Therapie mit Metaiodobenzylguanidin (MIBG)
Therapie von Phäochromozytomen/Paragangliomen
Hintergrund
Das Phäochromozytom ist eine der häufigsten Erkrankungen der chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks mit einer Inzidenz von 1/100.000 Personen/Jahr. Es handelt sich um einen Tumor, der Katecholamine produziert (Noradrenalin, Adrenalin und Metanephrine). Er ist zu 85 % im Nebennierenmark lokalisiert, kommt jedoch auch in den Nervenzellen des thorakalen und abdominalen Grenzstrangs vor (Paragangliom), produziert hier aber fast ausschließlich Noradrenalin. Etwa 15% der Phäochromozytome sind maligne, hierzu finden sich in der Literatur unterschiedliche Prozentangaben.
Das Phäochromozytom tritt isoliert oder im Rahmen eines MEN 2-Syndroms (multiple endokrine Neoplasien), beim von-Hippel-Lindau-Syndrom und bei der Neurofibromatose Typ 1 (Morbus Recklinghausen) auf.
Als typische Symptome treten vor allem anfallsartiger Bluthochdruck (paroxysmale Hypertonie) oder dauerhafte Blutdruckerhöhungen (persistierende Hypertonie, oft bei Kindern) auf. Während der Phasen des erhöhten Blutdruckes können Kopfschmerzen, Schwindel, Herzrasen und Schwitzen hinzu kommen. Weitere Zeichen sind blasse Haut, Blutzuckererhöhung (Hyperglykämie), eine Leukozytose und Gewichtsverlust.
Die Diagnose basiert auf den klinischen Symptomen. Besonders verdächtig sind sporadisch auftretende Bluthochdruckattacken, bei der die gängigen medikamentösen Therapien nicht ansprechen. Da ein Phäochromozytom für den betroffenen Patienten eine ernsthafte Gefahr darstellt, muss eine zuverlässige Labordiagnostik erfolgen. Hierfür stehen eine Reihe von Verfahren zur Verfügung. Dies sind in erster Linie die Bestimmung der Katecholamine (Adrenalin, Noradrenalin) beziehungsweise deren Abbauprodukte (Metanephrin und Normetanephrin) aus dem 24 Stunden-Urin. Der Nachteil der vorgenannten Labormethoden ist jedoch, dass weder ein positives noch ein negatives Ergebnis eine sichere Aussage ermöglicht. Dies ist lediglich durch die quantitative Bestimmung der Metanephrine im Plasma möglich. Wenn diese nicht erhöht sind, ist ein Phäochromozytom mit Sicherheit auszuschließen. Die diagnostische Sensitivität dieser Methode ist nahezu 100 %, Wenn die Metanephrine im Plasma dagegen auch im wiederholten Falle erhöht sind, besteht ein starker Verdacht auf ein Phäochromozytom und es muss eine weiterführende Lokalisationsdiagnostik durchgeführt werden. Dies geschieht mittels bildgebender Verfahren wie Computertomographie und Sonographie oder MRT-Bildgebung.
Zusätzlich kann eine Tumordiagnostik mit dem tumorspezifischen Radiopharmazeutikum Meta-Iod-Benzylguanidin (MIBG) erfolgen. MIBG ist eine chemisch dem Adrenalin und Noradrenalin nahe stehende Substanz, die ähnlich wie die genannten Hormone in die chromaffinen Granula sympathoadrenaler Gewebe aufgenommen wird und sich daher vornehmlich in den betroffenen chromaffinen Zellen des Phäochromozytoms ablagert. Die nuklearmedizinische Methode der MIBG-Szintigraphie dient vor allem der Lokalisation von Phäochromozytomen außerhalb der Nebenniere (Phäochromozytome in der Nebenniere werden primär in CT/MRT diagnostiziert). Eine neuere und zuverlässige Form der nuklearmedizinischen Diagnostik ist darüber hinaus das so genannte [18F]DOPA-PET/CT. Hierbei nutzt man die biologische Eigenschaft dieser Tumoren, vermehrt biogene Amine aufzunehmen und dann in spezifischen intrazellulären Speichern (Vesikeln) anzureichern. Die Tumoren zeigen im Vergleich zu dem umliegenden normalen Gewebe eine vermehrte Aufnahme von [18F]DOPA und so lassen sich selbst kleinste Metastasen oder auch der Primärtumor sicher darstellen.
