Harninkontinenz beim Mann
Die Anzahl der Patienten, die von einer Belastungsinkontinenz nach radikaler Prostatektomie (Totalentfernung der Prostata bei Prostatakrebs) betroffen sind, nimmt aufgrund der zahlenmäßig immer häufiger durchgeführten radikalen Prostatektomie, aber auch alternativer Verfahren wie die HiFu- oder Kryotherapie, in den letzten Jahren deutlich zu. Aber auch nach Prostataoperationen bei gutartiger Vergrößerung (BPS; z. B. TUR-P und Lasertherapie) kann postoperativ eine Belastungsinkontinenz auftreten.
Unter Belastungsinkontinenz wird ein unwillkürlicher Urinverlust bei körperlicher Anstrengung, wie z.B. Husten, Niesen und schwerem Heben verstanden, in schweren Fällen kann es sogar bei jeder körperlichen Bewegung zu einem unwillkürlichen Urinverlust kommen.
Zur Behandlung der Inkontinenz nach radikaler Prostatektomie steht heute ein breites Spektrum konservativer und operativer Therapieoptionen zur Verfügung. In der operativen Therapie der männlichen Belastungsinkontinenz hat, ähnlich wie in der operativen Therapie der weiblichen Belastungsinkontinenz, die minimal-invasive Schlingenchirurgie in den letzten Jahren Einzug gehalten. Durch eine fachgerechte Diagnostik und eine gut fundierte Beratung kann heute jedem betroffenen Mann die Chance auf eine individualisierte Behandlung mit guten Erfolgsaussichten und deutlicher Verbesserung der Lebensqualität eröffnet werden.
- Verhaltensregeln nach Einlage einer Advance®-Schlinge
- Verhaltensregeln nach Einlage einer Phorbas®-Schlinge
- Verhaltensregeln nach Einlage eines künstlichen Schließmuskels
- Anleitung zum 24-Stunden-Pad-Test
Inkontinenz nach radikaler Prostatektomie
Gerade die postoperative Inkontinenz ist für einen Mann die am meisten gefürchtete Folge einer radikalen Prostatektomie und beeinflusst die Lebensqualität stark negativ.
Zwar hat das bessere Verständnis der Anatomie im männlichen Becken zu einer Optimierung der Operationsmethode geführt, dennoch liegen die Inkontinenzraten auch in spezialisierten Kliniken bei ca. 2% und außerhalb von Zentren bei 10% und mehr. Das Risiko für eine postoperative Inkontinenz unterliegt dabei diversen Faktoren, an erster Stelle der operativen Erfahrung des Urologen, dann unter anderem der operativen Technik, der lokalen Tumorausdehnung, dem Vorhandensein präoperativer Blasenentleerungsstörungen und dem Patientenalter. Dabei weisen Männer unter 50 Jahren eine signifikant bessere Kontinenzrate auf, als Männer über 70.
Zusätzlich dazu leidet ein nicht geringer Teil der Patienten an einer überaktiven Blase im Sinne einer Dranginkontinenz (überfallartiger Harndrang mit unwillkürlichem Urinverlust). Diese Beschwerden verschwinden aber in den meisten Fällen nach spätestens einem Jahr.
Ätiologie der Belastungsinkontinenz nach radikaler Prostatektomie
Die genaue Ätiologie der Belastungsinkontinenz nach radikaler Prostatektomie ist bisher nicht eindeutig geklärt. Eine Dysfunktion des Blasenhalses, intraoperative Läsionen insbesondere autonomer Nerven und des Schließmuskels selber scheinen eine Rolle zu spielen. Hierbei kann eine Schließmuskelverletzung durch eine direkte Muskelläsion oder auch durch die Schädigung der Schließmuskelnerven resultieren. Häufiger erscheint jedoch die anatomische Verlagerung der hinteren Harnröhre durch die Durchtrennung der Aufhängung der Harnröhre (Urethra) an der Rektumvorderwand ursächlich für die Inkontinenz zu sein.
Die Diagnostik sollte nach einem Zwei-Stufen-Schema erfolgen (Abb. 1). Hierbei wird empfohlen, nach der Basisdiagnostik zunächst einen 1. Therapieversuch zu unternehmen. Erst bei Versagen des 1. Therapieversuches wird eine weitere Abklärung mittels Urodynamik (Blasendruckmessung) und Urethrozystoskopie (Harnröhrenspiegelung) empfohlen.
