Myasthene Syndrome
Der Begriff Myasthenie kennzeichnet eine belastungsabhängige Muskelschwäche, die sich in Ruhe wieder bessert. Ursächlich dafür ist eine Störung der Erregungsübertragung vom Nerv auf den Muskel. Zu unterscheiden sind grundsätzlich zwei Formen der Myasthenie: die erworbenen Autoimmunerkrankungen „Myasthenia gravis“ (MG) und das Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS) sowie die genetisch determinierten angeborenen „kongenitalen myasthenen Syndrome“ (CMS).
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Die Myasthenia gravis (MG) ist eine erworbene Autoimmunerkrankung, bei der es zur Bildung von Autoantikörpern gegen körpereigene Bestandteile kommt – u.a. am häufigsten gegen die sogenannten Acetylcholinrezeptoren (AChR), die an der postsynaptischen Membran der neuromuskulären Endplatte sitzen. Weitere, als ursächlich nachgewiesene Antikörperproteine, die im Rahmen einer MG nachgewiesen werden können, sind MuSK, LRP4, und Agrin.
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Das Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS) ist eine weitere seltene Autoimmunerkrankung der neuromuskulären Synapse, die mit dem Verlust von funktionellen, spannungsgesteuerten Calciumkanälen (VGCC) vom P/Q-Typ an präsynaptischen Nervenenden verursacht ist. Bis zu 60 % der Fälle treten als paraneoplastische Erkrankung auf, am häufigsten in Verbindung mit kleinzelligem Lungenkrebs (SCLC-LEMS). Die verbleibenden Fälle haben eine idiopathische Nicht-Tumor-Ätiologie, sind aber mit einer zugrundeliegenden Autoimmunerkrankung (NT-LEMS) assoziiert.
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Kongenitale myasthene Syndrome (CMS) bilden im Gegensatz zur Myasthenia gravis und Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom pathogenetisch und klinisch eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, denen eine angeborene, erbliche Störung der neuromuskulären Erregungsübertragung zugrunde liegt. Ursächlich sind genetische Veränderungen verschiedener, an der neuromuskulären Endplatte lokalisierter Proteine.
Klinisch manifestieren sich alle drei Erkrankungsformen durch eine vorzeitige, unterschiedlich schnelle abnorme Ermüdbarkeit bei wiederholten Bewegungen. Am Morgen und nach Ruhepausen ist die Kraft meist am besten, doch nach wenigen wiederholten Bewegungen ist der Muskel erschöpft. Von den Lähmungen betroffen sind insbesondere kleine Muskeln, wie die der Augenlider und die äußeren Augenmuskeln. Typische Symptome sind daher eine Ptose (Hängen der Augenlider) sowie Doppelbilder. Weitere betroffene Muskelgruppen können die mimische Muskulatur, die Kau- und Rachenmuskulatur, sowie die Muskulatur der Extremitäten sein. Ferner kann die Atemmuskulatur so stark beeinträchtigt werden, dass eine Beatmung notwendig werden kann.
Muskelgewebe ohne motorische Endplatten wie der Herzmuskel und die glatte Muskulatur sind nicht von der Krankheit betroffen.
Patienten mit Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom leiden ausnahmslos unter einer progressiven, proximalen Muskelschwäche, oft begleitet von belastungsabhängigen Muskelschmerzen der Oberschenkelmuskulatur, allgemeiner Müdigkeit und vegetativen Symptomen. Einige klinische LEMS-Symptome überschneiden sich mit denen anderer myasthener Syndrome, am häufigsten der Myasthenia gravis, was zu einer Fehl- oder verzögerten Diagnose beitragen kann. Die Prognose hängt vom Vorhandensein einer begleitenden Tumor- oder Autoimmunerkrankung und der Schwere/Verteilung der Muskelschwäche ab. Todesursache bei Patienten mit paraneoplastischen, meist mit kleinzelligem Lungenkrebs assoziiertem LEMS (SCLC-LEMS) ist typischerweise eine Tumorprogression, während die Nicht-Tumor-assoziierten Formen (NT-LEMS) die Lebenserwartung nicht verkürzen.
