Polyneuropathien
Polyneuropathien sind erworbene und hereditäre Erkrankungen des peripheren Nerven. Die Prävalenz liegt bei 2,4-10%, abhängig vom Alter. Klinisch kommt es zu distalen schlaffen Lähmungen und deutlicher Verschmächtigung (Atrophie) der betroffenen Muskulatur an Händen und Füssen und Reflexverlust. In unterschiedlichem Ausmaß sind sensible Störungen/Ausfälle vorhanden (z.B. Gefühllosigkeit (Taubheit), Pelzigkeit, Kribbeln, Brennen), die eine Gang- und Standunsicherheit bewirken können. Die Ursachen sind vielfältig. Am häufigsten ist die diabetische Polyneuropathie, die ca. ein Drittel aller Neuropathien ausmacht, gefolgt von alkohol- und medikamentös-induzierten Neuropathien. Den Rest bilden inflammatorische, immunvermittelte, hereditäre und idiopathische Neuropathien.
In ca. 30% der Neuropathien findet man die Ursache nicht. Wichtige Informationen liefern der Verteilungstyp und die Erkrankungsdauer. Die häufigste Neuropathie verläuft distal-symmetrisch. Ein asymmetrischer, multilokulärer Verteilungstyp mit akutem/subakutem Beginn spricht für eine inflammatorische/immunvermittelte Neuropathie. Definiert ist ein akuter Beginn mit progredienten Symptomen innerhalb < 4 Wochen, ein subakuter Beginn mit einer Zeitspanne von 4 bis 8 Wochen und ein chronischer Verlauf mit länger als 8 Wochen.
Begleitsymptome können schmerzhafte Mißempfindungen (Dysästhesien) sein: brennend, stechend, drückend, manschettenartig, kribbelnd. Zusätzliche Manifestationen wie proximale Paresen und Hirnnervenbeteiligung sind zu beachten. Sie können sowohl bei hereditären wie auch bei erworbenen Erkrankungen vorkommen.
Das GBS = akute inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (AIDP) ist eine akute entzündliche Erkrankung des peripheren Nerven. Häufig ist die Assoziation mit einer zurückliegenden Infektion, u.a. mit Campylobacter-Jejuni, Cytomegalie-Virus,Epstein-Barr-Virus und Mykoplasma pneumoniae. Die Diagnose kann aufgrund typischer Befunde in Elektrophysiologie und Liquor gestellt werden.
Klinischer Verlauf
Das klassische GBS ist eine demyelinisierende Neuropathie mit monophasischem Verlauf. Mittlerweile sind auch axonale Verlaufsformen bekannt. Typisch sind Paresen, die häufig distal-symmetrisch beginnen und sich innerhalb einiger Tage nach proximal ausdehnen können bis hin zu Schluckstörungen und Ateminsuffizienz (in ca. 25 %). Die Lähmungen treten meist in den Beinen zuerst auf, können sich aber auch an den Armen und an der Gesichtsmuskulatur manifestieren. In der Mehrzahl der Fälle kommt es nach 2 - 4 Wochen zu keiner weiteren Progredienz der Paresen. Zu Beginn der Erkrankung kommen Dysästhesien und Parästhesien vor, im Verlauf entwickeln sich sensible Defizite.
Zu beachten ist, dass Dysfunktionen des autonomen Nervensystems häufig sind. Es können Herzryhthmusstörungen auftreten wie Sinustachykardie, Bradykardie, Gesichtsrötung, orthostatische Dysregulation mit Hypotension.
GBS-Varianten
- Bei der akuten sensomotorischen axonalen Neuropathie (ASMAN) kommt es zu schweren Paresen, Sensibilitätsstörungen, raschem Verlauf und inkompletter Rückbildung. Die Erkrankung ist assoziiert mit Antikörper-Bildung gegen Ganglioside.
- Bei der akuten motorischen axonalen Neuropathie (AMAN) treten akut Paresen auf mit besonders rascher Progredienz, ohne Sensibilitätsstörungen, assoziiert mit vorausgegangener Campylobacter-Infektion sowie Antikörper-Bildung gegen Ganglioside (GM1, GM1b, GD1a, GalNac-GD1a).
- Das Miller-Fisher-Syndrom ist gekennzeichnet durch das klinische Trias Ophthalmoplegie, Ataxie, Areflexie, assoziiert mit dem Nachweis von GQ1b-Antikörpern (Gangliosid-Antikörper) im Serum. Eine Schwäche der mimischen Muskulatur kann zusätzlich vorhanden sein, Paresen der Extremitäten sind nicht obligat.
