5 Jahre Sars-CoV-2 Pandemie
Unsere seit Jahren regelmäßigen infektiologischen Trainings, Frühwarnsysteme und Krisensimulationen, internationale Vernetzung in der Infektions- und Tropenmedizin und die Expertise von in Ausbruchsgeschehen erfahrenen Mitarbeitern haben den schnellen Aufbau einer COVID-19 Response Unit ermöglicht. Damit konnten wir z.B. mit unserer deutschlandweit ersten COVID-19 Testing Unit nach dem ersten COVID-19 Fall, Impfaktionen, Trainings in Seniorenheimen etc. direkt auf das Infektionsgeschehen reagieren. Auch in der Forschung konnten wir auf bestehende Projekte (z. B. Abwassermonitoring, epidemiologische Studien, Impfstudien) zurückgreifen. Diese schnelle Reaktionsfähigkeit und Zusammenarbeit im Netzwerk haben sich bewährt. Zentral waren auch die große Unterstützung, Förderungen und das Finden schneller, pragmatischer Lösungen in der akuten Situation durch Politik, Behörden und Partner. Diese Strukturen zur Pandemic Preparedness haben wir weiter ausgebaut, es sind neue Projekte, international beachtete Studien (z. B. Prospektive COVID-19 Kohorte München) und Forschungsinfrastrukturen (z. B. Kooperation mit Fraunhofer ITMP-IIP) entstanden.
Wir haben uns gegenseitig schlechter erkannt (Maske), aber besser kennengelernt - sowohl interdisziplinär als auch interprofessionell. Daneben haben wir unter anderem gelernt, dass auch Grundlagenforschung lebensrettend sein kann (Impfung), Faxgeräte kein zeitgemäßes Kommunikationsmittel mehr sind, die Leistungsfähigkeit des und die Solidarität im System (wenn es darauf ankommt) überraschend hoch ist, aber auch, dass wir im Bereich der Organisation von klinischer Forschung in Deutschland extrem träge (weil überreguliert) sind und sehr viel Luft nach oben haben. Daher wird die Gründung des Netzwerkes Universitätsmedizin mit den nun ausgeschriebenen Projekten die klinische Forschungslandschaft in Deutschland positiv verändern.
Die Pandemie hat deutlich gemacht, wie kritisch eine ausreichende Personalausstattung ist, um Krisen zu bewältigen. Die Pandemie hat die systemrelevante Bedeutung des Pflegepersonals ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Anerkennung und Respekt für die Arbeit des Pflegepersonals haben zugenommen.
Pflegekräfte haben ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, sich schnell an neue Situationen anzupassen, z. B. durch das Erlernen neuer Prozesse und den Umgang mit COVID-19-Patienten. Dies zeigte die hohe Kompetenz und Anpassungsfähigkeit des Personals. Die Pandemie erforderte schnelle, oft unkonventionelle Entscheidungen. Man hat u.a. gelernt, in unsicheren Situationen flexibel zu agieren und klare Prioritäten zu setzen.
Aus der Zusammenarbeit verschiedener Medizinischer Kliniken entstand die Idee und Möglichkeit eines interdisziplinären Zentrums der Infektiologie am LMU Klinikum, das nun unter dem Kürzel KLIK bekannt ist und die infektiologische Expertise unter ein Dach bringt. Wir haben gelernt, die klinische Infektiologie als Fach zu begreifen und es ist in der Pandemiezeit eine neue Facharztbezeichnung dafür bewilligt worden. Was wir nicht geschafft haben ist ein Gesetz, das für den Pandemiefall die föderale Kleinstaaterei auszusetzen vermag.
Mit erstaunlicher Schnelligkeit haben sich neue, interdisziplinäre Netzwerke zwischen Epidemiologie, klinischer Medizin, Informatik, Public Health und vielen anderen Fächern, darunter den Geisteswissenschaften, gebildet, die auf Augenhöhe gemeinsame Ziele verfolgen und erreichen. Auch wenn es immer gesellschaftlichen Diskussionsbedarf gab, war die öffentliche Akzeptanz wissenschaftlicher Ergebnisse hoch. Wir haben jedoch auch gelernt, dass die Pandemie kein großer Gleichmacher war, sondern gesellschaftliche Unterschiede und Verwerfungen verstärkt hat, egal ob es um die Nutzung der Corona-Warn-App ging, um die Altenpflege, oder um Impfbereitschaft.
Epidemiologie ist als Fach deutlich sichtbarer geworden. Eine interessante Aufgabe ist es jedoch weiterhin, der Öffentlichkeit klarzumachen, dass die Methoden der Epidemiologie das Fundament für alle Aspekte der Gesundheit der Bevölkerung bildet und nicht ausschließlich Infektionsgeschehen modelliert.
Für die psychosoziale Begleitung von Schwerkranken, Sterbenden, Angehörigen und Mitarbeitenden konnten durch eine enge Kooperation verschiedener Fachbereiche im LMU Klinikum verschiedene Angebote geschaffen werden. Die Versorgung und Begleitung sterbender Menschen ist in der Pandemiesituation noch herausfordernder und steht bei Planungen und Krisenstäben nicht im Vordergrund.
