierte er mehr als 100 Originalarbeiten. Auf diese Weise sorgte er dafür, dass neue – schonendere - Operationsmethoden wie die Entfernung von Blasensteinen bei Frauen, die Methode der Ovariotomie oder verschiedene orthopädische und augenchirurgische Behandlungen zu Routineeingriffen wurden. Außerdem gilt Nußbaum als Vorreiter der modernen Neurochirurgie.
Wenn er nicht schrieb, stand der inzwischen auch international hochgeachtete Chirurg im OP-Saal; womöglich hat er mehr als 200.000 Operationen durchgeführt. 1874 etablierte Nußbaum eine weitere bahnbrechende Neuerung: Er führte die antiseptische Wundbehandlung ein, die er zuvor bei Joseph Lister in Edinburgh kennengelernt hatte. Dadurch gelang es ihm, an seiner Klinik den gefürchteten „Hospitalbrand“ einzudämmen; sein Leitfaden dafür wurde in fünf Sprachen übersetzt.
Nicht nur im Wissenschaftsbetrieb wusste man, was man an Nußbaum hatte – auch die Münchner Bevölkerung verehrte ihn. Trotz aller Erfolge lebte Professor Dr. Johann Nepomuk Ritter von Nußbaum, wie er seit seiner Erhebung in den königlich bayerischen Adelsstand im Jahr 1865 genannt wurde, weiterhin in bescheidenen Verhältnissen, und zwar allein, da ihm die Arbeit keine Zeit gelassen hatte, eine Familie zu gründen. Vor allem aber blieb Nußbaum weiterhin seinem Grundsatz treu, mittellose Kranke kostenlos zu behandeln – notfalls auch über Wochen und Monate.
In den 1880er Jahren setzte sich Nußbaum vehement für die Errichtung einer größeren und moderneren Chirurgischen Klinik ein; zu diesem Zeitpunkt war er gesundheitlich allerdings bereits schwer angeschlagen. Vor allem eine krankhafte Neigung zu Knochenbrüchen – die Folge seines regelmäßigen Morphiumkonsums – machte ihm schwer zu schaffen.
Nußbaums Initiative hatte Erfolg: Nach einer knapp zweijährigen Bauphase (1889- 1891) konnte im April 1891 die neue, nunmehr zur Ludwig-Maximilians-Universität gehörende Chirurgische Klinik an der Nußbaumstraße in München feierlich eröffnet werden. Leider war es ihm nicht vergönnt, selbst in der neuen Klinik zu operieren. Am 31. Oktober 1890 verstarb Johann Nepomuk Ritter von Nußbaum im Alter von 61 Jahren.
Ferdinand Sauerbruch (1875-1951)
Der "Sauerbruch-Arm", die "Umkipp-Plastik" oder die Erfindung der Unterdruckkammer. wodurch Operationen am offenen Brustkorb möglich wurden: Mit seinen genialen Ideen führte Ferdinand Sauerbruch die Chirurgie in München in ein neues Zeitalter.
Der im westfälischen Barmen geborene und in Elberfeld aufgewachsene Ernst Ferdinand Sauerbruch gilt als einer der einflussreichsten Chirurgen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zu seinen wesentlichen Lebensstationen gehörte - neben Marburg, Breslau, Zürich und Berlin - auch München. Hier übernahm er 1918 als Professor für Chirurgie (wozu er 1910 an der Hochschule Zürich berufen worden war) die Leitung der Chirurgischen Universitätsklinik, die Sauerbruch bis zu seiner Berufung nach Berlin (1927/1928) innehatte. Der bayerische König Ludwig III. freute sich so sehr über Sauerbruchs Entscheidung, nach München zu kommen, dass er ihn umgehend zum Geheimen Hofrat ernannte.