Diagnostik
- Elektroneurografie/Elektromyografie: Unterscheidung zwischen demyelinisierendem GBS und den axonalen Varianten.
- Liquordiagnostik. Typisch ist die zytoalbuminäre Dissoziation, d.h. Eiweiß-Erhöhung durch Störung der Blut-Nerven-Schranke bei normaler Zellzahl.
- Labordiagnostik: Nachweis einer vorausgegangenen Infektion durch Erreger-Serologie. Nachweis assoziierter Antikörper im Serum.
Therapie
Internationale randomisierte Studien haben einen gleichwertigen und guten Effekt von Plasmapherese und hochdosierten intravenösen Immunglobulinen gezeigt, gegeben in den ersten 2-4 Wochen nach Beginn der Erkrankung. Prednisolon ist wirkungslos.
Siehe Therapieangaben: https://dgn.org/leitlinie
Die CIDP ist eine erworbene Neuropathie mit progressivem oder relapsierend-remittierendem Verlauf, assoziiert mit einer allmählichen Demyelinisierung von spinalen Wurzeln und peripheren Nerven. Ein Erkrankungsgipfel liegt im 5. - 6. Lebensjahrzehnt. Die Erkrankung entwickelt sich langsam und erreicht das Maximum 8 Wochen und später nach Symptom-Beginn. Neben distal-symmetrischen sensomotorischen Defiziten treten bei der klassischen CIDP auch proximale Paresen auf. Zusätzliche Symptome sind Parästhesien, Hirnnervenbeteiligung und eine Hypertrophie peripherer Nerven mit assoziierten Kompressions-Syndromen.
CIDP-Varianten
- Die sensorische CIDP: charakterisiert durch überwiegend sensible Symptome oder eine ataktische Neuropathie. Elektrophysiologisch zeigt sich eine Beteiligung der motorischen Nerven, nach längerem Verlauf sind auch motorische Ausfälle nachzuweisen.
- Die multifokale erworbene demyelinisierende sensorische und motorische Neuropathie (MADSAM), auch Lewis-Sumner-Syndrom genannt. Diese Neuropathie zeigt einen asymmetrischen Verteilungstyp, tritt initial an der oberen Extremität auf (vorwiegend sensorisch oder sensomotorisch). Charakteristisch ist der Nachweis multifokaler Leitungsblöcke in der Elektrophysiologie.
- Die CIDP mit zusätzlicher monoklonaler IgM-Gammopathie und Nachweis von Antikörpern gegen Myelin-Glykoprotein (MAG-AK).
- Die CIDP mit MGUS (monoklonale Gammopathie unbestimmter Signifikanz): ca. 10-20 % der Patienten mit typischer CIDP haben eine monoklonale IgG- oder IgA-Gammopathie unbestimmter Signifikanz. Die klinische Manifestation und die Therapie-Op sind ähnlich wie bei CIDP-Patienten ohne Paraproteinämie.
Diagnostik
- Elektroneurografie: Nachweis von Demyelinisierung in > 2 motorischen Nerven (verlangsamte Nervenleitgeschwindigkeiten auf weniger als 70-80% des unteren Normwertes, verlängerte distal motorische Latenzen, verlängerte F-Wellen-Latenz oder F-Wellen-Verlust).
- Liquordiagnostik: Eiweißerhöhung (Schrankenstörung)
- MRT: symmetrisch verteilte entzündliche Veränderungen und/oder Verdickung spinaler Wurzeln und peripherer Nerven
- Labordiagnostik: Nachweis von Gangliosid-Antikörpern im Serum
- Nervenbiopsie: nicht erforderlich. Option bei atypischen klinischen Verläufen mit deutlicher Progredienz.
Therapie
- Prednisolon und/oder Immunglobuline i.v. sind die Therapie-Säulen der CIDP. Die Auswahl richtet sich nach den Co-Morbiditäten der Patienten und daraus folgendem eingeschränktem Einsatz der Therapie-Substanzen. Ein Switch von Prednisolon zu IVIG und umgekehrt kann nach ausbleibender Besserung erfolgen. Zur Prednisolon-Einsparung bei längerfristiger Therapie werden Immunsuppressiva eingesetzt. Bei gutem Ansprechen auf IVIG ist die Umstellung auf Immunglobuline subcutan zugelassen.
- Das Lewis-Sumner-Syndrom spricht besser auf Immunglobuline an.
- Therapie-Optionen bei der MAG-Antikörper assoziierten Neuropathie (bei monoklonaler IgM-Gammopathie) sind IVIG und Rituximab.
