Forschung
Das Verständnis über die Pathophysiologie von Aortenerkrankungen hat sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Die Aorta ist in ihrer Beschaffenheit nicht vergleichbar mit einem simplen Schlauch oder einem starren Rohr, sondern ist ein Organ mit einer komplexen Struktur und biomechanischen Eigenschaften. Die Arbeitsgruppe „Experimentelle Aortenchirurgie“ beschäftigt sich in diesem Zusammenhang umfassend mit der Entstehung und dem Verlauf von Erkrankungen der Hauptschlagader, von der zellulären Ebene bis hin zu der biomechanischen Belastbarkeit (Compliance). Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Verbesserung der Patientensicherheit durch stetige Weiterentwicklung und Innovation der operativen und interventionellen Therapieverfahren sowie der verwendeten Medizintechnik.
Von der klinischen Erfahrung zur technischen Innovation
Seit der Jahrtausendwende wurden mehr als 8.000 Patienten mit Aortenerkrankungen konservativ oder operativ am LMU Klinikum beraten und behandelt. Die Erfahrungen aus diesen häufig interdisziplinären Therapieansätzen werden fortwährend analysiert und die Behandlungsstrategien stetig angepasst und verbessert. Somit wurden unter anderen moderne Hybridverfahren, also Therapieformen, die offene operative Prozeduren mit den endovaskulären Stent-Technologien verbinden, entwickelt und zur klinischen Anwendung gebracht. Ferner hat das ständig wachsende Wissen über die biomechanischen Eigenschaften der Aorta und deren Auswirkung nicht nur auf die Funktion der Aorta selbst, sondern auch des vorgeschalteten Herzens und der von ihr mit Blut versorgten Organe dazu geführt, daß man heute nach neuen Ersatzmaterialien für die Aorta forscht. Eine eigene Arbeitsuntergruppe hat hier erst kürzlich nach mehrjähriger Arbeit eine hybride Rohrprothese mit Hilfe modernster technischer Verfahren (z.B. Electrospinning) herstellen können, die die Eigenschaften der nativen, gesunden Aorta erstmals nahezu perfekt reproduziert. Für die Testung solcher neuen Materialien und Techniken und deren Einführung in die klinische Routine werden mittlerweile nahezu ausschließlich biosynthetische dreidimensionale Modelle und computerbasierte Stressanalysen verwendet.
Individualisierte Medizin auf der Basis molekulargenetischer und biomechanischer Analysen
Die genetischen Grundlagen spielen bei der Entstehung von Aortenaneurysmen eine wichtige Rolle. Neben den bekannten Syndromen, wie z.B. dem Marfan-Syndrom, werden immer häufiger genetische Veränderungen im Erbgut identifiziert, die die Entstehung von Aortenerkrankungen begünstigen oder verursachen. Das Wissen über und die Bedeutung von vielen dieser genetischen Veränderungen ist jedoch noch lückenhaft. Neben den erblichen Merkmalen gibt es allerdings auch biomechanische Komponenten, die mit innovativen Diagnostikverfahren wie dem 4-D MRT zunehmend darstellbar werden. Ziel der Arbeitsgruppe ist das Verständnis über die Bedeutung und Regelmechanismen molekulargenetischer und biomechanischer Einflussfaktoren zu verbessern und die Behandlung weiter zu einer Patienten-zentrierten „Präzisionsmedizin“ zu entwickeln.
Zelluläre Grundlagen von Aortenerkrankungen
Neben der reinen Vererbung sind auch fortwährend laufende Regelprozesse auf zellulärer Ebene von Bedeutung. Zellen von aneurysmatischen Aorten verhalten sich anders als Zellen von „gesundem“ Aortengewebe. Auf der Basis einer biologischen Datenbank werden diese spezifischen Eigenschaften einzelner Zellen analysiert, um dann Rückschlüsse auf die Entwicklung und das Fortschreiten von Aortenerkrankungen, im Allgemeinen als Begriff der „natural history“ zusammengefasst, ziehen zu können.