Dem „Herrn Geheimrat“, wie Sauerbruch fortan angeredet wurde, gelang es, den Ruf der Chirurgischen Klinik der LMU als Zentrum moderner Chirurgie zu festigen. So sorgte er unter anderem dafür, dass seine Klinik eine Unterdruckkammer erhielt, die er selbst bereits 1903 in Breslau – noch als Assistenzarzt – entwickelt hatte. Diese Unterdruckkammer eröffnete erstmals die Möglichkeit, chirurgische Eingriffe am offenen Brustkorb durchzuführen, ohne dass es zu einem lebensgefährlichen Pneumothorax kam. Als Sauerbruch München 1928 wieder verließ, hatte sich die Klinik international einen Namen gemacht und galt seitdem als weltweit führend auf dem Gebiet der Thoraxchirurgie. Neben der Etablierung von innovativen Methoden bei der Operation, etwa der Speiseröhre, des Mageneingangs oder auch der Hirnchirurgie, wagte sich Sauerbruch in den 1920er Jahren erstmals auch an Eingriffe am freigelegten Herzen.
In München entwickelte Sauerbruch außerdem die sogenannte "Umkipp-Plastik": Nach Entfernung eines z.B. durch Krebs zerstörten Oberschenkelknochens wird der gesunde Unterschenkelknochen in die Hüftgelenkpfanne verpflanzt. Die Funktion des Unterschenkels übernimmt eine Prothese.
Eine weitere Errungenschaft, die wesentlich zu Sauerbruchs internationale Anerkennung beitrug, war die Entwicklung einer Armprothese, die direkt in den Körper implementiert wurde und die er speziell für Kriegsversehrte des Ersten Weltkriegs entworfen hatte. Bereits in seinem ersten Jahr in München gründete Sauerbruch eine Firma, um möglichst viele Amputierte zeitnah mit dem „Sauerbruch-Arm“ versorgen zu können.
1919 war auch das Jahr, in dem Sauerbruch dem Attentäter und Mörder von Kurt Eisner, der als erster Ministerpräsident von Bayern in die Geschichte einging, das Leben rettete – und dies sogar in zweierlei Hinsicht: zum einen durch eine Notoperation und zum anderen durch seine Weigerung, Anton Graf Arco-Valley dem Revolutionskomitee auszuliefern; hierfür wäre Sauerbruch sogar beinahe zum Tode verurteilt worden.
Fast ein ganzes Jahrzehnt lenkte und prägte Sauerbruch in München die Geschicke der Chirurgischen Universitätsklinik. Von 1928 an wurde für ihn und seine zweite Frau, die Ärztin Margot Großmann (1903-1995), Berlin zur neuen Heimat: Am 11. März 1928 hielt Sauerbruch seine offizielle Antrittsvorlesung an der Medizinischen Fakultät (Charité) der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität. Bis zu seiner Emeritierung 1949 leitete Professor Ferdinand Sauerbruch die II. Chirurgischen Klinik der Berliner Charité; zu dieser Zeit war Sauerbruch bereits demenzkrank. Im März 1951 verstarb er infolge eines Schlaganfalls.
Sauerbruch behauptete von sich selbst, er sei „ein unpolitischer Mensch“. Anlässlich der Ausstellung „Auf Messers Schneide. Der Chirurg Ferdinand Sauerbruch zwischen Medizin und Mythos“ im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité (von 2019 bis 2020) schrieben die Veranstalter jedoch zu Saubruchs umstrittener Rolle während der NS-Zeit: „Als Generalarzt und Forschungsgutachter wusste er in der Zeit des Nationalsozialismus […] um die Praxis verbrecherischer Menschenversuche im KZ und erhob seine Stimme dagegen nicht.“
Nach Ferdinand Sauerbruch sind in Deutschland mehrere Straßen benannt, darunter auch eine Straße im Stadtteil Hadern von München.
Max Lebsche (1886 - 1957)
Als Schützling von Ferdinand von Sauerbruch entwickelte Max Lebsche viele seiner wissenschaftlichen Anregungen weiter. Wegen seiner Ablehnung der nationalsozialistischen Diktatur wurde er 1936 als Professor aus dem Staatsdienst entlassen.