- Bei CIDP mit MGUS kann die Standard-CIDP Therapie eingesetzt werden.
- Nähere Therapie-Angaben siehe auch: https://dgn.org/leitlinie
- Supportiv Physiotherapie, Hilfsmittelversorgung (Orthesen) und Schmerztherapie.
Die multifokale motorische Neuropathie ist eine erworbene Erkrankung mit langsamer Progredienz. Klinisch und elektrophysiologisch findet sich kein Nachweis einer Beteiligung sensibler Nerven. Männer sind häufiger betroffen als Frauen (2,6:1). Die Erkrankung tritt meist zwischen dem 30.-50. Lebensjahr auf.
Klinische Manifestation
asymmetrisch verteilt (> als 94 %) treten distal betonte Paresen auf, initial häufiger an der oberen als der unteren Extremität. Muskelatrophien manifestieren sich nach längerem Verlauf. Hirnnervenbeteiligung kommt selten vor (2 %). Eine respiratorische Insuffizienz ist selten durch eine uni- oder bilaterale Phrenicusparese (1%). An weiteren Symptomen sind Muskelkrämpfe, Faszikulationen und Myokymien beschrieben. In der Schwangerschaft kann sich die Erkrankung verschlechtern.
Diagnostik
- Elektroneurografie: Nachweis proximaler motorischer Leitungsblöcke (Zusätzlich Chronodispersion, Verlängerung der distalen Latenzen und F-Wellen-Latenzen).
- Liquor: Eiweiß leicht erhöht in 33 %.
- Labor: in ca. 50-70 % Nachweis von Gangliosid-GM1-Antikörpern, weniger häufig auch Nachweis von GM2- und GD1a-Antikörpern im Serum.
Falls alle diagnostischen Kriterien erfüllt sind, kann mit hoher Sicherheit von einer MMN ausgegangen werden. Häufig fehlen eines oder gar mehrere dieser Kriterien. In diesen Fällen wird das prompte Ansprechen der Paresen auf intravenöse Immunglobuline als positives Kriterium zur Diagnosesicherung verwendet. Bei fehlendem Ansprechen auf Immunglobuline sollte die Diagnose überprüft werden.
Therapie
Hochdosierte intravenöse Immunglobulin sind wirksam. Diese Therapie stellt derzeit den Goldstandard bei der Behandlung der MMN dar, muss allerdings zyklisch in individuell unterschiedlichen Intervallen wiederholt werden. Bei Langzeitgabe tritt häufig ein Wirkungsverlust der Therapie ein, der am ehesten durch sekundäre axonale Degeneration im Langzeitverlauf erklärbar ist.
Steroide haben keinen Effekt und haben in einigen Fällen sogar zu einer Verschlechterung der Paresen geführt.
Die immunsuppressive Therapie mit Cyclophosphamid hat einen positiven Effekt bei einem Teil der Patienten gezeigt. Diese Therapie weist jedoch ein großes Nebenwirkungsspektrum auf und ist zeitlich limitiert.
Studien zur Wirksamkeit und Verträglichkeit neuerer Substanzen bleiben abzuwarten, z.B. der Einsatz von Empasiprubart, ein monoklonaler C2-Komplement-Antikörper. www.clinicaltrials.gov
Weitere Therapie-Angaben unter: https://dgn.org/leitlinie
Vaskulitis im peripheren Nerv (Friedrich-Baur-Institut)
Vaskulitische Neuropathien sind Erkrankungen des peripheren Nervensystems (PNS), bei denen es durch entzündliche Veränderungen der Blutgefäße (Vasa nervorum) zur Nervenschädigung kommt. Man unterscheidet isolierte Vaskulitiden des PNS (nicht-systemische vaskulitische Neuropathien = NSVN) und Neuropathien bei systemischen Vaskulitiden oder Kollagenosen. Vaskulitische Neuropathien können auch infektiös, parainfektiös oder paraneoplastisch auftreten.
