Therapie gutartiger Schilddrüsenerkrankungen
Schilddrüsenhormone sind für den menschlichen Organismus unentbehrlich. Sie beeinflussen u.a. den Energiestoffwechsel, den Magen-Darm-Trakt, das Herz-Kreislaufsystem und die psychische Befindlichkeit. Sowohl ein Zuwenig (Unterfunktion) als auch ein Zuviel an Schilddrüsenhormonen (Überfunktion) kann zu ernsthaften Störungen unterschiedlicher Körperfunktionen führen.
Die Schilddrüsenüberfunktion ist in Deutschland eine relativ häufig auftretende Erkrankung. Die häufigsten Ursachen hierfür sind die sog. Schilddrüsenautonomie oder eine Immunerkrankung, der sog. Morbus Basedow
Eine medikamentöse Therapie kann nur die Beschwerden dieser Erkrankung abschwächen, sie kann jedoch in der Regel die Ursache nicht dauerhaft beseitigen. Dies gelingt nur mit der sog. Radioiodtherapie oder der operativen Entfernung der betroffenen Schilddrüsenanteile. Beide Behandlungsmethoden sind bezüglich des Therapieerfolgs als gleichwertig einzustufen. Welche Therapieoption im Einzelfall am günstigsten ist, wird zusammen mit dem Patienten im interdisziplinären Gespräch individuell entschieden.
Die Radioiodtherapie ist seit mehr als 50 Jahren als wirkungsvolle und nebenwirkungsfreie Behandlungsmethode anerkannt. Mit ihr werden ganz gezielt überaktive Schilddrüsenareale behandelt, normal funktionierende Anteile werden geschont. Zum Einsatz kommt dabei ein radioaktives Isotop (Jod 131) des normalen Jods, das Sie als wichtigen Bestandteil der Nahrung kennen.
Indikationen
- Die Indikationen zur Radiojodtherapie sind
- funktionelle Autonomie
- immunogene Hyperthyreose
- Strumaverkleinerungstherapie bei endemischer Struma
- subklinische Hyperthyreose (kompensierte Schilddrüsenautonomie) bei kardialem Risiko bzw. vor geplanten Kontrastmittelapplikationen
Kontraindikation:Eine absolute Kontraindikation für die Radiojodtherapie ist die Schwangerschaft sowie bei bestehendem Malignomverdacht. Hier muss zunächst ein Schilddrüsenkarzinom zuverlässig ausgeschlossen werden.
Therapie des Schilddrüsenkarzinoms
Als relative Kontraindikationen werden angesehen die Trachealeinengung bzw. die Tracheomalazie, hier hat die operative Sanierung der Schilddrüse Vorrang. Ein jüngeres Lebensalter des Patienten wird heute nicht mehr als Kontraindikation für die Radiojodtherapie angesehen.
Prinzip und Durchführung
Das Prinzip der Radioiodtherapie beruht auf der Applikation einer, basierend auf Erfahrungswerten, ausreichenden Strahlendosis zur Ausschaltung des erkrankten Schilddrüsengewebes. Diese Dosis wird durch die Gabe einer für den Patienten individuell berechneten Aktivitätsmenge Iod-131 erreicht. Die erforderliche Aktivitätsmenge hängt neben der angestrebten Zieldosis von der Masse der Schilddrüse, der Verweildauer (Halbwertszeit) und prozentualen Aufnahme des radioaktiven Jods in die Schilddrüse (Uptake) ab. Die Masse der Schilddrüse wird sonographisch, Halbwertszeit und Uptake mittels des sog. Radiojodtests nach Gabe einer geringen Testaktivitätsmenge ermittelt. Die Radiojodtestung vor Radiojodtherapie erfolgt ambulant. Bei klinischer Indikation kann diese ggf. auch stationär erfolgen.
Dosiskonzepte
Ziel der Radioiodtherapie ist die Beseitigung der Schilddrüsenüberfunktion, wobei bei den Autonomien eine normale Schilddrüsenfunktion angestrebt wird. Dies wird in ca. 90 % der Fälle erreicht. Bei der immunogenen Hyperthyreose (Morbus Basedow) hat sich das sog. ablative Konzept durchgesetzt, d.h. es wird eine weitgehende funktionelle Ausschaltung der Schilddrüse angestrebt. Diese Vorgehensweise beruht auf der Erfahrung, dass die Langzeitergebnisse bezüglich der Rezidivrate, der weiteren Entwicklung der Schilddrüsenautoantikörper sowie bezüglich der Augensymptomatik wesentlich besser sind als bei einem Dosiskonzept, welches eine normale Schilddrüsenfunktion anstrebt.
Durchführung der Radiojodtherapie
Entsprechend der gesetzlichen Vorgaben kann die Radiojodtherapie in Deutschland nur stationär durchgeführt werden.
Bei der Behandlung der Schilddrüsenautonomie muss eine Schilddrüsenüberfunktion vorliegen, in dieser Situation ist gewährleistet, dass das gesunde Schilddrüsengewebe kein radioaktives Jod aufnimmt und damit weitgehend geschont wird. In einzelnen Fällen muss dieser Zustand durch die Gabe von Schilddrüsenhormontabletten erreicht werden, ggf. klärt Sie Ihr Hausarzt darüber auf. Im Regelfall sollte auf Medikamente zur Behandlung der Überfunktion (Thyreostatika, z.B. Carbimazol oder Favistan) ca. 10 Tage vor Radiojodtherapie verzichtet werden, darüber wird jedoch im Einzelfall in Abhängigkeit von der Schilddrüsenhormonlage entschieden. In jedem Fall sollten Sie auf eine jodarme Ernährung achten (z.B. Seefisch, Muscheln etc. vermeiden). Sie sollten insbesondere auch darauf achten, keine jodhaltigen Medikamente (Röntgenkontrastmittel, Vitaminpräparate, Augentropfen, Desinfektionsmittel) zu verwenden.