“Ich würde mich nur von meinem Freund Lebsche operieren lassen” – so adelte der berühmte Chirurg Ferdinand Sauerbruch einst seinen Oberarzt Max Lebsche, mit dem Sauerbruch während seiner Zeit an der Chirurgischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München bis zu seiner Übersiedelung nach Berlin eng zusammenarbeitete. Tatsächlich fiel Max Lebsche, der am 11. September 1886 in Glonn geboren wurde, schon früh als hochbegabter Mediziner auf: Mit seiner Dissertation, die er nach seinem Medizinstudium in München und Würzburg 1911 an der medizinischen Fakultät der LMU zum Thema: „Klinische und experimentelle Untersuchungen über den Wert der modernen Wunddesinfektion“ verfasste, errang Lebsche nicht nur ein summa cum laude, sondern er wurde an der Chirurgischen Klinik der LMU auch gleich als Assistenzarzt verpflichtet. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 musste der junger Chirurg jedoch erst einmal für drei Jahre an die Westfront; dort lernte Lebsche die speziellen Anforderungen der Feldchirurgie kennen.
1918 kehrte Max Lebsche an die Chirurgische Klinik der LMU zurück. Kurze Zeit später wurde Ferdinand Sauerbruch auf den Lehrstuhl für Chirurgie berufen – und wurde als neuer Leiter der Klinik Lebsches direkter Vorgesetzter. Lebsche betonte später, wie wichtig Sauerbruch für ihn als Lehrer gewesen sei. Viele seiner wissenschaftlichen Anregungen griff Lebsche auf und entwickelte sie selbständig weiter. Auf diese Weise gehörte Lebsche schon bald zu den wichtigsten Vertretern der Sauerbruch‘schen Schule.
Sauerbruch wiederum räumte seinem Schützling eine Sonderstellung an der Klinik ein, sodass Lebsche sich mit der Zeit ein breites chirurgisches Behandlungsspektrum aneignen konnte: von der Tumorchirurgie über die Thoraxchirurgie bis hin zur Neurochirurgie oder der chirurgischen Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen („Kropfoperationen“). Später gesellten sich weitere Spezialgebiete wie die Gesichts- und Kieferchirurgie dazu. Im Mai 1922 wurde Lebsche Oberarzt (nachdem er das Jahr zuvor freiwillig im Freikorps Oberland als Korpsarzt im oberschlesischen Freiheitskampf gedient hatte). Noch im gleichen Jahr habilitierte Lebsche bei Sauerbruch über den Ersatz der Aorta mit selbstentwickelten Gefäßprothesen – damit leistete er für die moderne Herz-Gefäß-Chirurgie Pionierarbeit.
Im Oktober 1926 wurde Lebsche zunächst als außerordentlicher Professor und im Mai 1928 als außerordentlicher Professor für spezielle Chirurgie und Vorstand der Chirurgischen Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München ernannt. Sein Lehrer Sauerbruch entschied sich Ende 1927, endgültig nach Berlin zu gehen. Dass Lebsche ihm nicht folgte, bedauerte Sauerbruch sehr, aber er hatte auch Respekt vor der tiefen Heimatverbundenheit des geschätzten Kollegen.
1930 gründete Lebsche in München die Maria-Theresia-Klinik und betrieb sie als chirurgische Privatklinik; die Pflege der Kranken oblag den Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul.
Die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten bedeutete auch für Max Lebsche eine Zäsur. Er, der aus seinem katholischen Glauben, seiner Treue zum Königshaus und vor allem aus seiner Abneigung gegenüber der nationalsozialistischen Diktatur keinen Hehl machte, sah sich schon bald ersten Repressalien ausgesetzt. Gleichwohl blieb es für ihn selbstverständlich, jüdischen Kollegen und Patienten zu helfen, wann immer seine Unterstützung notwendig (und nicht selten lebensrettend) war.
Am 2. April 1936 teilte ihm der Dekan der medizinischen Fakultät seine Entlassung als Professor aus dem Staatsdienst mit; ein Jahr später erhielt Lebsche die schriftliche Bestätigung. Lediglich in seiner Privatklinik durfte er weiter als Chirurg tätig sein, Kassenpatienten durfte er allerdings nicht mehr behandeln. Deshalb behandelte Lebsche unzählige Patienten kostenlos.
Mit seiner erzwungenen Emeritierung beendete Lebsche seine Tätigkeit als Forscher und Lehrender. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, in den nächsten Jahren neue Entwicklungen auf dem Gebiet der Wiederherstellungschirurgie anzustoßen, um so vor allem schwer verwundete Soldaten bestmöglich zu behandeln.
