News | 15.07.2022 | Medizin, Forschung
PLÄTTCHEN ALS IMMUNZELLEN
Eine hyperaktivierte Population von Plättchen verhindert entzündungsbedingte Blutungen durch Rekrutierung von Gerinnungsproteinen
Spontane, entzündungsassoziierte Blutungen treten vor allem bei kritisch Kranken auf und können bei Beteiligung von Lungen oder Gehirn fatale Folgen haben. WissenschaftlerInnen der Medizinischen Klinik und Poliklinik I um Dr. med. Rainer Kaiser und Dr. med. Leo Nicolai haben nun wichtige Mechanismen entschlüsselt, mit deren Hilfe zirkulierende Blutplättchen diese entzündungsbedingten Blutungen verhindern können. Ihre Studie ziert die Titelseite der aktuellen Ausgabe des Fachblatts Blood.
Entzündungsbedingte Blutungen werden durch aus der Mikrozirkulation auswandernde weiße Blutkörperchen, insbesondere Neutrophile Granulozyten, verursacht und betreffen vor allem kritisch kranke, intensivstationär behandelte PatientInnen. Wenn diese sogenannten „inflammatorischen Blutungen“ Organe wie Lungen oder das Gehirn betreffen, sind schwere Organschädigungen bis hin zum blutungsbedingten Schock mit möglicherweise tödlichem Ausgang die Folge. Die zugrundeliegenden Mechanismen sind nur unvollständig geklärt.
Klinische Studien an kardiologisch-intensivstationär behandelten Patienten legen nahe, dass sowohl eine Thrombozytopenie als auch in Fibrinogen-Mangel zu den wichtigsten Risikofaktoren inflammatorischer Blutungen gehören. Zudem zeigen experimentelle Studien, dass nicht nur die bloße Anwesenheit von Thrombozyten, sondern auch ihre Fähigkeit zur autonomen Migration essenziell dazu beiträgt, die durch die Auswanderung von Leukozyten entstandene Mikroläsionen und konsekutive Blutungen zu verhindern.
Mithilfe von Mausmodellen der Sepsis sowie der inflammatorischen Blutung konnte ein Team um Dr. Kaiser und Dr. Nicolai nachweisen, dass eine lokale Inflammation mit der Induktion sogenannter prokoagulanter Plättchen einhergeht, einer hyperaktivierten Subpopulation von Thrombozyten, die große Mengen von Gerinnungsfaktoren binden kann. Neben diesen prokoagulanten Plättchen, die durch Kontakt zu subendothelialen Kollagenfasern entstehen, akkumulierten auch Gerinnungsproteine wie Fibrin(ogen) in den entzündeten Lungen. Eine Hemmung dieser Fibrin(ogen)-Ablagerungen durch Antikoagulation führte zu einer Verstärkung der Lungenblutungen. Interessanterweise führte auch die Hemmung der prokoagulanten Plättchenaktivierung mithilfe zweier Knockout-Mauslinien zu einer deutlichen Zunahme der pulmonalen inflammatorischen Blutung.
Mithilfe extensiver in vitro Screening-Versuche gelang es, die für die prokoagulante Aktivierung verantwortlichen Rezeptoren GPIIBIIIA und GPVI zu identifizieren. Eine pharmakologische Hemmung beider Rezeptoren reduzierte die Anzahl prokoaguanter Plättchen im Mausmodell und verstärkte die inflammatorische Blutung in der Lunge und der mesenterialen Mikrozirkulation deutlich.
Somit identifizieren die WissenschaftlerInnen um Dr. Kaiser und Dr. Nicolai erstmals eine protektive Immunfunktion prokoagulanter Plättchen. Mithilfe dieser Erkenntnisse könnten gerade bei kritisch kranken Patienten mit Thrombozytopenien neue Therapiekonzepte zur Prävention inflammatorischer Blutungen entstehen.
Diese Forschungsergebnisse wurden kürzlich mit dem Hermann Rein-Preis der Deutschen Gesellschaft für Mikrozirkulation und Vaskuläre Biologie (GfMVB) ausgezeichnet und zieren das Cover der aktuellen Ausgabe des Magazins Blood (Volume 140, Issue 2).