Klinische Manifestation
Das Ausmaß und die Verteilung der vaskulitischen Veränderungen bestimmen das klinische Bild. Manifestieren kann sich eine vaskulitische Neuropathie als Mononeuropathia multiplex (10-15%), als Schwerpunktneuropathie (25-50%) oder als distal-symmetrische Polyneuropathie. Typisch sind akute bis subakute Paresen mit Sensibilitätsstörung und Schmerzen im Versorgungsgebiet peripherer Nerven. Der Verlauf kann chronisch progredient oder schubförmig sein, in der Regel ohne Spontanremission. In den meisten Fällen liegt eine schmerzhafte sensomotorische, seltener eine überwiegend oder rein sensible Neuropathie vor. Bei der NSVN sind am häufigsten der N. peronäus, der N. tibialis und der N. ulnaris betroffen. Unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Gewichtsverlust, Anorexie, Arthralgien und Fieber kommen bei bis zu 80 % der Patienten mit systemischer Vaskulitis vor und bei 50% der Patienten mit NSVN vor. Patienten mit primärer systemischer Vaskulitis zeigen häufig eine multiple Organbeteiligung (Niere, Lunge, Haut, Darm und zentrales Nervensystem). Bei den Kollagenosen kommen typische Manifestationsformen vor (z. B. Engpass-Syndrome bei rheumatoider Arthritis, Ganglionitis bei Morbus Sjögren).
Diagnostik
Bei V.a. Vaskulitis hat die Nervenbiopsie einen hohen Stellenwert und ist absolut indiziert zum morphologischen Nachweis einer Vaskulitis vor Beginn einer anti-inflammatorischen/immunsuppressiven Therapie.
In der Regel wird der N. suralis biopsiert. Ist er ausgespart, wird ein anderer, klinisch betroffener sensibler Nerv ausgewählt. Eine gleichzeitig durchgeführte Muskelbiopsie kann die Trefferquote einer Vaskulitis erhöhen.
Es gibt keinen Labortest, der eine Vaskulitis definitiv nachweist oder ausschließt. Man erhält Hinweise für das Vorliegen einer systemischen Erkrankung, weiterer Organbeteiligung und erregerbedingter Erkrankungen. Wichtig ist der Nachweis/Ausschluß ANCA-assoziierter Vaskulitiden (Granulomatose mit Polyangiitis und Granulomatose mit eosinophiler Polyangiitis). Den ANCA-assoziierten Vaskulitiden sind die komplementverbrauchenden, viral oder durch Kollagenosen induzierten Vaskulitiden gegenüberzustellen. Hier kann die Bestimmung von Komplementfaktoren wie C3, C4 hilfreich sein. Die Vaskulitiden bei Kollagenosen können durch Nachweis von antinukleären Antikörpern (ANA), ANA-Subtypen- und CCP-Bestimmung, genauer zugeordnet werden. Bei Verdacht auf (para)infektiöse Vaskulitis sollten Borrelien-, Cytomegalie-, HIV- und Hepatitis B/C- Titer in Serum und Liquor bestimmt werden, bei VZV-Verdacht PCR-Analyse im Liquor. Bei Hepatitis-B/C ist häufig eine Kryoglobulinämie nachweisbar.
- Liquordiagnostik: Bei systemischer Vaskulitis ist der Liquor meist unauffällig. Bei Kollagenosen, vor allem beim systemischen Lupus erythematodes (SLE), können Pleozytose, intrathekale IgG-Synthese und/oder Eiweißerhöhungen vorkommen. Wegweisend ist der Liquorbefund bei den (para)infektiösen Vaskulitiden, wo sich in der Regel eine Pleozytose mit Schrankenstörung finden lässt. Durch Vergleich mit entsprechenden Serumtitern kann der Nachweis einer intrathekalen Antikörpersynthese geführt werden.
- Elektrophysiologie: Die Elektroneurografie zeigt das Verteilungsmuster der beteiligten Nerven, kann die subklinische Beteiligung sensibler und motorischer Nerven aufdecken und hilft bei der Festlegung des zur Biopsie geeigneten Nerven. In der Elektromyografie sieht man das Ausmaß der axonalen Degeneration (Denervierung). Die motorischen und sensiblen Nerven weisen initial häufig eine noch normale oder im unteren Normbereich liegende Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) auf bei deutlicher Amplitudenreduktion. Im Verlauf lässt sich häufig kein motorisches und sensibles Summenaktionspotential mehr ableiten, motorische Leitungsblöcke sind beschrieben.