1939 meldete sich Lebsche freiwillig zur Versorgung von Kriegsverwundeten – ohne dass er sich, wie von ihm verlangt, schriftlich zum Dritten Reich bekannte. Da nicht genügend Chirurgen zur Verfügung standen, sah man geflissentlich darüber hinweg, sodass Lebsche bereits am 1. Dezember 1939 seinen Dienst als Chefarzt der chirurgischen Abteilung des Standortlazaretts München I aufnehmen konnte; nach Zerstörung der Operationsräume durch Bomben (1944) wurde er Leiter des Ausweichlazaretts München-Fürstenried. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, erlangte Max Lebsche die meisten seiner Funktionen und Ämter zurück. Dazu gehörte auch, dass er am 1. Januar 1947 erneut als ordentlicher Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität berufen wurde und dass er die Leitung der Chirurgischen Klinik übernahm.
Ende 1954 wurde Max Lebsche emeritiert. Schon wenige Monate später erlitt er einen Herzinfarkt, am 22. September 1957 erlag Lebsche einem zweiten Herzinfarkt in seinem Arbeitszimmer in der Maria-Theresia-Klinik – er wurde 71 Jahre alt.
Für seine Erfolge in der Chirurgie, seine militärischen Einsätze und sein Engagement für Bedürftige erhielt Professor Dr. Max Lebsche im Laufe seines Lebens mehrere Orden, Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften.
Nach Max Lebsche sind mehrere Straßen und Plätze in Oberbayern, wie z. B. der „Max-Lebsche-Platz“ vor dem Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München oder die Hauptstraße in seinem Heimatort Glonn, benannt. Seit 9187 verleiht die Vereinigung der Bayerischen Chirurgen e.V. die Max-Lebsche-Medaille jährlich an Politiker und Mediziner.
Führende Forscher in der Psychiatrie
Bernhard von Gudden (1824-1886)
Als einer der führenden Experte auf dem Gebiet der Neuroanatomie und Neuropathologie genoss Bernhard von Gudden hohes Ansehen. Sein Tod im Starnberger See – gemeinsam mit König Ludwig II - gibt bis heute Rätsel auf.
Emil Kraepelin (1856-1926)
1904 wurde Emil Kraepelin erster Direktor der neuen hochmodernen Psychiatrischen Klinik der Universität München – und München erlangte in der Psychiatrie Weltgeltung. Sein System der Klassifizierung psychischer Störungen ist bis heute gültig.
Alois Alzheimer (1864-1915)
1906 beschrieb Alois Alzheimer zum ersten Mal eine "eigenartige Krankheit der Gehirnrinde". Damit lieferte er die Grundlagen für die Erforschung und Bekämpfung der nach ihm benannten Demenz-Erkrankung, die die Wissenschaft bis heute beschäftigt.
Dass München zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Psychiatrie Weltgeltung erlangte, hatte zwei Gründe: Zum einen war in der bayerischen Landeshauptstadt 1904 die hochmoderne Königlich Psychiatrische Klinik der Universität München eröffnet worden. Zum anderen war es gelungen, den berühmten Psychiater Professor Emil Kraepelin als ersten Direktor der Klinik - und als Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie der Ludwig-Maximilians-Universität - zu gewinnen.
Kraepelin (geboren am 15. Februar 1856 in Neustrelitz, Mecklenburg) selbst sprach von der „zweiten Münchner Zeit“, die für ihn und seine Familie Ende 1903 begann. Tatsächlich hatte er sich in jungen Jahren schon einmal in München niedergelassen, um 1878 nach seinem Medizinstudium in Leipzig und Würzburg als Assistentsarzt von Bernhard von Gudden erste praktische Erfahrungen zu sammeln. Zu dieser Zeit galt Bernhard von Gudden (1824 – 1886), der 1873 zum Professor an der Universität München und Direktor der Oberbayerischen Kreisirrenanstalt ernannt worden war, in Deutschland als einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Neuroanatomie und Neuropathologie.
