Therapie von neuroendokrinen Tumoren
Hintergrund
Neuroendokrine Tumoren sind in der Lage, entsprechend des entarteten Gewebes Hormone zu produzieren. Am häufigsten sind die sogenannten GEP-Tumoren (Gastro-, Entero-, Pankreastumore). Diese treten im Magen, Darm oder in der Bauchspeicheldrüse auf. Abhängig von der jeweiligen Hormonproduktion werden die GEP-Tumoren in funktionell aktive Tumoren (Hormon freisetzende Tumoren) und funktionell inaktive Tumoren (nicht Hormon freisetzende Tumore) unterteilt. Zu den Hormon freisetzenden Tumoren gehören die Gastrinome, Insulinome, Glukakonome, VIPome, Somatostatinome und die Karzinoide. Letztere stellen den häufigsten GEP-Tumor dar und finden sich vorwiegend im Dünndarm, in der Appendix (Blinddarm), im Magen und Dickdarm. Etwa 50 % der Karzinoide sind inaktiv und verursachen oft erst nach etwa 5 - 10 Jahren Krankheitsverlauf Beschwerden wie Bauchschmerzen, Gewichtsverlust oder Ikterus (Gelbsucht). Diese unspezifischen Symptome, die häufig durch eine zunehmende Raumforderung bzw. eine Verdrängung anderer Organe dieser langsam wachsenden Tumoren entstehen, führen oft zu einer langwierigen Diagnostik, bis das Karzinoid als Ursache erkannt wird. Die andere Hälfte der Karzinoide ist hormonproduzierend, wobei in der Anfangszeit der Erkrankung die Hormone in der Leber abgebaut werden können. Mit zunehmender Krankheitsdauer kommt es aber häufig zu einer Metastasierung der Leber, die die Leberfunktion herabsetzt, woraufhin die Hormone nicht mehr ausreichend abgebaut werden können. Dies führt zu dem typischen Karzinoidsyndrom mit Flush-Symptomatik (Gesichts- und Oberkörperrötung) verbunden mit Herzbeschwerden und Schweißausbrüchen, krampfartigen Bauchschmerzen, Durchfall und möglichen Atembeschwerden.
Der zweithäufigste Tumor der sog. GEP-Tumore ist das Gastrinom. Dieses findet sich häufig in der Bauchspeicheldrüse und dem Duodenum (Dünndarmabschnitt), seltener in anderen Organen. Das Gastrinom produziert Gastrin, welches die Magensäurebildung anregt. Hierdurch kommt es zu einer Übersäuerung des Magens mit häufig Entstehung von Geschwüren im Bereich des Dünndarms und Durchfällen.
Fast ebenso häufig wie das Gastrinom ist das Insulinom, welches im Bereich der insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse entsteht und unkontrolliert Insulin ausschüttet. Dadurch kommt es zu einer Absenkung des Blutzuckerspiegels. Folge sind z.B. Schwäche, Zittern, Hungergefühl und Schwitzen. In diesem Fall sind regelmäßige Blutzuckerkontrollen notwendig.
Desweiteren sind Glukagonome (Bauchspeicheldrüse), VIPome (Bauchspeicheldrüse), Somatostatinome und als Sonderfall das MEN-Syndrom zu nennen. Bei letzterem handelt es sich um mehrere, gleichzeitig auftretende hormonaktive Tumore wie z.B. das Insulinom, Glukagonom und Gastrinom.
Die übliche Diagnostik besteht im Nachweis des Primärtumors und der Metastasensuche (z.B. durch Ultraschall, Kernspintomographie oder Computertomographie). Zusätzlich lassen sich funktionell aktive Tumore laborchemisch durch entsprechend erhöhte Hormonspiegel im Blut oder die Abbauprodukte im Harn nachweisen. Eine Besonderheit der GEP-Tumore stellen spezielle Rezeptoren an der Tumorzelloberfläche dar, die als Andockstelle für das Hormon Somatostatin dienen. Während diese sog. Somatostatinrezeptoren (SSTR) auch im normalen Gewebe vorkommen, ist die Dichte an der Tumorzelloberfläche stark erhöht.
Diese Eigenschaft macht diese Tumoren nuklearmedizinsichen diagnostischen und therapeutischen Verfahren zugänglich:
Hierzu werden radioaktiv markierte, dem Somatostatin ähnliche Eiweissbausteine (Somatostatinanaloga) dem Patienten intravenös verabreicht. Diese binden an die Somatostatinrezeptoren und können aufgrund des gebundenen radioaktiven Nuklids zum einen zu diagnostischen Zwecken mit einer nuklearmedizinischen Kamera (PET/CT-Scanner) registriert werden bzw. unter Verwendung von therapeutisch wirksamen Nukliden zur spezifischen internen Strahlentherapie genutzt werden. Aufgrund der im Vergleich zur herkömmlichen Gamma-Kamera deutlich besseren Auflösung der PET/CT Untersuchung und der zusätzlichen morphologischen Information (genaue Darstellung der anatomischen Strukturen durch die Computertomographie) kann die Empfindlichkeit der Tumordetektion mit diesen neueren Verfahren deutlich gesteigert werden.
