Untersuchungsmethoden
Bei der vieldeutigen Angabe des Patienten, unter "Schwindel" zu leiden, ist sowohl die sorgfältige Erhebung der Anamnese als auch die neuro-ophthalmologische und neuro-otologische Untersuchung von besonderer Bedeutung.
Dabei sollten Anamnese und klinische Untersuchung zunächst darauf abzielen, periphere vestibuläre von zentralen vestibulären Schwindelformen zu unterscheiden. Die apparativen Zusatzuntersuchungen sind in vielen Fällen von untergeordneter klinischer Bedeutung.
Die meisten Störungen der Okulomotorik und des peripheren oder zentralen vestibulären Systems sowie der Stand- und Haltungsregulation können durch sorgfältige körperliche Untersuchung erkannt und topographisch zugeordnet werden. In den folgenden Bildern werden der Untersuchungsgang, die wesentlichen Befunde und deren Interpretation im einzelnen dargestellt. Wichtige Fragen bei der neuro-ophthalmologischen Untersuchung sind z.B.:
- Findet sich ein Spontannystagmus (z.B. horizontal-rotierender Spontannystagmus bei Neuritis vestibularis oder Upbeat-Nystagmus bei Medullaläsion) oder Lagerungsnystagmus (z.B. Benigner peripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel)?
- Finden sich Hinweise für zentrale vestibuläre Störungen oder zentrale Okulomotorikstörungen (z.B. Doppelbilder, sakkadierte Blickfolge, verlangsamte oder dysemetrische Sakkaden, Blickrichtungsnystagmus) oder weitere neurologische Symptome (z.B. Facialisparese, periorale Parästhesien, Dysarthrophonie, Schluckstörungen), die auf zentrale Störungen hindeuten?
Untersuchungsgang Okulomotorik und vestibuläres System
Art der Untersuchung
Inspektion
Frage nach
Körper- und Kopfhaltung Stellung der Augenlider
Neigung oder Drehung des Kopfes/Körpers Pose
Augenposition/-motilität:
Stellung der Augen beim Geradeausblick Abdeck (Cover)-Test
Untersuchung der Augen in den acht Endpositionen (bin- und monokulär)
primärer Fehlstellung, Spontan-, Fixationsnystagmus horizontaler oder vertikaler Fehlstellung Bestimmung des Bewegungs-ausmaßes Frage nach Endstellnystagmus
Blickhaltefunktion:
Blick nach etwa 10° bis 40° horizontal bzw.10° bis 20° vertikal und zurück nach 0°
Langsame Blickfolge:
horizontal und vertikal
Blickrichtungsnystagmus: horizontal und vertikal Reboundnystagmus
glatt oder sakkadiert
Sakkaden:
horizontal und vertikal beim Umherblicken und gezielter Aufforderung
Latenz,
Geschwindigkeit,
Zielgenauigkeit und konjugierten Bewegungen
Optokinetischer Nystagmus (OKN):
horizontal und vertikal mit OKN-Trommel oder Streifenband
Auslösbarkeit, Schlagrichtung und Phase (Umkehrung?)
Peripher vestibuläre Funktion:
Testung des vestibulo- okulären Reflexes (VOR)
(Halmagyi-Kopfimpulstest): Rasche Kopfdrehung und Fixation eines stationären Punktes
ein- oder beidseitige periphere vestibuläre Läsion
Fixationssuppression des vestibulo-okulären Reflexes:
Kopfdrehung und Fixation eines mit gleicher Geschwindigkeit bewegten Punktes
Störung der Fixationssuppression
Untersuchung unter der Frenzel-Brille:
Blick geradeaus, nach rechts, links, unten und oben Kopfschütteltest ("Head-shaking test")
Spontannystagmus
Provokationsnystagmus
Auslösung von Augenbewegungen und Schwindel durch Druckänderungen (Politzer-Ballon)
Lagerungsmanöver (unter Frenzelbrille):
nach rechts und links in Kopfhängelage, bei Drehung um die Körperlängsachse
Peripherer Lagerungsnystagmus
Zentraler Lagenystagmus
Stand- und Haltungsregulation:
Romberg
Einfache und erschwerte Stand- und Gangproben:
offene - geschlossene Augen
ohne - mit Kopfreklination
ohne - mit Ablenkungsmanövern (Zahlenschreiben auf die Haut, Rechnen)
Schwanken, Fallneigung
funktionelle Komponente
Apparative Zusatzuntersuchung
Psychophysische Bestimmung der Subjektiven Visuellen Vertikalen
Apparative Testung mit hemisphärischer Halbkugel
Klinischer "Bedside-Eimertest"
Fundusphotographie
Photographie des Augenhintergrundes zur Feststellung einer Augenverrollung
Videookulographie
Diese nicht-invasive und vom Patienten gut tolererte Technik erlaubt die dreidimensionale Registrierung von Augenbewegungen.
Kalorische Testung
Mittels kalorischer Testung läßt sich die Erregbarkeit und damit die Funktion des horizontalen Bogengangs seitengetrennt erfassen.
Der Kopf des Patienten wird für die kalorische Prüfung nach Ausschluß einer Läsion des Trommelfells in eine 60° Position gegenüber der Vertikalen gebracht, in welcher der horizontale Bogengang annähernd vertikal ausgerichtet und somit maximal kalorisch erregbar ist.
Es erfolgt eine jeweils einseitige Spülung der äußeren Gehörgänge - unter standardisierten Bedingungen - mit 30° C kühlem und 44° C warmem Wasser.
Kopfimpulstest
Quantitative Messung des vestibulo-okulären Reflexes in allen drei Bogengangsebenen.
Okulomotorische Testung
Quantitative Messung der verschiedenen Arten von Augenbewegungen
Posturographie
Zur Beurteilung der Stand- und Haltungsregulation lassen sich auf einer Plattform posturo- graphisch Körperschwankungen messen, die auch bei Gesunden infolge einer inhärenten physiologischen Standunruhe bestehen und bei vestibulären Erkrankungen verstärkt sind.
Ganganalyse
Hierbei werden auf einem Gangteppich (GAITRite, CIR Systems Inc., Havertown, USA) verschiedene Gangparameter (Schrittlänge, Schrittgeschwindigkeit, Doppelstandphasen, Schrittbreite etc.) analysiert. Modulationen wie langsames und schnelles Gehen, gleichzeitiges Rechnen oder Gehen mit geschlossenen Augen sind Bestandteil der Analyse.
VEMPs (Vestibulär Evozierte Myogene Potentiale)
Vestibulär Evozierte Myogene Potentiale (VEMPs) prüfen Hirnstammreflexe des vestibulären Systems auf Vibrations- oder akustische Reize der Otholithenorgane (Sakkulus, Utrikulus), die mit Oberflächenelektroden an Hals- bzw. Augenmuskeln abgeleitet werden können.
Neurophysiologische Untersuchungen
Bei klinischer Indikation werden weitere neurophysiologische Untersuchungen wie sensorisch evozierte Potentiale (SSEP), akustisch-evozierte Potentiale (AEP) und Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) ergänzt