Habilitieren wollte Kraepelin jedoch nicht in München, sondern an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Leipzig. Das hätte beinahe nicht geklappt, denn Kraepelin wurde schon nach nur fünf Wochen gekündigt. Dank der Unterstützung von Wilhelm Wundt (1832 - 1920) konnte Kraepelin seine Habilitation schließlich doch noch in Leipzig ablegen. Nach dieser unliebsamen Erfahrung entschloss sich Kraepelin im Herbst 1883, zu Bernhard von Gudden zurückzukehren.
Bernhard von Guddens tragisches Ende im Starnberger See
Schon wenige Monate später gab Kraepelin seine akademische Karriere allerdings wieder auf, um als Oberarzt zu arbeiten: zunächst an der preußischen Provinzial-Irrenanstalt von Leubus (von August 1884 bis April 1885) und dann an der Irrenabteilung des Allgemeinen Krankenhauses in Dresden. So bekam Kraepelin das tragische Ableben seines Mentors nur aus der Ferne mit. Denn Bernhard von Gudden starb 13. Juni 1886 unter bis heute nicht geklärten Umständen im Starnberger See – zusammen mit Ludwig II. (1845-1886), mit dem von Gudden an jenem Abend einen Spaziergang unternommen hatte. Wenige Tage zuvor war der König von Bayern entmündigt und für regierungsunfähig erklärt worden, und zwar aufgrund eines – wie man heute weiß – zweifelhaften Gutachtens, an dem auch Bernhard von Gudden mitgewirkt hatte.
Ob Emil Kraepelin an von Guddens Beerdigung teilnahm, ist nicht überliefert. Vermutlich eher nicht, denn ungefähr zur selben Zeit bekam Kraepelin einen Ruf auf den psychiatrischen Lehrstuhl der kaiserlich-russischen Universität Dorpat - im jungen Alter von 30 Jahren. So kehrte Kraepelin auch Dresden nach nur einem Jahr den Rücken, aber der Wissenschaftsbetrieb hatte ihn wieder.
In Dorpat (dem heutigen Tarku in Estland) festigte Kraepelin seinen Ruf als einer der führenden deutschen Psychiater. Mit seinem 1887 erstmals erschienenen Lehrbuch Psychiatrie legte Kraepelin zudem das erste Standardwerk seines Fachgebiets vor; die letzte, vier Bände umfassende, achte Auflage (1909 – 1915) verfasste Kraepelin in seiner „zweiten Münchner Zeit“.
1891 übernahm Emil Kraepelin die Leitung der Großherzoglich Badischen Universitäts-Irrenklinik in Heidelberg. In den zwölf Jahren, in denen er unter anderem bahnbrechende Verlaufsbeobachtungen von psychischen Störungen durchführte, die nach ihm benannte Klassifikation psychiatrischer Krankheitsbilder entwickelte und ein Labor für psychologische Experimentalforschung einrichtete, arbeitete Kraepelin mit zahlreichen Mitarbeitern zusammen, die später selbst berühmt wurden, allen voran Robert Eugen Gaupp (1870 – 1953), Franz Nissl (1860 – 1919) und Alois Alzheimer (1864-1915).
Alois Alzheimer – prominenter Assistent von Emil Kraepelin in München
Einige von ihnen folgten Emil Kraepelin nach München, darunter auch Alois Alzheimer, den Kraepelin sogleich damit betraute, ein hirnanatomisches Laboratorium aufzubauen. In diesem Labor nahm die Demenzforschung ihren Anfang. Denn hier führte Alzheimer 1906 seine berühmte mikroskopische Untersuchung des Gehirns der verstorbenen Auguste D. durch, die 1901 als erste „Alzheimer-Patientin“ in die Geschichte eingegangen war. Dabei kam Alzheimer zu dem Schluss, dass die vollständige Verwirrung, unter der die Patienten gelitten hatte, Folge einer bis dato unbekannten Krankheit der Hirnrinde war. Alzheimer beschrieb seine Untersuchungsergebnisse sehr genau – und bis heute sind seine Erkenntnisse Grundlage der Alzheimer-Forschung. Zu seiner Zeit stand man seinen Ergebnissen jedoch erst einmal skeptisch gegenüber. Dennoch nahm Kraepelin die Erkenntnisse seines Mitarbeiters 1910 als „Alzheimers Krankheit“ in die 8. Auflage seines Lehrbuchs für Studierende und Ärzte auf – und verhalf Alzheimers Entdeckung so zu einer breiten Akzeptanz.