Die Radiopeptid-Therapie neuroendokriner Tumore eröffnet additiv zu der herkömmlichen Standard-Therapie (Operation, lokale Behandlungsverfahren, Biotherapie (Sandostatin/Interferon) Chemotherapie) eine neue vielversprechende Therapieoption. Hierbei werden Somatostatinanaloga (Peptide) mit therapeutisch wirksamen radioaktiven beta-Strahlern (meist Lutetium-177) markiert (z.B. [177Lu]DOTATATE). Die Gabe dieser Substanzen ermöglicht eine interne Strahlentherapie, die selektiv auf die Tumorzellen wirkt und das gesunde Gewebe weitgehend schont (strahlenexponiert sind im wesentlichen die Nieren (Ausscheidung) und deutlich weniger das Knochenmark). Durch die Verwendung von [177Lu]DOTATATE kann jedoch das Risiko einer bleibenden Nierenschädigung, eine normale Nierenfunktion vor der Radiopeptidtherapie vorausgesetzt, minimiert werden. In Abhängigkeit von Tumortyp und Metastasierungsmuster kann die Radiopeptidtherapie alternativ auch mit Yttrium-90 markiertem DOTATATE (90Y-DOTATATE) durchgeführt werden. Dieses Verfahren ist insbesondere für Patienten mit hochdifferenzierten, langsam wachsenden Tumoren/Metastasen geeignet, die erfahrungsgemäß einer Chemotherapie weniger zugänglich sind und bei denen die chirurgischen oder lokalen (Radiofrequenzablation/ Chemoembolisation) Möglichkeiten erschöpft sind. Auch Patienten, die einen Progress unter medikamentöser Therapie mit Somatostatinanaloga aufweisen oder Patienten mit ausgeprägter klinischer Symptomatik können von einer Radiopeptid-Therapie profitieren. Die Behandlungsergebnisse dieser Form der Therapie aus verschiedenen europäischen Zentren (München, Rotterdam, Basel, Mailand, Bad Berka) zeigen eine hohe Tumoransprechrate (Ansprechraten bis 40 %) und insbesondere einen deutlich positiven Effekt auf die klinische Symptomatik und das Überleben.
Wie wird die Radiopeptid-Therapie durchgeführt?
Alle Patienten werden vor Therapie in einem interdisziplinären Tumorboard unter Beteiligung von Internisten, Chirurgen, Strahlentherapeuten und Nuklearmedizinern) besprochen, um die bestmögliche Therapiestrategie festzulegen.
Vorbereitung
Um eine Besetzung der SSTR mit dem oft therapeutisch verabreichten Depot-Sandostatin zu vermeiden (hierdurch wären weniger Bindungsstellen für das radioaktive Peptid vorhanden), sollte dieses mindestens 6 Wochen vor Therapie abgesetzt werden. Aufgrund der möglichen nierenschädigenden Wirkung des Radiopeptids ist eine eingehende Untersuchung der Nierenfunktion vor Therapiebeginn und als Verlaufskontrolle vor möglichen weiteren Therapien vorgesehen. Hierbei werden neben den üblichen Laboruntersuchungen (Kreatinin und Harnstoff) zum einen die glomeruläre Filtrationsrate und die tubuläre Extraktionsrate der Nieren mit zwei nuklearmedizinischen Verfahren (99mTc-DTPA-Szintigraphie und 99mTc-MAG3-Szintigraphie) bestimmt. Des weiteren wird vor jeder Therapie die SSTR-Expression des Tumors mit den o.g. nuklearmedizinisch-diagnostischen Verfahren (PET/CT) prätherapeutisch untersucht. Je nach Tumorart und vorliegender Symptomatik können weitere Untersuchungen wie z.B. Tumormarkerbestimmung (Chromogranin A, NSE etc.), Langzeit-EKG-/-Blutdruckmessungen oder Blutzucker-Tagesprofil-Bestimmungen notwendig werden.
Therapie
Für die eigentliche Therapie wird eine Venenverweilkanüle gelegt und mit einem Infusionssystem verbunden. Etwa 30 Minuten vor Beginn der Therapie wird eine Aminosäurelösung zum Nierenschutz gegeben, die eine übermäßige Aufnahme des radioaktiven Peptids in den Nieren verhindert. Diese wird über einen Zeitraum von 4 Std. fortgesetzt. Das radioaktiv markierte Peptid wird dann ebenfalls über die Verweilkanüle mit Hilfe des Perfusors über 15 Minuten appliziert. Während der Therapie werden regelmäßige Puls- und Blutdruckkontrollen durchgeführt. Nach der Strahlenschutzrichtlinie ist nach Therapie ein 48-stündiger Aufenthalt auf der Therapiestation vorgeschrieben. In diesem Zeitraum werden drei Ganzkörperszintigraphien unmittelbar nach der Infusion des Radiopeptids, sowie nach 24, 48 und 72 Std. zur Dokumentation des Verbleibs der radioaktiven Substanz und insbesondere zur Abschätzung der erreichten Herddosen (Tumor- und Nierendosen) durchgeführt. Zusätzlich erfolgen regelmäßige Blutkontrollen. Während der Therapie ist auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten.