Die Therapie erfolgt durch die operative Resektion. Bei einem einseitigen Phäochromozytom führt man eine totale Entnahme der Nebenniere dieser Seite durch, im Rahmen eines MEN-Syndroms entfernt man beidseitig lediglich das Nebennierenmark. Bei 80 % der Patienten normalisieren sich postoperativ Katecholaminspiegel und Blutdruck.
Im Falle einer inoperablen Metastasierung bieten sich systemische Therapieformen wie die Gabe von Somatostatinanaloga (Sandostatin) und Interferonen oder in einigen Fällen auch eine Chemotherapie an. Eine weitere Möglichkeit ist die spezifische Therapie mit radioaktiv markiertem Meta-Iod-Benzylguanidin. Hierbei wird das MIBG mit dem therapeutisch wirksamen radioaktiven beta-Strahler Iod-131 markiert ([131I]MIBG). Die Gabe dieser Substanzen ermöglicht eine interne Strahlentherapie, die selektiv auf die Tumorzellen wirkt und das gesunde Gewebe weitgehend schont. Dieses Verfahren ist insbesondere für Patienten mit hochdifferenzierten, langsam wachsenden Tumoren/Metastasen geeignet, die erfahrungsgemäß einer Chemotherapie weniger zugänglich sind und bei denen die chirurgischen oder lokalen (Radiofrequenzablation/ Chemoembolisation) Möglichkeiten erschöpft sind. Eine Heilung ist mit der MIBG-Therapie nicht zu erwarten, jedoch ist ein weiteres Fortschreiten der Erkrankung in bis 50% der Fälle verzögerbar.
Wie wird die [131I]MIBG-Therapie durchgeführt?
Alle Patienten werden vor Therapie in einem interdisziplinären Tumorboard unter Beteiligung von Internisten, Chirurgen, Strahlentherapeuten und Nuklearmedizinern besprochen, um die bestmögliche Therapiestrategie festzulegen.
Vorbereitung
Bei der MIBG-Szintigraphie/Therapie wirken sich Reserpin (z.B. als Kombination in Briserin oder Darebon) und trizyklische Antidepressiva (Amitryptilin, Imipramin u. entsprechende Derivate) nachteilig auf die Speicherung aus und sollten vorher abgesetzt werden. Eine weniger ausgeprägte Uptake-Reduzierung wird durch den alpha-Blocker Phenoxybenzamin (Dibenzyran) verursacht, dieses Medikament kann jedoch weiter eingenommen werden. Ferner wird eine verzögerte oder herabgesetzte MIBG-Aufnahme auch bei Einnahme von Labetalol, Calciumkanalblockern (Diltiazem, Nifedipin, Verapamil), Sympathomimetika (auch in Nasentropfen), Kokain und Phenothiazin beschrieben, hier sollte individuell entschieden werden, ob ein Absetzen der Medikamente vor Therapie notwendig ist.
Neben den üblichen Routine-Laboruntersuchungen (Blutbild, Leber-/Nierenparameter) wird vor jeder Therapie die MIBG Speicherfähigkeit der Tumorherde mit einer diagnostischen [123I]MIBG Szintigraphie überprüft. Je nach Tumorart und vorliegender Symptomatik können weitere Untersuchungen wie z.B. Tumormarkerbestimmung oder Langzeit-EKG-/-Blutdruckmessungen notwendig werden. Optional wird zur Abklärung einer Knochenmetastasierung eine [18F]Fluorid-PET-Untersuchung oder alternativ eine Skelettszintigraphie mit [99mTc]DPD durchgeführt.
Therapie
Für die eigentliche Therapie wird eine Venenverweilkanüle gelegt und mit einem Infusionssystem verbunden. Die Gabe des radioaktiv markierten MIBG erfolgt über einen intravenösen Zugang als Infusion über 2 Stunden unter ständiger Blutdruck- und EKG-Kontrolle, da es ggf. zu Bluthochdruckkrisen kommen kann, welche medikamentös behandelt werden müssen. Aufgrund der ausgesendeten radioaktiven Strahlung ist die Isolation auf der Therapiestation bis zum Erreichen eines Entlassungswertes erforderlich. Die Aufenthaltsdauer auf der Therapiestation beträgt ab der Therapie in der Regel zwischen 3 und 6 Tagen. Nach Therapie wird eine Ganzkörperszintigraphie am Entlassungstag zur Dokumentation des Verbleibs der radioaktiven Substanz durchgeführt. Zusätzlich erfolgen regelmäßige Blutkontrollen. Während der Therapie ist auf eine ausreichende Flüssigkeitzufuhr zu achten.