Insgesamt forschte und lehrte Alois Alzheimer von 1903 bis 1912 an der Königlich Psychiatrischen Klinik als rechte Hand von Emil Kraepelin, bevor er 1912 auf den Psychiatrie-Lehrstuhl nach Breslau berufen wurde. Emil Kraepelin dagegen blieb bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1922 Direktor der Klinik. Vorher gründete er noch die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie (DFA) - das heutige Max-Planck-Institut für Psychiatrie: 1917 wurde die weltweit erste außeruniversitäre Forschungseinrichtung auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Psychiatrie als öffentliche Stiftung nach bayerischem Landesrecht errichtet.
Kraepelins Erbe
Emil Kraepelin starb am 7. Oktober 1926 in München. Das System der Klassifizierung psychischer Störungen, für das Kraepelin die Grundlagen lieferte, ist bis heute gültig, ebenso die von ihm vorgenommene Zweiteilung der (endogenen) Psychosen in Dementia praecox (heute die Gruppe der Schizophrenien) und manisch-depressives Irresein (heute Affektive Psychosen). Wegweisend war vor allem sein Ansatz, dass psychische Erkrankungen endogene, also körperliche Ursachen, haben müssen und damit prinzipiell auch einer Therapie zugeführt werden können.
So offen und vielseitig Kraepelin auch war, der vom Wiener Arzt und Psychologen Sigmund Freud (1856 – 1939) begründeten Psychoanalyse, die die Psychiatrie im 20. Jahrhundert ebenfalls maßgeblich beeinflusste, stand er skeptisch gegenüber. Für Freud wiederum scheint Kraepelin wohl in erster Linie ein nüchterner Lehrbuchautor und faktenorientierter „Oberpapst der Psychiatrie“ gewesen zu sein, wie ein Freud-Biograph bemerkt. Eine persönliche Begegnung, ein Briefwechsel oder eine andere Art von wissenschaftlichem Austausch zwischen den beiden gleichaltrigen Medizinern fand jedenfalls nicht statt.
Trotz Kraepelins Verdienste gibt es seit einigen Jahren Forderungen, die nach ihm benannte Straße in München-Schwabing umzubenennen. Denn Kraepelin gilt als Mentor des schweizerisch-deutschen Psychiaters Ernst Rüdin (1874-1952), der unter anderem die psychiatrische Genetik begründete. Fakt ist, dass Rüdin sich schon Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten für die „rassenhygienische Sterilisierung“ einsetzte und im Dritten Reich dann zum einflussreichsten Rassenhygieniker avancierte, der das nationalsozialistische Tötungsprogramm von Kranken explizit unterstützte. 1948/49 musste sich Rüdin deshalb einem Entnazifizierungsverfahren stellen.
Seit 1928 verleiht die Stiftung Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie alle fünf bis zehn Jahre die Goldene Kraepelin-Medaille an verdiente Ärzte und Forscher - sie zählt international zu den angesehensten wissenschaftlichen Auszeichnungen der Medizin.
Vorreiter in der neueren Zeit
Adele Hartmann (1881 – 1937)
Sie war die erste Frau, die sich im damaligen Deutschen Reich habilitierte - und zwar an der Medizinischen Fakultät der LMU. Dort lehrte und forschte sie an der Anatomischen Anstalt der LMU – ab 1924 als außerordentliche Professorin. Vor allem beschäftigte sich Adele Hartmann mit der Entwicklung der Niere und welche Auswirkungen Röntgenstrahlen auf Organismen haben.