Mit Hilfe eines Vorlagentests (Pad-Test) kann der tägliche Urinverlust gemessen werden.
Konservative Therapiemaßnahmen werden als First-Line-Therapie der Belastungsinkontinenz innerhalb der ersten 6-12 Monate postoperativ empfohlen. Hierzu werden Beckenbodentraining, Elektrostimulation, Blasentraining und Änderungen der Lebensgewohnheiten gezählt. Allerdings gibt es kaum evidenz-basierte Studien, die den Erfolg dieser Therapiemaßnahmen aufzeigen. Insgesamt scheinen Patienten, die ein postoperatives Beckenbodentraining durchführen schneller kontinent zu werden, als Patienten ohne postoperatives Beckenbodentraining. Außerdem scheinen Männer, die bereits vor der radikalen Prostatektomie mit Beckenbodentraining begonnen haben, postoperativ schneller kontinent zu sein. Ein positiver Effekt der Elektrostimulation konnte in Studien bisher nicht sicher bewiesen werden.
Lebensstiländerungen wie reduzierte Trinkmengen, das Vermeiden von blasenirritierender Stoffe wie Kaffe, scharfe Gewürze etc. und Blasentraining werden zwar empfohlen, einen evidenzbasierten Nachweis der Effektivität gibt es aber auch hier nicht.
Aktuell steht kein zugelassenes Medikament für die Behandlung der männlichen Belastungsinkontinenz zur Verfügung. Allerdings wird im Rahmen eines off-label-use Duloxetin auch bei Männern eingesetzt und die Wirksamkeit konnte in einigen Studien nachgewiesen werden. Vor allem in der Kombination mit Beckenbodentraining konnte ein guter synergistischer Effekt von Duloxetin gezeigt werden. Als hauptsächliche Nebenwirkungen tritt beim Einsatz von Duloxetin bei Männern, genau wie bei Frauen, vor allem Übelkeit und Schwindel auf. Daher ist unbedingt eine einschleichende Dosierung angeraten. Allerdings wird der Einsatz von Duloxetin sehr kontrovers diskutiert.
Für Patienten mit Drangbeschwerden wird eine medikamentöse Therapie mit sogenannten Anticholinergika empfohlen. Der Therapieversuch sollte über mindestens 4 Wochen erfolgen, da der Wirkeintritt bis zu 3 Wochen dauern kann. Typische Nebenwirkungen sind ein trockener Mund und Verstopfung. Dies wird aber in den meisten Fällen von den Patienten gut toleriert. Sollten während der Therapie allerdings sehr unangenehme Nebenwirkungen auftreten, dann sollten die Medikamente umgehend abgesetzt werden und der behandelte Arzt informiert werden.
Für Patienten mit einer über einem Jahr postoperativ bestehenden Belastungsinkontinenz wird eine operative Therapie empfohlen.
In den letzten Jahren wurden zahlreiche minimal-invasive Verfahren zur Behandlung der Belastungsinkontinenz entwickelt. Diese teilweise adjustierbaren (z.B. Reemex®, Argus®-Schlinge) und teilweise nicht-adjustierbaren (InVance®) Schlingensysteme sowie das Pro-Act®-System basieren auf dem Prinzip einer Kompression der Urethra.
Mit der AdVance®-Schlinge (Abb.1) erfolgt eine funktionelle Korrektur des durch die radikale Prostatektomie disslozierten Schließmuskelsystems. Dabei wird davon ausgegangen, dass es bei zahlreichen Patienten während der Prostataentfernung nicht zu einer direkten Verletzung des Schließmuskels kommt, sondern durch die Entfernung der Prostata eine Lockerung der Haltestrukturen des Schließmuskels und somit eine Senkung der hinteren Harnröhre (Urethra) erfolgt. Mögliche Folge ist ein Versagen des sogenannten integralen Systems mit nachfolgender Belastungsinkontinenz. Durch eine Repositionierung kann die Kontinenz wiedererlangt werden (Abb. 2).
Seit 2010 ist die 2. Generation der AdVance®-Schlinge, die AdVanceXP®-Schlinge (Abb. 3) auf dem Markt. Durch kleine Häckchen im Bandverlauf wird das Risiko eines Verrutschen der Schlinge in der Heilungsperiode durch zu starke körperliche Belastung vermindert, nichts desto trotz wird eine postoperative körperliche Schonung empfohlen (siehe Merkblatt).