Während der Erkrankungsbeginn der MG in jedem Alter liegen kann, treten die CMS in den meisten Fällen bereits bei Geburt oder in den ersten Lebensjahren in Erscheinung. Verlauf und Schweregrad der CMS können sehr unterschiedlich sein: Die Symptomatik reicht vom schweren „floppy-infant“-Syndrom bei Geburt bis zu einer Minimalsymptomatik mit Ptose und leichter muskulärer Schwäche im Erwachsenenalter. Im Säuglingsalter fallen Trinkschwäche, kraftloses Schreien und generalisierte muskuläre Hypotonie, mit oder ohne Ptose, auf. In vielen Fällen kommt es – ausgelöst durch respiratorische Infekte – zu krisenhaften Verschlechterungen, die zu einer plötzlichen Ateminsuffizienz und zum Kindstod führen können.
Bei entsprechendem klinischem Verdacht lässt sich eine neuromuskuläre Erregungsübertragungsstörung elektrophysiologisch durch den Nachweis eines pathologischen Dekrements in der repetitiven Nervenstimulation sichern.
Bei der autoimmunologisch verursachten MG lassen sich in den meisten Fällen anti-AChR-Antikörper oder anti-MuSK-Antikörper im Serum der Patienten nachweisen. Sehr selten sind auch ant-LRP4- oder anti-Agrin-Antikörper nachweisbar. Die LEMS-Diagnose wird durch einen dreifachen Ansatz gestützt: klinische Merkmale, Elektromyographie und Anti-VGCC und evtl. die Anti-SOX1-Antikörper-Serologie.
Bei den hereditären CMS finden sich diese dagegen nicht. Hier spielt die Molekulargenetik zum Nachweis der ursächlichen genetischen Veränderung die herausragende diagnostische Rolle.
Bezüglich der Therapiemöglichkeiten unterscheiden sich MG und LEMS gegenüber dem CMS.
Symptomatisch lässt sich die MG durch die Gabe von Acetylcholinesterase-Hemmern behandeln. Diese Wirkstoffe steigern das Angebot des Botenstoffs Acetylcholin im synaptischen Spalt, weil sie den schnellen Abbau des Acetylcholins durch die Acetylcholinesterase verhindern. Damit bessert sich die neuromuskuläre Erregungsübertragung. Ursächlich wird die Myasthenia gravis durch eine Unterdrückung des körpereigenen Immunsystems behandelt (Immunsuppressive Kombinationstherapie) z.B. mit Cortison und Azathioprin u.a. Eine myasthene Krise kann durch Plasmpheres oder die Gbe von hochdosierten Immunglobulinen behandlet werden. Eine weitere Therapiemöglichkeit kann die Entfernung der Thymusdrüse sein, die in der Pathogenese der Erkrankung eine wichtige Rolle spielt. Mehrere neue therapeutische Wege wurden durch B-Zell-Depletion, Komplement- oder FCN-Rezeptor-Hemmungsansätze eröffnet.
Die symptomatische Behandlung von LEMS umfasst Medikamente, die die Neurotransmission verbessern wie der Kaliumkanalblocker Amifampridin /3,4-Diaminopyridin, mit Zusatz von Immunsuppressiva oder Immunmodulatoren wie z. B. Prednison plus Azathioprin. Bei einem Tumornachweis sollte die onkologische Behandlung Vorrang haben.
Auch ein Teil der CMS-Patienten lässt sich mit Acetylcholinesterase-Hemmern oder 3,4-Aminopyridin befriedigend behandeln. Manchmal ist diese Therapie jedoch nicht oder nicht dauerhaft erfolgreich. Anders als bei der autoimmunologisch ausgelösten Myasthenia gravis sprechen CMS-Patienten nicht auf eine immunsuppressive Therapie an.
Das Friedrich-Baur-Institut ist integriertes Myasthenie-Zentrum (iMZ).