35 Jahre Lungentransplantation am LMU Klinikum Großhadern

Das Lungentransplantationszentrum am LMU Klinikum ist das einzige Zentrum dieser Art in Bayern. Die Patientinnen und Patienten kommen aus ganz Deutschland, mit dem Schwerpunkt Süddeutschland. Nach einer Erstvorstellung im Lungenzentrum durchlaufen sie zehn Tage stationär Vorbereitungsuntersuchungen. Anschließend stuft eine interdisziplinäre Transplantationskonferenz im LMU Klinikum Großhadern die Patienten nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht für eine Lungentransplantation ein und nimmt sie auf die Warteliste auf. „Die Auswahl von geeigneten Patienten für eine Lungentransplantation erfordert neben medizinischer Expertise auch Menschenkenntnis und ist für den Erfolg der Transplantation entscheidend“, sagt Prof. Dr. Jürgen Behr, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik V (Pneumologie) und Leiter des Lungentumorzentrums München am CCC MünchenLMU. „Unsere schwerstkranken Patienten profitieren dabei von unserer über dreißigjährigen Erfahrung.“
Aktuell stehen in München etwa 100 Patientinnen und Patienten auf der Warteliste. 250 Tage warten sie im Durchschnitt auf ein Spenderorgan; manche warten jedoch jahrelang, fünf bis acht Prozent versterben während dieser Zeit. Das Vergabeverfahren der Spenderorgane läuft zentral über Eurotransplant. „Die Erfahrung, Patientinnen und Patienten auf der Warteliste Tag für Tag zu behandeln, mit Ihnen zu hoffen und auch zu bangen, die Freude nach gelungener Transplantation mit ihnen zu teilen, aber auch die Trauer um den Verlust bei den Angehörigen und im Team zu erleben, wenn ein Patient vor der Transplantation auf der Warteliste gestorben ist, motiviert uns jeden Tag aufs Neue, uns für Organspenden zu engagieren“, sagt Privatdozent Dr. Thomas Weig, Transplantationsbeauftragter am LMU Klinikum Großhadern.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit als Erfolgsrezept
Wichtige Voraussetzung für den Erfolg des Lungentransplantationsprogramms am LMU Klinikum war von Anfang an die enge Zusammenarbeit von Thoraxchirurgie, Herzchirurgie, Pneumologie und Anästhesiologie. Diese Fachbereiche haben sich 1990 am LMU Klinikum in Großhadern zur Munich Lung Transplant Group (MLTG) zusammengeschlossen. Die enge Kooperation zeigt sich auch im chirurgischen Bereich: Während an den meisten Zentren entweder Thorax- oder Herzchirurgen eine Lunge transplantieren, operieren am LMU Klinikum seit 35 Jahren beide Disziplinen zusammen. „Das erhöht die Expertise und die Qualität und wird der Komplexität des Eingriffs gerecht“, betont Prof. Dr. Sebastian Michel, verantwortlicher herzchirurgischer Oberarzt für Lungentransplantation am LMU Klinikum. „Dadurch können wir auch Hochrisikoeingriffe zu jeder Tages- und Nachtzeit sicher durchführen.“
Die Lungentransplantation zählt außerdem zu den Prozeduren, die das gesamte Spektrum der anästhesiologischen und intensivmedizinischen Herausforderungen in Anspruch nehmen. „Durch die große Erfahrung in unserem Team und den Fortschritt der letzten Jahrzehnte sowohl in der technischen, apparativen Medizin als auch in den zur Verfügung stehenden Medikamenten, konnten wir hier die Ergebnisse immer weiter verbessern und so einer großen Zahl an Patienten helfen“, betont Privatdozent Privatdozent Dr. Michael Irlbeck, Leiter der anästhesiologischen Intensivmedizin am LMU Klinikum Großhadern.
Fortschritte beim Therapieverfahren
In den vergangenen 35 Jahren hat sich die Lungentransplantation in mehreren Bereichen stetig weiterentwickelt. Die Transplantation wird weniger invasiv und sequentiell durchgeführt. Das heißt, es werden nicht beide Lungenflügel gleichzeitig, sondern nacheinander implantiert. Sollte ein Lungenersatzverfahren während der Operation notwendig sein, dann erfolgt dies über eine künstliche Lunge (ECMO), die keine Blutverdünnung während der Operation mehr notwendig macht. Um hier maximale Sicherheit für die Patienten zu gewährleisten wird das Team in diesen Fällen durch eine Kardiotechnikerin oder einen Kardiotechniker komplettiert. Außerdem werden die Hauptluftwege der Lungen sehr gekürzt und resorbierbares Nahtmaterial angewendet, welches zu einem deutlichen Rückgang der Komplikationen im Bereich der Luftwegenaht geführt hat.