Operative Technik
Über einen Schnitt im Dammbereich unterhalb des Hodensacks und vier winzige Schnitte in der Leiste erfolgt die Einlage der AdVance®-Schlinge. Dabei wird die Schlinge unterhalb der hinteren Harnröhre platziert (Abb.3).
Voraussetzung für den Erfolg der AdVance/AdVanceXP®-Schlinge ist aber eine gute Restfunktion des Schließmuskels. Bei Patienten, die diese Voraussetzungen erfüllen, können bei Belastungsinkontinenz nach radikaler Prostatektomie Erfolgsraten von bis zu 80% erreicht werden. Allerdings erfordert die perfekte Positionierung der AdVance/AdVanceXP®-Schlinge einige Erfahrung. Die Behandlung von belastungsinkontinenten Patienten nach zusätzlicher Bestrahlung sollte nur durch geübte und erfahrene Hand erfolgen. Komplikationen sind bei der AdVance/AdVanceXP®-Schlinge selten. Die häufigste Komplikation ist eine temporäre Restharnbildung bei circa 20% der Patienten und leichter Diskomfort im Bereich des Damms. Aber bereits nach 3 Monaten ist keine signifikante Veränderung von Restharn und Harnstrahl im Vergleich zu den präoperativen Daten nachweisbar. Eine Druckatrophie der Harnröhre oder gar Harnröhrenarrosion ist aufgrund der fehlenden Harnröhrenkompression sehr unwahrscheinlich.
Bei Patienten mit einem zerstörtem Schließmuskel oder schlechter Restfunktion des Schließmuskels kann mit der AdVance/AdVanceXP®-Schlinge keine zufriedenstellende Verbesserung erreicht werden.
Der künstliche Schließmuskel (artifizieller Sphinkter AMS 800®) galt über Jahrzehnte als der Goldstandard für die Behandlung der höhergradigen Belastungsinkontinenz nach radikaler Prostatektomie (Abb. 5). Hierbei handelt es sich um ein ausgereiftes und langjährig erprobtes System mit dauerhaft hohen Kontinenzraten von bis zu 90% in Langzeit-Untersuchungen. Allerdings sind mit diesem System hohe Kosten, Materialverschleiß mit notwendigem Materialaustausch (durchschnittlich alle 8-10 Jahre), mechanische Komplikationen, ein Infektionsrisiko, das Risiko einer Harnröhren-Arrosion oder Harnröhren-Atrophie, sowie mentale und manuelle Mindestanforderung an den Patienten verbunden.
Das Alter des Patienten sollte bei der Wahl der Therapieoption heute keine Rolle mehr spielen. Keine Studie konnte bei alten Patienten schlechtere Ergebnisse im Gegensatz zu jüngeren Patienten zeigen. Allerdings sollte vor allem beim Einsatz des künstlichen Schließmuskels auf das Vorhandensein von manuellen und mentalen Fähigkeiten der Patienten großer Wert gelegt werden.
Eine Alternative zum künstlichen Schließmuskel bei schlechter Restfunktion des eigenen Schließmuskels stellen die sogenannten adjustierbaren Schlingen. Die Argus®-Schlinge beispielsweise besteht aus einem weichen Silikonpolster, das an 2 Silikonbändern fixiert ist (Abb. 6). Die Silikonbänder können entweder retropubisch (Argus classic®) oder transobturatorisch (ArgusT®, Abb. 7) platziert werden und werden in der Folge mit Silikonscheiben („Washers“) in Position gehalten. Mit dieser Schlinge wird eine Erhöhung des urethralen Widerstandes hervorgerufen und somit die Kontinenz wieder hergestellt. Bei nicht ausreichendem urethralen Widerstand kann jederzeit im Rahmen eines kleinen operativen Eingriffs der Widerstand erhöht werden (=Adjustierung).
Spezialsprechstunde Harninkontinenz, Blasenentleerungsstörungen und Senkungsbeschwerden
Jeden Dienstag und Donnerstag 8:00 - 15:00 Uhr
Terminvereinbarung: Tel. 089-4400-73531
Ort: Urologische Poliklinik, Klinikum Großhadern, Marchioninistr. 15, 81377 München