25 Jahre Klinische Pharmakologie am LMU Klinikum München
Herr Prof. Endres, womit beschäftigt sich die Klinische Pharmakologie?
Professor Endres: "Ein wichtiges Ziel der Klinischen Pharmakologie ist es, die Wirkung von Medikamenten im Körper des Patienten zu verbessern. Dafür ist es entscheidend, nicht nur die Aufnahme und Verteilung von Wirkstoffen in den Körper, sondern auch deren Verstoffwechselung und Ausscheidung zu untersuchen. Eine besondere Bedeutung kommt der Wechselwirkung von verschiedenen Wirkstoffen untereinander zu, weil sich bei gleichzeitiger Einnahme manche Medikamente in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken oder auch hemmen. Darüber hinaus sucht die Klinische Pharmakologie nach neuen Therapieprinzipien: Besonders auf dem Feld der Immunpharmakologie wurden dabei in den vergangenen beiden Jahrzehnten eindrucksvolle Fortschritte erzielt."
Was ist das Besondere an den Immuntherapien?
Professor Endres: Die Immuntherapien beeinflussen gezielt das Immunsystem des Patienten oder sie nutzen von außen zugegebene Komponenten des Immunsystems wie Immunzellen oder Antikörper als Wirkstoffe. Mit der Immuntherapie von Tumoren ist ein Paradigmenwechsel gelungen: Während die klassischen Tumortherapien die Tumorzelle direkt angreifen – Chemotherapie, Strahlentherapie, operative Entfernung von Tumorgeweben – aktiviert die Immuntherapie körpereigene Immunzellen, die sich dann gegen die Tumorzellen richten und diese eliminieren. Die Immuntherapie ergänzt klassische Tumortherapien. Sie kann für bestimmte Krebserkrankungen bisher unerreichte Therapieerfolge erzielen.
Was macht für Sie den Reiz der Klinischen Pharmakologie aus?
Professor Endres: Der Reiz des Faches ist, dass jedes Projekt, jeder experimentelle Teilschritt, letztlich gelenkt ist vom Fernziel: Wie kann der Erkenntnisgewinn in eine verbesserte Therapie münden? Ich war einmal in einer Panel-Diskussion von Forschungsdekanen zum Thema: “Was ist das Ziel der Forschungen einer medizinischen Fakultät.“ Eine Meinung war, dass die Verdoppelung von Drittmitteln oder die Steigerung der Anzahl hochrangiger Publikationen die wesentlichen Ziele seien. Ich selbst bin jedoch davon überzeugt, dass es nur ein Ziel der Forschung an einer medizinischen Fakultät geben kann, und zwar: bessere Therapien für kranke Menschen. Dieses übergreifende Ziel basiert auf vier Teilzielen: Erstens, ein besseres Verständnis von Krankheitsmechanismen als Grundlage für neue Therapien; zweitens, bessere diagnostische Verfahren, um die Patientinnen und Patienten den für ihre Situation bestmöglichen Therapien zuzuführen; drittens, bessere Therapieverfahren, allen voran pharmakologische,operative und interventionelle Therapieverfahren ; und viertens, bessere Präventionsmaßnahmen, um vorbeugend das Eintreten bzw. die Verschlimmerung von Erkrankungen zu verhindern.
Wie nah kommt ein klinischer Pharmakologe dem Patienten?
Professor Endres: Der klinische Pharmakologe, der Therapieverfahren optimiert oder neue Therapien erforscht, kommt in der Regel nicht in unmittelbaren Kontakt mit dem Patienten. Mittelbar kommt er den Patienten natürlich trotzdem nahe, z. B. bei Forschungsarbeiten, die mit Gewebe oder Blutproben von Patienten arbeiten, bei der Optimierung von Arzneimitteltherapien für den Patienten und auch bei der Planung von klinischen Studien.
Welche Rolle spielen Interdisziplinarität und Interprofessionalität in Ihrem Bereich?
Professor Endres: Die klinische Pharmakologie ist ein Querschnittsfach, sie schlägt eine Brücke von Grundlagenforschung zur klinischen Anwendung. Natürlich forschen auch andere klinische Fächer an der Entwicklung neuer Therapien. Die Interdisziplinarität gehört jedoch praktisch zum Wesen der klinischen Pharmakologie, da sie die Grundlagen der Arzneimitteltherapie fachgebietsübergreifend untersucht. Bei der Erforschung neuer Therapieformen zeigt sich, dass manche Wirkmechanismen für die Behandlung ganz unterschiedlicher Erkrankungsgebiete, wie z.B. Tumorerkrankungen auf der einen Seite und Autoimmunerkrankungen auf der anderen Seite, von Bedeutung sind.
Auf welchen Grundlagen werden in Ihrer Abteilung Forschungen und Schwerpunkte festgelegt und spielen gesundheitsökonomische Fragen eine Rolle?
Professor Endres: Die Forschungsarbeit unserer Abteilung setzt sehr früh an der Entwicklung neuer Therapieverfahren ein. Das ist noch nah an der Grundlagenforschung. Gesundheitsökonomische Fragen kommen erst später dazu, wenn im Rahmen von klinischen Studien neue Therapieprinzipien auf Sicherheit und Wirksamkeit geprüft werden.