Nachdem Sie Ihre individuell bestimmte therapeutische Aktivitätsmenge an Iod-131 erhalten haben, müssen Sie für ca. 48 h im Krankenzimmer bleiben, danach können Sie die stationseigene Terrasse bzw. den Aufenthaltsraum mit Fitnessmöglichkeiten nutzen.
Während der Behandlung werden täglich Schilddrüsen- und Ganzkörperaktivität gemessen, die Messergebnisse geben Aufschluss über die tatsächlich erzielte Therapiedosis und Ihren zu erwartenden Entlassungstag. Bei abzusehender deutlicher Unterdosierung kann bereits während des stationären Aufenthalts eine Nachtherapie in Erwägung gezogen werden.
Nebenwirkungen und Risiken
Bei Patienten, die wegen relativ großer Strumen mit hohen Aktivitätsmengen behandelt werden müssen, kann es in selten Fällen in den ersten Tagen nach Gabe von Radioiod zu einer Art Entzündungsreaktion (Strahlenthyreoiditis) kommen, die in der Regel problemlos durch symptomatische Maßnahmen (z.B. Eiskrawatte) und nicht steroidale Antiphlogistika zu behandeln ist. Kortikosteroide sind nur in sehr seltenen Fällen erforderlich.
Um eine starke Belastung der Speicheldrüsen zu vermeiden - das radioaktive Iod wird teilweise in die Speicheldrüse aufgenommen -, muss für einen guten Speichelfluss gesorgt werden, dies geschieht durch die Gabe von z.B. Zitronensaft oder saure Bonbons.
Bei Patienten mit M. Basedow und einer vorbestehenden endokrinen Orbitopathie wird die Radioiodtherapie unter Kortikosteroidschutz durchgeführt. Dadurch wird eine therapiebedingte Verschlechterung der endokrinen Orbitopathie vermieden.
Umfangreiche Studien aus den USA und Schweden belegen, dass bei Erwachsenen nach Radioiodtherapie kein auf die Strahlenbehandlung zurückzuführendes relevant erhöhtes Risiko für Schilddrüsenkrebs, aber auch Malignome anderer Organe besteht, ebenso kann ein gesteigertes Risiko für genetische Anomalien verneint werden.
Ergebnisse der Radioiodtherapie
Ziel der Radioiodtherapie bei der Schilddrüsen-Autonomie ist die Beseitigung der Hyperthyreose, dies wird bei mehr als 90% der Patienten erreicht; die Rate der notwendigen Wiederholungstherapien liegt bei etwa 5%. Im Laufe der Zeit kann sich bei etwa 10 % der Patienten eine Hypothyreose entwickeln, die ggf. mit der Gabe von Schilddrüsenhormonen ausgeglichen werden muss.
Beim Morbus Basedow gelangt in der Regel das sog. ablative Konzept zur Anwendung. Hierbei gelingt in über 90% der Fälle die Beseitigung der Hyperthyreose, dies mit dem Ziel einer Hypothyreose, die dann mit Schilddrüsenhormon substituiert wird.
Mittels der Radioiodtherapie lässt sich auch das Struma- bzw. Knotenvolumen um 30-50% verkleinern.
Nachsorge
Am Entlassungstag wird Ihnen eine Empfehlung bzgl. eventuell noch erforderlicher Strahlenschutzmaßnahmen gegeben, des weiteren erhalten Sie einen Kurzbrief, in dem Ihrem Hausarzt über die Durchführung der Radioiodtherapie und eine ggf. erforderliche Schilddüsenmedikation berichtet wird.
Ca. 3-6 Wochen sollte erstmals eine Bestimmung der Schilddrüsenhormone erfolgen.
Etwa 6 Monaten nach Radioiodtherapie sollte eine ausführliche Untersuchung zur Kontrolle des Erfolgs und zur Dokumentation des Therapieergebnisses durchgeführt werden. Diese Untersuchung umfasst neben der Bestimmung der Schilddrüsenlaborwerte, die Sonographie und die Szintigraphie.
Patienten mit einer Hyperthyreose müssen unabhängig von Ursache und Behandlungsart (medikamentös, Operation, Radioiodtherapie) lebenslang bezüglich der Schilddrüsenfunktion kontrolliert werden um Rezidive der Hyperthyreose bzw. das Auftreten einer (Spät-)hypothyreose frühzeitig zu erkennen. Langfristig werden Kontrollintervalle von 1-2 Jahren auch bei euthyreoter Funktion empfohlen.
Kontakt:
Dietlein M, Dressler J, Joseph K, Leisner B, Moser E, Reiners Chr, Schicha H, Schneider P, Schober O: Leitlinie zur Radioiodtherapie (RIT) bei benignen Schilddrüsenerkrankungen. Nuklearmedizin 38: 219-220, 1999
Knesewitsch P: Radiojodtherapie benigner Schilddrüsenerkrankungen.
In: C. Auernhammer, D. Engelhardt, B. Göke, K. Parhofer (Hrsg.)
Urban & Fischer Verlag, München Jena, 2003, S. 58 – 63
Reiners Chr: Zum Krebs- und genetischen Risiko nach Radioiodtherapie der Hyperthyreose. Nuklearmediziner 20: 331-334, 1997