„Durch die Untersuchung des Immunsystems des Empfängers kann heute durch die perioperative Gabe von Immunmodulatoren auch Patienten mit hohem postoperativem Risiko für eine Organabstoßung eine Transplantation ermöglicht werden, und auch das Langzeitüberleben hat sich dadurch deutlich verbessert“, erklärt Privatdozent Dr. Christian Schneider, leitender Oberarzt und stellvertretender Direktor der Abteilung für Thoraxchirurgie im LMU Klinikum.
Engmaschige Nachsorge im LMU Klinikum Großhadern
„Die Lungentransplantation kann Leben retten, sie ist aber keine Heilung, sondern eine hochkomplexe, lebenslange Therapie“, sagt Prof. Dr. Dr. Nikolaus Kneidinger, Pneumologe in der Medizinischen Klinik und Poliklinik V im LMU Klinikum. Nach der Entlassung aus der Rehaklinik kommen die Patienten zu einem Abschlussgespräch in das Transplantationszentrum des LMU Klinikums in Großhadern und werden anschließend im ersten Jahr alle sechs Wochen engmaschig überwacht und für Untersuchungen wie Lungenspiegelung und Lungenfunktionstests ins Klinikum einbestellt. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch Blutuntersuchungen und vor allem die richtige Einstellung der Immunsuppressiva, um eine Abstoßung des Spenderorgans zu vermeiden. „Unser Alleinstellungsmerkmal als Transplantationszentrum ist, dass wir alle Patientinnen und Patienten mit neuer Lunge in unserer Klinik nachsorgen – derzeit sind es zwischen 500 und 600 Patienten“, betont Prof. Dr. Dr. Kneidinger. Dies erfordert neben einer außergewöhnlichen Organisation besondere Strukturen, die nur an einem Universitätsklinikum der maximalen Versorgungsstufe vorgehalten werden.
Langzeitüberleben und Ausblick
In den nächsten Jahren wird noch exakter vorhergesagt werden können, ob das Spenderorgan zum Empfänger passt und auch neue Medikamente, welche am Immunsystem ansetzen, werden den Weg in die Routine finden. Auch die Maschinenperfusion der Spenderorgane wird zum Einsatz kommen, um den Pool der transplantierbaren Spenderorgane zu erhöhen. Hier werden die Organe nach der Entnahme mit speziellen Konservierungslösungen, Blut oder blutähnlichen Flüssigkeiten maschinell gesteuert kontinuierlich gespült und so Schäden am Spenderorgan minimiert. „Aufgrund des eklatanten Organmangels wird auch die Xenotransplantation – die Verpflanzungen von tierischen Geweben und Organen – an unserem Zentrum intensiv erforscht, um künftig mehr Transplantationen ermöglichen zu können“, sagt Prof. Dr. Christian Hagl, Direktor der Herzchirurgischen Klinik im LMU Klinikum.
Anlässlich des Jubiläums findet am Samstag, 27.4.2024, von 9 bis 15.30 Uhr ein Symposium im Friedrich-von-Gärtner-Saal im St. Vinzenz Haus des LMU Klinikums – Campus Innenstadt statt. Das Symposium gibt Einblicke in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Lungentransplantation.
Bilder vom Symposium
Experten- und Patientinnen-Interview
Geraldine Laprell bekommt mit 25 Jahren die Diagnose Lungenfibrose. Die Ärzte sagen, sie könne keine Kinder bekommen. Mit 29 ist Geraldine schwanger. Sie verbringt einen Großteil der Schwangerschaft am Sauerstoffgerät. Da sich ihr Zustand zunehmend verschlechtert, wird ihr Kind in der 29. Schwangerschaftswoche per Kaiserschnitt im LMU Klinikum Großhadern auf die Welt geholt. Acht Wochen später bekommt die junge Mutter eine neue Lunge transplantiert. Wie es ihr damals erging und wie ihr Leben nach der Transplantation verlaufen ist, erzählt die Patientin im folgenden Videointerview. Ihr behandelnder Arzt, Dr. Jürgen Barton, Pneumologe in der Medizinischen Klinik und Poliklinik V, gibt Informationen zur Lungentransplantation und Nachsorge am LMU Klinikum.