Der übergreifende Schwerpunkt der Abteilung ist über viele Jahre konstant, das ist die Immunpharmakologie. Und dieser Schwerpunkt ergibt sich zum einen aus der besonderen Expertise der fünf Arbeitsgruppenleiterinnen und Arbeitsgruppenleiter auf diesem Gebiet und zum anderen aus der weitreichenden Bedeutung der Immunologie für die Entstehung und Behandlung von Erkrankungen. Mehrere der ärztlichen Arbeitsgruppenleiter sind sowohl Facharzt eines klinischen Gebiets und gleichzeitig ausgebildete Immunologen (Fachimmunologen).
Was die jeweilige Fragestellung einzelner Projekte betrifft, so werden diese wesentlich durch neue Entwicklungen in der wissenschaftlichen Welt, aber auch durch eigene Ideen, wie neue Erkenntnisse der Grundlagenforschung in Therapien übertragen werden können, angestoßen. Manchmal sind es auch unerwartete Beobachtungen in einem konkreten Experiment, die einen ganz neuen Zusammenhang eröffnen.
Welchen Stellenwert haben Spin-offs und Kooperationen mit Pharmaunternehmen für Ihren Bereich?
Professor Endres: Für die klinische Pharmakologie sind Biotech-Firmen und forschende Arzneimittelhersteller naturgemäß wichtige Kooperationspartner. Wir entwickeln z. B. Therapiekonzepte, für die wir einen bestimmten neuen Antikörper oder die bestimmte Modifikation einer Nukleinsäure benötigen; diese Moleküle werden dann von einem externen Partner „maßgeschneidert“ hergestellt, um sie bei uns experimentell zu testen. Solche Kooperationen unserer Abteilung haben auch zu gemeinsamen Patenten mit externen Partnern geführt. Patente sind die Grundlage dafür, dass ein neues Therapieprinzip überhaupt in Richtung klinische Prüfung weiterentwickelt werden kann.
Wie schafft man ein produktives und innovatives Umfeld für Mitarbeitende, um erfolgreich Forschung und Lehre zu betreiben? Die Zahl der Publikationen sowie der Promotionen und Professuren in Ihrer Abteilung zeigt, dass Sie offenbar über ein Erfolgsrezept verfügen.
Professor Endres: Ein Erfolgsrezept habe ich sicher nicht. Es gibt aber einige bewährte Muster, die wohl in vielen Einrichtungen unseres Klinikums und unserer Fakultät zum Tragen kommen Dazu gehört z.B. eine frühe Weitergabe von Verantwortung: Auf jedem Level einer wissenschaftlichen Laufbahn – vom Doktoranden, über den Post-doc bis hin zum Arbeitsgruppenleiter – wird eine, dem Level angemessene Teilhabe an Verantwortung die Motivation und auch den Erfolg der eigenen Arbeit steigern. Auch der Respekt gegenüber allen Menschen im Team spielt eine wichtige Rolle: Was der Arbeitsgruppenleiter an Erfahrung voraushat, kompensiert der Post-doc vielleicht mit innovativen Ideen. Wie der Projektmanager den bestmöglichen Einsatz von Fördermitteln unterstützt, so optimiert der Doktorand deren Einsatz durch sorgfältige Experimentplanung, und diese wiederum wird unterstützt durch erfahrende technische Assistenten. Auf diese Weise hat jeder seine Aufgabe und Verantwortung. Unerlässlich ist darüber hinaus das model learning: Manche Kompetenzen in Kommunikation und wissenschaftlichem Denken kann man am besten durch „Vorleben“ weitergeben. Dies setzt voraus, dass Nachwuchswissenschaftler in engem Austausch mit den erfahreneren Mitgliedern im Team sind und miterleben, dass wissenschaftliche Arbeit mit Momenten von Frustration, aber eben auch mit Momenten von Freude und Begeisterung über neue Erkenntnisse einhergeht. Dabei lernen die Jüngeren zugleich ein weiteres wichtiges Muster kennen: Erfolge fliegen uns in der Forschung nicht zu, sondern sie sind fast immer mit viel Arbeit verbunden. Dabei darf und sollte ein Team idealerweise auch außerhalb des Arbeitsalltags einmal zusammenfinden, gemäß dem Motto: „Work hard and play hard“ - ein Slogan, den ich in meinem Boston Labor gelernt habe.
Allgemeine Informationen zur Abteilung für Klinische Pharmakologie
Die Schwerpunkte der Abteilung für Klinische Pharmakologie sind die Tumorimmunologie und Immunpharmakologie. Beides sind wichtige Themen innerhalb der Pharmakologie und der ganzen Medizin. Die Abteilung ist in starke Forschungsverbünde integriert, dazu zählen das Internationale Doktorandenkolleg i-Target (gefördert von Elitenetzwerk Bayern) und das Marie-Skodowska-Curie Programm der EU: erwähnenswert sind hier vor allem das Training Network for Optimizing T cell Therapy in Cancer sowie das Else Kröner Forschungskolleg Immunonkologie und lokale Intervention (IOLIN). Aktuell ist die Klinische Pharmakologie in drei Sonderforschungsbereichen eingebunden: dem SFB-Tranregio 338 Letsimmun (zu T-Zellen), dem SFB 1321 zu Pankreas-Karzinom und dem SFB-Transregio 237 (zu angeborener Immunität). Die Abteilung zeichnet sich zudem durch eine außergewöhnlich erfolgreiche Nachwuchsarbeit aus: Seit der Gründung gab es 169 abgeschlossene Promotionsarbeiten, mit Dr. med. und naturwissenschaftliche Promotionen (Ph. D., Dr. rer. hum. biol.).
Ansprechpartner
Prof. Dr. med. Stefan Endres
Direktor der Abteilung für Klinische Pharmakologie Medizinische Klinik IV