Es ist ein alter Traum der Medizin: Das Immunsystem von Krebspatient*innen „scharf“ auf die Tumorzellen im Körper zu stellen und die lebensgefährliche Erkrankung effektiv zu bekämpfen. Vor kurzem ist er zumindest in der Behandlung von therapierefraktären Lymphomen und Leukämien wahr geworden: Die adoptive Immuntherapie mit CAR-T-Zellen ändert als innovative und wirksame Therapiestrategie die bisherige Therapielandschaft. CAR-T steht dabei für „Chimeric Antigen Receptor“ T-Zellen, wobei die körpereigenen T-Zellen gegen den Tumor gerichtet werden. Im Zuge der Therapie werden den Patient*innen zunächst T-Zellen entnommen, die gentechnisch so bearbeitet werden, dass sie eine Zielstruktur (CD19) auf der Oberfläche der Tumorzellen erkennen. Die Patient*innen erhalten zunächst eine dreitägige Chemotherapie, sodass die CAR T-Zellen ihre Wirkung im Körper optimal entfalten können. Durch das zielgenaue Binden der CAR T-Zellen auf diese Zielstruktur können die Tumorzellen zerstört werden.
Wie bei nahezu jeder medizinischen Therapie geht das nicht ohne Nebenwirkungen. Dabei hatten die Fachleute zunächst nur den „Zytokinsturm“ im Blick (bekannt auch als Symptom bei schweren Verläufen von COVID-19) und die negativen Effekte auf das zentrale Nervensystem. „Uns fiel aber dann auf, dass viele Behandelte an einem Abfall der Blutwerte leiden, einer sogenannten Zytopenie. Das war gerade in der Häufigkeit überraschend“, erklärt Marion Subklewe.
Konkret hat ihr Team zusammen mit französischen und US-amerikanischen Kliniken unter den Patient*innen drei typische Verläufe definiert. Dr. Rejeski beschreibt das wie folgt: „Etwa ein Viertel der Patient*innen haben bei der Therapie keinerlei Probleme im Blutbild; sie regenerieren normal. Die große Mehrheit (>75 Prozent) entwickelt aber eine Zytopenie; typisch ist dabei, dass die Blutwerte sich zunächst erholen, bevor es dann jedoch zu einem erneuten Abfall kommt – ein sogenannter biphasischer Verlauf. Zudem zeigen etwa 20 bis 25 Prozent der Patient*innen sehr schlechte Blutwerte – bis zu zwei Monate lang oder in seltenen Fällen noch länger.“ In dieser Zeit sind sie für Infekte anfällig, im schlimmsten Fall kann es auch zu einer lebensgefährlichen Sepsis („Blutvergiftung“) kommen. „Das müssen wir beim Management der Therapie im Blick haben, denn diese Patient*innen brauchen unter anderem Antibiotika zur Vorbeugung von Infekten“, betont Subklewe. Zudem müssen die Blutwerte engmaschig überprüft werden.
Um die Entwicklung einer Zytopenie bei der CAR-T-Zelltherapie zu prognostizieren, hat das Münchner Team ein Modell entwickelt, den sogenannten CAR-HEMATOTOX Score. Dieser besteht aus den normalen Blutbildwerten und aus zwei Entzündungsparametern. In der Analyse fiel auf, dass diese Parameter besonders mit langanhaltenden Zytopenien assoziiert waren, welche wahrscheinlich eine Rolle im Pathomechanismus der Nebenwirkung spielen. Die Aussagekraft des Scores haben die Forschenden mit dem Erstautor Dr. Kai Rejeski in einer Studie mit den internationalen Kooperationspartnern geprüft. Ergebnis: Hat eine Patient*in einen geringen Score-Wert, ist die Wahrscheinlichkeit, so Subklewe, „sehr sehr gering, dass sie eine Zytopenie entwickelt.“ Bei den restlichen Patient*innen „sind wir in unserer Vorhersage noch nicht ganz so gut“, sagt die Ärztin, „denn da entwickeln einige Patient*innen trotz hoher Score-Werte dann doch keine Zytopenie.“ Die Forschenden arbeiten derzeit daran, den Score noch präziser zu machen und untersuchen, ob der Score auch Infekte vorhersagen kann.
Das ist wichtig, denn die CAR-T-Therapie soll in Zukunft auch außerhalb von Studien ambulant – also nicht in der Klinik – gegeben werden. Unter diesen Umständen ist es besonders entscheidend, früh zu wissen, wer für eine prolongierte Zytopeniephase gefährdet ist – und wer nicht.