Sterben in Isolation und ohne die Anwesenheit der Angehörigen sollte auch in einer Pandemiesituation vermieden werden, es hinterlässt bei den Hinterbliebenen große Belastungen und erschwert die Trauer.
Die moderne Biomedizin kann eine solch große Herausforderung bewältigen. Lieferketten u.a. von Masken und Medikamenten dürfen sich nicht nur an ökonomischen Parametern ausrichten, sondern sollten Versorgungssicherheit der Bevölkerung auch im Pandemiefall berücksichtigen. Überwachungsnetzwerke für neu auftretende pandemische Erreger sollten national und international scharf geschaltet bleiben.
Das Überwachungsnetzwerk Bay-VOC (https://www.bay-voc.lmu.de/), das in der COVID-19-Pandemie entstanden ist, vereint mittlerweile die wöchentliche Erreger-Untersuchung von Patientenabstrichen in ca. 200 Sentinel-Praxen und bis zu 30 Abwasserentnahmestellen in Bayern. Im Fokus stehen neben SARS-CoV-2 derzeit auch Influenzaviren und RSV. Die stete methodische und konzeptionelle Weiterentwicklung in diesem Netzwerk zwischen dem LGL und den Virologien an Universitäten und Universitätskliniken in Bayern hat eine wichtige zukunftsträchtige Struktur geschaffen.
Corona hat gezeigt, wie sehr veränderte Lebensbedingungen sich nachteilig auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auswirken. Die Schließungen von Kindergärten und Schulen hätten vermieden werden müssen und Homeschooling deutlich besser begleitet werden. Kinder und Jugendliche mit Lern- und Verhaltensschwierigkeiten benötigen insbesondere in solchen Lebenssituation besondere Hilfen anstatt sich und ihre Familie selbst zu überlassen.
Die Pandemie und die Zeit danach haben den Bedarf an kinder- und jugendpsychiatrischer und -psychotherapeutischer Behandlung weiter erhöht. Neben dem Bedarf an mehr stationärer und teilstationärer Behandlung ist die Bedeutung von Prävention zur Stärkung der Resilienz von Kindern und Jugendlichen gestiegen. Diese sollte wissenschaftlich fundiert und möglichst niedrigschwellig zur Verfügung stehen. Mit digitalen Präventions-Angeboten, wie www.ich-bin-alles.de sprechen wir direkt Jugendliche an, um sie zu stärken und damit sie eigene Ressourcen wieder finden und bei zukünftigen Belastungssituationen besser zurecht kommen.
Die enge Zusammenarbeit und Abstimmung innerhalb der jeweiligen Fachgebiete (Pädiatrie, Infektiologie) sowie die Kommunikation mit dem öffentlichen Gesundheitswesen und den Medien war sicherlich positiv. In der Haunerschen Kinderklinik haben wir konsequent Point-of-Care Diagnostik eingeführt und haben damit jetzt sehr viel bessere Möglichkeiten der raschen Erkennung auch für andere Infektionen (Influenza, RSV, aber auch gastro-intestinale Infektionen).
Als Infektiologe und Kinderarzt ist mir durch die Pandemie nochmals mehr bewusst geworden, wie wichtig das soziale Umfeld für die Entwicklung von Kindern ist. In Zukunft müssen wir darauf achten, dass Beeinträchtigungen der schulischen Leistungen durch Schulschließungen, Zunahme psychischer Probleme und Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen, aber auch Veränderungen der Immunantwort („Immunity Dept“) mit Zunahme und z.T. deutlich schwereren Verläufen von Infektionen (wie z.B. Gruppe-A Streptokokken, Parvo-B19 Virus und viele andere) vermieden werden.
Wir haben gelernt und erlebt, dass ein schneller, klinikübergreifender Aufbau von Strukturen und Prozessen zur Versorgung der Patienten und Schulung der Mitarbeiter extrem wichtig ist. Ebenso die Notwendigkeit der interdisziplinären und interprofessionellen Zusammenarbeit – in der Pflege ebenso wie im Austausch der Pflege mit den Ärzten und allen weiteren Beteiligten im Klinikum.
Basishygiene funktioniert immer und schützt bei jeder Art von Erreger, sie muss nur konsequent umgesetzt werden. Essentiell ist es, klare Entscheidungen zu treffen, oft auch in zunächst unklaren Situationen, diese zu kommunizieren und zu erklären. Online-Schulungen bzw. Hybrid-Veranstaltungen sind inzwischen nicht mehr wegzudenken.
Rasche Diagnostik und tägliche Informationen zu Patienten mit Atemwegsinfektionen haben die Reaktionszeit bei Ausbrüchen deutlich verkürzt. Noch besser werden muss die dauerhafte Anwendung hygienischer Grundregeln: das Tragen von Atemschutzmasken bei ALLEN Kontakten mit Menschen mit Atemwegsinfektions-Symptomen sowie die Händehygiene.