Welche Nebenwirkungen kann die Radiopeptid-Therapie haben?
Zu den bisher bekannten Nebenwirkungen gehören unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen und Müdigkeit. Möglich ist eine erhöhte Flush-Symptomatik, die über mehrere Tage andauern kann. Nach der Therapie kann es außerdem zu Übelkeit und Erbrechen kommen. Selten kommt es infolge des Tumorzelluntergangs zu einer sehr hohen Ausschüttung von Hormonen, die mit Kreislauf- und Atembeschwerden, Kopfschmerzen und neurologischen Symptomen einhergehen können. Außerdem sind mittelfristig Blutbildveränderungen mit Reduktion der Zahl der roten Blutkörperchen (Erythrozyten), der Blutplättchen (Thrombozyten) und der weissen Blutkörperchen (Leukozyten) möglich, monatliche Blutbildkontrollen nach Therapie sind daher zu empfehlen. Aufgrund der Strahlenbelastung des gesunden Lebergewebes kann es zu einer Funktionseinschränkung der Leber kommen. Aus diesem Grund wird auch eine Überwachung der Leberparameter empfohlen. Ein vorübergehender Haarausfall kann auftreten. Selten treten allergische Reaktionen unter der Verabreichung der Therapiesubstanz auf. Bei mehrmaliger Therapie kann es zu einer Einschränkung der Nierenfunktion kommen. Es ist Vorsorge getroffen, dass bei allen Nebenwirkungen eine kompetente ärztliche Versorgung zur Verfügung steht.
Die Therapie kann in mehreren Zyklen in Abhängigkeit von der jeweils vor jedem Zyklus überprüften SSTR-Speicherung, Nierenfunktion und den bis dahin erzielten erzielten Organdosen (limitierendes Organ ist die Niere) erfolgen. Nach Therapie sind regelmäßige Kontrollen mit Durchführung von Sonographie, PET/CT und Nierenszintigraphien geplant.
Welche Medikamente werden zusätzlich gegeben?
Um für eine ausreichende Hydrierung zu sorgen, werden ab Therapie täglich 1,5 Liter Kochsalzlösung über die Vene infundiert. Optional werden bei Bedarf Schmerzmittel und Medikamente gegen Übelkeit/Erbrechen verabreicht
Ein- und Ausschlusskriterien
Einschlusskriterien
- Alter zwischen 18 und 70 Jahren
- Neuroendokriner Tumor (histologisch nachgewiesen) mit positivem Nachweis einer Somatostatinrezeptorexpression in Szintigraphie oder PET/CT
- Tumorprogress unter/nach Standardtherapie oder nicht zufriedenstellend behandelbare klinische Symptome
- Schriftliche Einwilligung des Patienten zur Therapie
Ausschlusskriterien
- Eine andere maligne Zweiterkrankung
- Eingeschränkte Nierenfunktion mit pathologischer 99mTc-DTPA- oder 99mTc-MAG3-Szintigraphie bzw. erhöhten Kreatinin- oder Harnstoffwerten
- Knochenmarksdepression nach Chemotherapie
- Schlecht differenzierte neuroendokrine Tumoren mit hohem Proliferationsindex
Für weitere Fragen zu Ihrem Aufenthalt wenden Sie sich bitte an:
Helisch A, Forster GJ, Reber H, Buchholz HG, Arnold R, Goke B, Weber MM, Wiedenmann B, Pauwels S, Haus U, Bouterfa H, Bartenstein P. Pre-therapeutic dosimetry and biodistribution of 86Y-DOTA-Phe1-Tyr3-octreotide versus 111In-pentetreotide in patients with advanced neuroendocrine tumours. Eur J Nucl Med Mol Imaging 2004; 31: 1386-9
Waldherr C, Pless M, Maecke HR, Haldemann A, Mueller-Brand J. The clinical value of [90Y-DOTA]-D-Phe1-Tyr3-octreotide (90Y-DOTATOC) in the treatment of neuroendocrine tumours: a clinical phase II study. Ann Oncol 2001; 12: 941-5
Forrer F, Waldherr C, Maecke HR, Mueller-Brand J. Targeted radionuclide therapy with 90Y-DOTATOC in patients with neuroendocrine tumors. Anticancer Res 2006; 26: 703-7
Kwekkeboom, D. J., W. W. de Herder, et al. (2008). "Treatment with the radiolabeled somatostatin analog [177 Lu-DOTA 0,Tyr3]octreotate: toxicity, efficacy, and survival." J Clin Oncol 26(13): 2124-30