Welche Nebenwirkungen kann die [131I]MIBG-Therapie haben?
Nebenwirkungen treten in der Regel nicht auf; in seltenen Fällen, in denen das Tumorgewebe hormonaktive Substanzen produziert, können unter der Therapie Nebenwirkungen durch vermehrte Freisetzung dieser Substanzen aus dem Tumorgewebe in die Blutbahn entstehen. Zu den bisher bekannten Nebenwirkungen gehören unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen und Müdigkeit. Möglich sind insbesondere akute Bluthochdruckkrisen. Ausserdem sind mittelfristig Blutbildveränderungen mit Reduktion der Zahl der roten Blutkörperchen (Erythrozyten), der Blutplättchen (Thrombozyten) und der weissen Blutkörperchen (Leukozyten) möglich, monatliche Blutbildkontrollen nach Therapie sind daher zu empfehlen. Aufgrund der Strahlenbelastung des gesunden Lebergewebes kann es zu einer Funktionseinschränkung der Leber kommen. Aus diesem Grund wird auch eine Überwachung der Leberparameter empfohlen. Bei Patienten mit ausgedehnter Lebermetastasierung kann es durch die radioaktive Bestrahlung des Lebergewebes zu einer Leberschwellung mit vorübergehender Dehnung der Leberkapsel kommen, die Schmerzen hervorrufen kann. Bei Patienten mit ausgeprägter Lebermetastasierung empfiehlt sich daher eine Prophylaxe mit Kortison. Es ist Vorsorge getroffen, dass bei allen Nebenwirkungen eine kompetente ärztliche Versorgung zur Verfügung steht.
Die Therapie kann in mehreren Zyklen in Abhängigkeit von der jeweils vor jedem Zyklus überprüften MIBG-Speicherung und den Laboparametern erfolgen. Nach Therapie sind regelmäßige Kontrollen mit Durchführung von Sonographie, CT und MIBG-Szintigraphie bzw. ggf. [18F]DOPA PET/CT geplant.
Welche Medikamente werden zusätzlich gegeben?
Vor Beginn der Therapie erfolgt eine medikamentöse Schilddrüsenblockade (Irenatgabe: ab 5 Tage vor Therapie bis 10 Tage nach Therapie: 3 x 30 Tropfen). Um eventuelle Nebenwirkungen zu vermeiden, werden parallel zur MIBG Therapie Begleitmedikamente verabreicht. Zur Vermeidung von Blutdruckkrisen bei hormonaktiven Tumoren wird je ein Beta-Blocker (Propanolol (Dociton) 10 mg (1-0-1)) und ein Alpha-Blocker (Phenoxybenzamin (Dibenzyran) 10 mg (1-0-1)) verabreicht. Zur Prophylaxe einer eventuellen Leberschwellung bei ausgedehnter Lebermetastasierung wird Fortecortin (am Tag der Therapie intravenös, dann oral) verabreicht. Da dieses Medikament wiederum zu Magenbeschwerden führen kann, wird während der Fortecortin-Gabe auch ein Magenschutz (Pantozol) gegeben. Optional werden bei Bedarf Schmerzmittel und Medikamente gegen Übelkeit/Erbrechen verabreicht.
Ein- und Ausschlusskriterien
Einschlusskriterien
- Alter zwischen 18 und 70 Jahren
- Metastasiertes Phäochromozytom (histologisch nachgewiesen) mit positivem Nachweis einer [123I]MIBG Speicherung in der Szintigraphie
- Tumorprogress unter/nach Standardtherapie
- Schriftliche Einwilligung des Patienten zur Therapie
Ausschlusskriterien
- Andere maligne Zweittumorerkrankung
- Knochenmarksdepression nach Chemotherapie
- Schlecht differenzierte Tumoren mit hohem Proliferationsindex
Therapie bei Kindern mit Neuroblastom
Das Neuroblastom stellt 7-8 % aller Malignome im Kindesalter dar. In Deutschland erkranken pro Jahr ca. 130 Kinder. Dies entspricht einer Inzidenz von 1 Kind/100.000/Jahr.