Dr. med. Adele Caroline Auguste Hartmann (geboren am 9. Januar 1881 in Neu-Ulm) war die erste habilitierte Frau in Deutschland (seinerzeit noch Deutsches Reich). Trotz aller Widerstände hatte sich Hartmann nicht beirren lassen, ihren Weg zu gehen. Hürden gab es einige: Auf Wunsch des Vaters arbeitete sie erst einmal als Erzieherin (in England); das Abitur hatte ihr der Vater verwehrt. Mit 25 Jahren absolvierte Adele Hartmann dann doch noch das Abitur – als Externe am Ludwigsgymnasium. Schon bald darauf begann sie an der medizinischen Fakultät der LMU ihr Studium, 1911 legte sie das Staatsexamen ab, ein Jahr später folgte die Approbation, 1913 der Doktortitel mit einer Arbeit zum Thema "Zur Entwicklung der Bindegewebsknochen". Nach der Promotion forschte Hartmann als Assistentin in der Anatomischen Anstalt der LMU.
1918 reichte Adele Hartmann an der medizinischen Fakultät der LMU München ihre Habilitationsschrift ein, noch im gleichen Jahr, am 20. Dezember, hielt sie ihre Antrittsvorlesung an der LMU. Ihr Thema: "Ueber die bisherigen Erklärungsversuche der Zellteilung". Knapp zwei Monate später wurde sie zur Privatdozentin ernannt. Fortan lehrte und forschte sie an der LMU – ab 1924 als außerordentliche Professorin. Vor allem beschäftigte sich Adele Hartmann mit der Entwicklung der Niere und welche Auswirkungen Röntgenstrahlen auf Organismen haben. Auf dieses Interessensgebiet hatte sie Conrad Röntgen gebracht, der einer ihrer Lehrer gewesen war. Wegen ihrer Brustkrebs-Erkrankung musste sie ihre Arbeit 1927 jedoch einige Jahre unterbrechen. Für kurze Zeit kehrte sie 1932 als Konservatorin der Anatomischen Anstalt zurück, doch am 15. Dezember 1937 erlag Adele Hartmann ihrem Krebsleiden.
2002 benannte die Stadt München eine Straße nach ihr. Die Ludwig-Maximilians-Universität München hat ein „Adele-Hartmann-Programm“ zur Unterstützung herausragender W2-Professorinnen aufgelegt.
Alfred Marchionini (1899-1965)
Unter anderem als Entdecker des Säuremantels der Haut wurde der Dermatologe Alfred Marchionini bekannt. Nach der Rückkehr aus dem Exil in der Türkei hat er die internationalen Beziehungen der Dermatologischen Klinik maßgeblich gestärkt.Als Rektor hat er 1955 die Entscheidung mit herbeigeführt, das Universitätsklinikum in Großhadern zu bauen.
Dass die Straße, an der das Klinikum Großhadern liegt, seinen Namen trägt, ist kein Zufall. Denn als Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität München (1952 bis 1955) hat der Dermatologe Professor Dr. Dr. h. c. Alfred Marchionini Mitte der 1950er Jahre die Entscheidung herbeigeführt, das Universitätsklinikum Großhadern zu bauen; der Grundstein wurde 1961 gelegt, am 16. September 1974 wurden die ersten Patienten aufgenommen.
Alfred Marchionini wurde am 12. Januar 1899 in Königsberg geboren. Sein Medizinstudium absolvierte er in seiner Heimatstadt, Leipzig und Freiburg/Breisgau, wo er 1922 auch promovierte. Zunächst bildete sich Marchionini in Leipzig in Allgemeinmedizin und Kinderheilkunde fort, doch spätestens während seiner Zeit an der Physikalisch-Chemischen Abteilung der Medizinischen Klinik in Kiel wurde ihm klar, dass sein medizinisches Interesse vor allem der Dermatologie gilt. Gemeinsam mit dem Mediziner Heinrich Schade (1907-1989) veröffentlichte er 1928 einen Artikel in der Klinischen Wochenschrift über den „Säuremantel der Haut“. Die Erkenntnis, dass die Hautoberfläche von einer Säureschicht bedeckt ist, führte zu einem völlig neuen Verständnis der Oberflächenphysiologie der Haut und machte Marchionini quasi über Nacht bekannt. Danach begann er mit seiner Ausbildung in Dermatologie an der Hautklinik der Universität Freiburg, wo er sich 1928 habilitierte und 1934 zum außerplanmäßigen Professor für Dermatologie ernannt wurde. In dieser Zeit begann er auch, mit Hauttuberkulose und Hautallergien neue medizinische Schwerpunkte zu setzen.
