LHON: Verbesserung der Sehfähigkeit dank neuartiger Gentherapie
Die Leber´sche hereditäre Optikus-Neuropathie (LHON) ist eine seltene, erblich bedingte Erkrankung aus der Gruppe der mitochondrialen Erkrankungen. In Deutschland erkranken ungefähr eine von 30.000 Personen an LHON, dabei sind Männer deutlich häufiger als Frauen betroffen. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, meist jedoch zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr. Klinisch kommt es innerhalb weniger Tage bis Wochen zu einer massiven Einschränkung des Sehvermögens.
Ursache Gendefekt
Ursache der LHON ist ein Gendefekt im mitochondrialen Erbgut, das nur über die mütterliche Linie vererbt wird. Dadurch kommt es zu einer Funktionsstörung der Mitochondrien – das sind die kleinen Zellbestandteile, die auch als „Kraftwerk der Zelle“ bezeichnet werden, weil sie für die Energieversorgung der Zellen zuständig sind. Bei LHON sind es die Ganglienzellen der Netzhaut, die von den fehlerhaft arbeitenden Mitochondrien nicht mehr ausreichend Energie erhalten und deshalb nicht mehr funktionieren oder sogar zugrunde gehen. Beschleunigt wird dieser Prozess durch die vermehrte Ansammlung von freien Sauerstoffradikalen in den Zellen, wodurch die Ganglienzellen zusätzlich geschädigt werden. Die Folge: Innerhalb weniger Wochen kommt es zu einem schmerzlosen, rasch fortschreitenden Sehverlust, der meist zunächst ein Auge betrifft und sich kurze Zeit später auf das zweite Auge ausweitet.
Nun könnte im klinischen Alltag schon bald erstmals eine gentherapeutische Behandlung der LHON zum Einsatz kommen, die an der Ursache der Erkrankung ansetzt: Unter dem Titel Bilateral Visual Improvement with Unilateral Gene Therapy Injection for Leber Hereditary Optic Neuropathy ist in der Dezember-Ausgabe der renommierten Zeitschrift Science Translational Medicine ein Artikel erschienen, der auf Daten klinischer Studien der Phase III basiert und eine nachhaltige und klinisch bedeutsame Verbesserung der Sehschärfe auf beiden Augen dokumentiert – erzielt mit einer einzigen intravitrealen Injektion.
Durchgeführt wurden die randomisierten, placebo-kontrollierten, doppelblinden Studien an sieben Zentren weltweit, darunter am LMU Klinikum unter der Leitung von Prof. Dr. med. Thomas Klopstock (Friedrich-Baur-Institut an der Neurologischen Klinik) und Prof. Dr. med. Günther Rudolph (Augenklinik). Die beiden Kliniken gehören weltweit zu den führenden Zentren in der Erforschung und Behandlung sowohl von mitochondrialen Erkrankungen als auch von erblichen Augenerkrankungen. Entsprechend werden in dieser Kooperation zahlreiche Projekte zum Thema LHON durchgeführt. Schon bei den Studien zum Wirkstoff Idebenone für LHON, der bislang ersten und einzigen zugelassenen Therapie für eine mitochondriale Erkrankung, war das LMU Klinikum Leitzentrum.
Wirkprinzip der Gentherapie
Bei der jetzigen Gentherapie handelt es sich um eine einmalige Injektion in den Glasköperbereich des Auges. Eine normale, sogenannte Wildtyp-Kopie des bei LHON betroffenen Gens wird in einen Virus verpackt und findet ihren Weg in die Ganglienzellen der Netzhaut. Da man das mitochondriale Erbgut bislang nicht direkt mit Gentherapie erreichen kann, wird das Wildtyp-Gen in den Zellkern der betroffenen Zellen gelotst und dort in Boten-RNA abgelesen. Diese wiederum wird im Zytoplasma der Zellen in das entsprechende Eiweiß übersetzt, welches dann seinen Weg in die Mitochondrien findet. Insgesamt also eine sehr komplizierte, technisch äußerst anspruchsvolle Behandlung – umso erfreulicher, dass sie zum Erfolg führte. Die Sehkraft der 37 behandelten Patienten besserte sich am behandelten Auge im Schnitt um 15 Buchstaben auf der Sehtafel. Überraschenderweise besserte sich auch das zweite Auge der Patienten, im Schnitt um 13 Buchstaben auf der Sehtafel. Im Tierversuch fand sich dazu die Erklärung: Das Gentherapie-Konstrukt kann über die Sehnerven auch in das kontralaterale Auge wandern.
„Diese Gentherapie bedeutet einen deutlichen Fortschritt in der Behandlung von LHON, die erreichte Besserung der Sehkraft ist für die Patienten eine große Erleichterung. Die Bedeutung der Studie geht aber weit darüber hinaus: Sie zeigt, dass man Defekte des mitochondrialen Erbguts auf diese Weise behandeln kann, und eröffnet somit das Feld der Gentherapie auch für viele andere mitochondriale Erkrankungen“, so Prof. Klopstock, der die RESCUE und REVERSE-Phase-III-Studie zur Gentherapie bei ND4-LHON-Patienten am Standort federführend geleitet hat.
Die Hersteller-Firma der neuartigen Gentherapie hat bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) einen Zulassungsantrag gestellt. Die Entscheidung wird für die zweite Hälfte des Jahres 2021 erwartet.
Originalpublikation:
Ansprechpartner
Prof. Dr. med. Thomas Klopstock
Friedrich-Baur-Institut an der Neurologischen Klinik
Prof. Dr. med. Günther Rudolph & Priv. Doz. Dr. med. Claudia Priglinger
Augenklinik