Es handelt sich Tumorerkrankung des Nervensystems, die meist Kleinkinder bis zum sechsten Lebensjahr betrifft. Das mittlere Alter zum Zeitpunkt der Diagnosestellung eines Neuroblastoms liegt bei 2 Jahren. Das Neuroblastom entsteht aus entarteten, unreifen (embryonalen) Zellen des sympathischen Nervensystems, welches – als ein Teil des autonomen Nervensystems – die unwillkürlichen Funktionen, wie Herz- und Kreislauf, Darm- und Blasentätigkeit, steuert. Neuroblastome können überall dort auftreten, wo sich sympathisches Nervengewebe befindet. Am häufigsten entstehen sie im Nebennierenmark (ca. 50% der Fälle) sowie im Bereich der Nervengeflechte auf beiden Seiten der Wirbelsäule, dem so genannten Grenzstrang. Entsprechend können Neuroblastome auf jeder Höhe entlang der Wirbelsäule entstehen: im Bauch-, Becken-, Brust- und Halsbereich. In der Mehrzahl dieser Fälle befindet sich der Tumor im Bauchraum, etwa ein Fünftel der Tumoren befindet sich im Brust- und Halsbereich.
Erstsymptom ist meist der sicht- oder tastbare Tumor, der häufig im Rahmen von Routineuntersuchungen auffällt und sekundär zu Ernährungsstörungen, Erbrechen oder Enteritis ähnlichen Symptomen führen kann. Die vor allem bei Säuglingen auftretenden intrathorakalen oder mediastinale Tumoren manifestieren sich in Husten, dem Auftreten von Stridor und Dyspnoe bis hin zur Entwicklung eines Querschnittssyndroms. Hinzu kommen Allgemeinsymptome wie Knochenschmerzen (sehr häufig), die zur Fehldiagnose einer rheumatischen Erkrankung oder Osteomyelitis führen können. Abgeschlagenheit und Fieber treten ebenfalls häufig auf. Als Zeichen der Metastasierung zeigen sich Blässe, Müdigkeit und Blutungen (Knochenmarkmetastasen), Knötchenbildungen der Haut (Hautmetastasen) oder Veränderungen am Auge (Orbitainfiltration).
Die Diagnostik eines Neuroblastoms erfolgt, ähnlich wie beim Phäochromozytom/Paragangliom des Erwachsenen, durch die Bestimmung erhöhter Konzentrationen von Katecholaminen bzw. deren Metaboliten im Urin, den bildgebenden Nachweis von Tumorgewebe (Sonographie, MRT/CT), den histologischen Nachweis von Tumorzellen aus Tumorgewebsproben, den Nachweis von Tumorzellen im Knochenmark-Aspirat und durch die spezifische Anreicherung von [123I]MIBG im Primärtumor und gegebenenfalls den Metastasen in der Szintigraphie (siehe Diagnostik Phäochromozytom/ Paragangliom).
Therapeutisch wird in frühen Stadien die alleinige operative Tumorentfernung angestrebt, in fortgeschritteneren Stadien wird der Operation eine Chemotherapie vorgeschaltet. Ggf. wird zusätzlich eine Strahlentherapie angewandt. Bei Kindern, die an einem metastasierten Neuroblastom erkrankt sind, ist prinzipiell auch eine spezifische Therapie mit radioaktivem [131I]MIBG möglich. Diese wird in unserer Abteilung ebenfalls unter stationären Bedingungen durchgeführt, Indikationsstellung und Vorbereitung zur Therapie erfolgen aber ausschließlich über die Haunersche Kinderklinik (Tel. Onkol. Tagesklinik: 089/5160-4498 o. 4499; Ansprechpartner: OÄ Dr. U. Graubner/OÄ Dr. I. Schmid).
Für weitere Fragen zu Ihrem Aufenthalt wenden Sie sich bitte an:
Safford SD, Coleman RE, Gockerman JP, Moore J, Feldman JM, Leight GS Jr, Tyler DS, Olson JA Jr. Iodine -131 metaiodobenzylguanidine is an effective treatment for malignant pheochromocytoma and paraganglioma. Surgery 2003; 134: 956-62; discussion 962-3
Sisson JC. Radiopharmaceutical treatment of pheochromocytomas. Ann N Y Acad Sci. 2002; 970: 54-60.
Loh KC, Fitzgerald PA, Matthay KK, Yeo PP, Price DC. The treatment of malignant pheochromocytoma with iodine-131 metaiodobenzylguanidine (131I-MIBG): a comprehensive review of 116 reported patients. J Endocrinol Invest. 1997; 20: 648-58