In den nächsten Jahren sahen er und seine Frau Mathilde, die als Nervenärztin praktizierte und eine jüdische Großmutter hatte, sich zunehmend Repressalien durch das nationalsozialistische Regime ausgesetzt. Schließlich entschloss sich das Ehepaar 1938, in die Türkei ins Exil zu gehen. In Ankara nahm Marchionini das Angebot des türkischen Präsidenten Kemal Atatürk an, Direktor der Hautklinik des Staatlichen Musterkrankenhauses zu werden; später wurde er außerdem Lehrstuhlinhaber für Dermatologie.
1948 kehrten die Marchioninis nach Deutschland zurück. Zuerst ging es nach Hamburg, wo Marchionini Direktor der Universitätshautklinik Hamburg-Eppendorf wurde und den Lehrstuhl für Dermatologie übernahm. Ihre neue Heimat fand das Ehepaar jedoch in München. Von 1950 bis zu seinem Tod im Jahre 1965 war Marchionini Inhaber des dermatologischen Lehrstuhls und Direktor der Dermatologischen Klinik und Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität – als Nachfolger des Dermatologen Leo von Zumbusch (1874-1940), der von den Nationalsozialisten 1935 nach einer gezielten Denunziationskampagne vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden war. Ihm zu Ehren rief Alfred Marchionini 1951 die Leo-von-Zumbusch-Gedächtnisvorlesung ins Leben, bei der bis heute jedes Jahr an der Klinik für Dermatologie und Allergologie des Klinikums führende nationale und internationale Dermatologen Vorträge halten.
Neben der Dermatologie wurde die Venerologie zu einem weiteren Spezialgebiet Marchioninis. 1950 gründete er die Zeitschrift Der Hautarzt (heute: Die Dermatologie), deren Herausgeber er bis zu seinem Tod war – nicht zuletzt, um die fachliche Kommunikation der Dermatologen untereinander zu fördern. Außerdem baute Marchionini die Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG) auf, der er später als Präsident vorstand. 1959 erschien der von Marchionini herausgegebene erste Band des Ergänzungswerks zum Handbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten (von Josef Jadassohn), das nach seinem Tod von seinen Schülern und den Autoren vollendet wurde (bis 1982).
Marchioninis Weggefährten würdigten den Dermatologen jedoch nicht nur als herausragenden akademischen Lehrer, Arzt und Forscher, sondern auch als großen Humanisten, der eine Brücke der Versöhnung baute zwischen der deutschen Dermatologie und der internationalen Dermatologengemeinschaft. Unvergessen zum Beispiel seine Initiative, 1955 die gesamte Pariser Universität einzuladen, um die internationalen Kontakte zu pflegen und wiederherzustellen. Als Gegeneinladung folgte ein Jahr später die Münchener Universitäts-Woche an der Pariser Sorbonne (März 1956) – der fachliche Austausch über die Landesgrenzen hinaus hatte Früchte getragen.
1957 wurde Marchionini zum Mitglied der Leopoldina gewählt. Von 1959 bis zu seinem Tod war er außerdem Mitglied im Beirat der Friedrich-Naumann-Stiftung.
Am 6. April 1965 starb Alfred Marchionini, noch im Dienst, in München an Leukämie – im Alter von 66 Jahren.
Ihm zu Ehren gründete 1976 das Unternehmerehepaar Kurt und Eva Herrmann aus Reinbek bei Hamburg eine Stiftung, die bis heute seinen Namen trägt. Zu den Aufgaben der Stiftung gehört, dass das Wissenschaftliche Kuratorium alle fünf (neuerdings alle vier) Jahre die Alfred-Marchionini-Medaille in Gold an herausragende Persönlichkeiten unter (dermatologisch tätigen) Ärzt:innen und Wissenschaftler:innen verleiht.
Das Ehepaar Marchionini selbst errichtete ebenfalls eine gemeinnützige Stiftung, mit der das 1972 fertiggestellte „Marchionini-Studentenwohnheim“ am Olympiapark gefördert wird.