Lungentransplantation – das muss man wissen
Die Lungentransplantation ist eine Therapie, die auch mit Risiken verbunden ist. Das und der Mangel an Spenderorganen erfordert eine differenzierte Auswahl potentieller Transplantationskandidaten, um den größtmöglichen Transplantationserfolg zu gewährleisten. Die Transplantation der Lunge kommt daher nur für Patienten mit einer stark fortschreitenden Lungenerkrankung in Frage, bei denen alle anderen therapeutischen Möglichkeiten bereits ausgeschöpft sind. Insbesondere trifft dies auf Menschen mit Mukoviszidose, Lungenemphysem, Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (Erbkrankheit), Lungenhochdruck oder verschiedenen Formen der Lungenfibrose zu. Um den optimalen Zeitpunkt einer Transplantation festzulegen, empfiehlt eine Expertengruppe der International Society for Heart and Lung Transplantation (ISHLT) eine Risikoeinschätzung: eine Lungentransplantation sollte dann in Betracht gezogen werden, wenn ein hohes Risiko (>50 Prozent) besteht, innerhalb der kommenden zwei Jahre an der Lungenerkrankung zu versterben, wenn aber gleichzeitig eine hohe Wahrscheinlichkeit (>80%) auf ein Fünf-Jahresüberleben nach einer Transplantation besteht.
Dazu zählen bestimmte Begleiterkrankungen, die den Transplantationserfolg gefährden könnten: zum Beispiel Krebserkrankungen, chronische unkontrollierbare Infektionen sowie schwere Erkrankungen anderer Organe. Rauchen ist eine häufige Ursache chronischer Lungenerkrankungen und stellt eine Kontraindikation für die Lungentransplantation dar. Sowohl der schädliche Substanzgebrauch als auch das Abhängigkeitssyndrom gefährden den Langzeiterfolg und sind daher mit Ausschluss von der Transplantation verbunden. Die Rauchabstinenz inkl. Abstinenz von Nikotinersatzprodukten für mindestens 6 Monaten muss laborchemisch (Cotinintest) dokumentiert sein. Auch das biologische Alter spielt eine Rolle. Heutzutage können ausgewählte Patienten bis zu 70 Jahren ein Spenderorgan erhalten, insofern keine Kontraindikation gestellt wird.
Zur optimalen Vorbereitung auf eine Transplantation durchlaufen die Patienten umfangreiche Evaluationsuntersuchungen. Neben dem diagnostischen Teil, der dem Nachweis von somatischen Begleiterkrankungen dient, spielt die Beurteilung von psychologischen bzw. psychiatrischen und sozialen Faktoren eine wesentliche Rolle.
Die Transplantation wird heute meist sequentiell durchgeführt. Das heißt, es werden beide Lungenflügel nicht gleichzeitig, sondern nacheinander implantiert. Sollte ein Lungenersatzverfahren während der Operation notwendig sein, dann erfolgt dies über eine künstliche Lunge (ECMO), welche keine Blutverdünnung während der Operation mehr notwendig macht. Das OP-Team für eine Lungentransplantation besteht aus Herz- und Thoraxchirurgen und Anästhesisten.
Nach der Entlassung aus der Rehaklinik kommen die Patienten zu einem Abschlussgespräch in das Transplantationszentrum des LMU Klinikums in Großhadern und werden anschließend im ersten Jahr alle sechs Wochen engmaschig überwacht und für Untersuchungen wie Lungenspiegelung und Lungenfunktionstests ins Klinikum einbestellt. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch Blutuntersuchungen und vor allem die richtige Einstellung der Immunsuppressiva, um eine Abstoßung des Spenderorgans zu vermeiden. Gut eingestellte Patienten müssen dann nur noch ein bis zweimal im Jahr zur Nachkontrolle kommen.
Kinder und Jugendliche können auch eine Lunge transplantiert bekommen. Die häufigste Ursache ist die Erkrankung an Mukoviszidose. Aufgrund immer besserer Therapieoptionen ist ihr Anteil in den letzten Jahren jedoch kontinuierlich gesunken. Dagegen ist die Zahl der Lungentransplantationen bei kritisch kranken jungen Kindern mit anderen Grunderkrankungen wie Lungenhochdruck oder interstitiellen Lungenerkrankungen des Kindes (ChILD) - also Erkrankungen, die das Lungengerüst (Interstitium) betreffen - stetig gestiegen. Kinder müssen vor der Operation wesentlich häufiger maschinell beatmet werden und benötigen auch während und nach der Lungentransplantation häufiger eine maschinelle Lungen- beziehungsweise Herz-Lungen-Unterstützung. Nach der Lungentransplantation müssen Kinder auch länger auf der Intensivstation behandelt werden als Jugendliche oder Erwachsene.
Kontakt:
Prof. Dr. med. Jürgen Behr
Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik V (Pneumologie), LMU Klinikum München, Campus Großhadern