- Nervenbiopsie: Der Nachweis von Gefäßentzündung und –nekrose durch die Biopsie ist die einzige Möglichkeit, die Diagnose einer Vaskulitis eindeutig zu stellen. Die Nervenbiopsie im gesamten Querschnitt ist sinnvoller als eine faszikuläre Biopsie, da der inflammatorische Prozess häufig fokal und segmental abläuft. Eine adäquate Aufarbeitung des Biopsiematerials inklusive Immunhistochemie zum Nachweis inflammatorischer Zellen und Differenzierung und Erstellung von Semidünnschnitten ist erforderlich. Morphologisch muss bei einer Vaskulitis eine Infiltration der Gefäßwand epineuraler Gefässe durch inflammatorische Zellen vorliegen. Eine alleinige perivaskuläre Zellinfiltration ohne Gefäßwandinfiltration reicht zur Diagnosesicherung nicht aus. In älteren Gefäßläsionen kann man Fibrin-Ablagerung und Gefäßokklusion mit sekundärer Rekanalisierung sehen. Der Nerv selbst zeigt einen unterschiedlichen Ausfall myelinisierter Axone, häufig asymmetrisch verteilt zwischen den einzelnen Faszikeln. Abhängig vom Stadium der Erkrankung sieht man axonale Degeneration (Wallerian’sche Degeneration).
Therapie
Prednisolon und Immunsuppressiva. Rituximab ist bei ANCA-assoziierter vaskulitischer Neuropathie eine Therapie-Option.
Weitere Therapie-Angaben siehe unter: https://dgn.org/leitlinie
Hereditäre Neuropathien sind eine Gruppe klinisch und genetisch heterogener Erkrankungen des peripheren Nerven. Die Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT), auch hereditäre motorische und sensorische Neuropathie (HMSN) genannt, ist die häufigste Form der hereditären Neuropathien mit einer Prävalenz von ca. 1:2.500. In Abgrenzung zur CMT sind die rein motorischen und rein sensiblen Neuropathien zu sehen, u.a. die hereditären distal motorischen Neuropathien (dHMN) und hereditären sensiblen Neuropathien (HSN) oder mit (autonomer Beteiligung) HSAN. Eine Sonderform ist die HNPP (hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Druckparesen).
Klinisch und elektroneurografisch lassen sich hereditäre und erworbene Neuropathien nicht voneinander unterscheiden.
Diagnostik
Die Familienanamnese bei hereditären Neuropathien kann leer sein, u.a. bei Spontanmutationen (de-novo-Mutationen) oder bei autosomal-rezessivem Vererbungsmodus. Die ersten Symptome müssen nicht in der Kindheit und in der Jugend auftreten. Neuropathien mit „late onset“, d.h. Symptombeginn im mittleren bis späteren Lebensalter sind bekannt.
Seit Beschreibung des ersten Neuropathie-Gens 1991 für die am häufigsten vorkommende CMT1A (PMP22-Gen) sind mittlerweile mehr als 130 Gene bekannt, die mit einer Neuropathie assoziiert sein können. Heutzutage stehen Multi-Gen-Panel und Exom-Sequenzierung zur Verfügung, sehr hilfreich für die endgültige Diagnosestellung. Nur Personen mit molekulargenetisch gesicherter Neuropathie werden an künftigen Therapie-Studien teilnehmen können.
Nervenbiopsien (in der Regel N. suralis) kommen durch die Molekulargenetik weit seltener zur Anwendung als noch vor einigen Jahren. Sie spielen noch eine Rolle bei akuten, inflammatorischen und rasch progredienten Neuropathien.
Therapie
Bis dato sind für die hereditären Neuropathien noch keine medikamentösen Therapien bekannt. Eine Ausnahme ist die Neuropathie bei der hereditären ATTR-Amyloidose. Seit 2011 steht ein Molekülstabilisator (Tafamidis) zur Verfügung und seit 2018 Gene-Silencing-Therapien.
Bei schmerzhafter Neuropathie kommen verschiedene Substanzen zum Einsatz: u.a. Pregabalin, Gabapentin, Amitryptilin, Duloxetin, Tramadol…
Supportiv stehen für die CMT-Neuropathien Physio- und Ergotherapie zur Verfügung, die regelmäßig und fortlaufend erfolgen sollten. Dies dient der Vermeidung sekundärer Komplikationen wie Muskel- und/oder Sehnenverkürzungen und daraus folgender Gelenkkontrakturen und Schmerzen. Bei klinisch häufig im Vordergrund stehender sensibler Gang- und Standataxie sowie diffuser Schwindelsymptomatik ist Physiotherapie mit integrierter Gangschulung und Gleichgewichtstraining einsetzbar.
Hilfsmittelversorgung und -optimierung sind fester Bestandteil in der Versorgung von Patienten mit Neuropathien, um die Mobilität, Selbstständigkeit in Alltag und Beruf zu unterstützen und zu erhalten.
CMT-Register
Alle Personen mit CMT-Neuropathie in Deutschland und Österreich können sich registrieren unter www.cmt-register.de. Dies ist eine Informationsplattform für alle, die sich registriert haben. Sie erhalten Informationen über künftige Therapie-Optionen und/oder -Studien.