Mischinfusionen pall-iv
In der Palliativmedizin ist es üblich, zwei oder mehr Arzneimittel zur kontinuierlichen Infusion miteinander zu mischen, um die Belastung für die Patienten so gering wie möglich zu halten. Entscheidend dabei ist es, ob sich die verwendeten Komponenten miteinander vertragen, ob die Arzneimittel also zueinander kompatibel sind und in der Mischung stabil bleiben.
Die verfügbaren Daten zu relevanten Arzneimittelmischungen sind begrenzt. Seit 2016 tragen wir auf der Portalseite pall-iv.de Kompatibilitätsdaten zusammen, sammeln und bewerten entsprechende klinische Erfahrungen.
Unser Ziel ist es, die bisher gesammelten Daten aus der klinischen Praxis zu evaluieren und dadurch kritische Risikobereiche zu identifizieren.
Hier finden Sie Informationen zu Infusionsmischungen in der Palliativversorgung:
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Empfehlungen zum Umgang mit Mischinfusionen
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Was ist eine Inkompatibilität?
Als Inkompatibilität bezeichnet man eine Unverträglichkeit zwischen zwei oder mehr Komponenten eines Arzneimittelgemischs. Es begegnen sowohl chemische als auch physikalische Inkompatibilitäten. Beteiligte Komponenten können alle Stoffe und Substanzen sein, die im Verlauf einer Infusion miteinander in Kontakt kommen: Neben den eigentlichen Arzneistoffen können deshalb auch Hilfsstoffe oder Trägerlösungen beteiligt sein, ebenso das Pumpen- und Schlauchmaterial. Auch Umgebungsfaktoren (wie Licht, Temperatur, Sauerstoff und Kontaktzeit der Substanzen miteinander) können eine Rolle spielen.
Welche Risiken ergeben sich aus Inkompatibilitäten?
Eine Inkompatibilität kann dazu führen, dass Teile des Gemischs kristallisieren, sich als Feststoff absetzen (Präzipitate) oder in anderer Weise unerwünscht miteinander reagieren. Die entstehenden Mikrokristalle, Präzipitate oder anderen schädlichen Reaktionsprodukte können den Patienten gefährden. Außerdem kann die Wirkung der verwendeten Arzneistoffe deutlich nachlassen, bis hin zum vollständigen Wirkungsverlust. Daraus können sich schwerwiegende Folgen ergeben: Komplikationen durch Partikel in der Infusion, eine schwierige Symptomkontrolle, unnötig hohe Volumina und deshalb auch höhere Kosten.
Wie lassen sich inkompatible Mischungen vermeiden?
Inkompatibilitäten lassen sich oft nur schwer vorhersagen. Wichtig ist es, im Vorfeld die chemischen Eigenschaften der verwendeten Substanzen zu prüfen. Sie bieten entscheidende Anhaltspunkte dafür, ob sich eine Inkompatibilität erwarten lässt: Bestehen große pH-Unterschiede? Gibt es Komponenten, die nur schlecht wasserlöslich sind? Enthält das Stoffgemisch bestimmte Gegenionen?
Was ist rechtlich zu berücksichtigen?
Zu bedenken sind nicht nur Fragen der Therapiesicherheit, sondern auch rechtliche Aspekte. Wenn die Zulassung der verwendeten Arzneimittel das Mischen von zwei und mehr Substanzen für die Anwendung am Patienten nicht vorsieht, handelt es sich sowohl um Off-Label-Use (also um eine Verwendung außerhalb der Zulassung) als auch um die Herstellung eines neuen Arzneimittels. Die Haftung liegt damit beim verordnenden Arzt; zudem besteht eine besondere Aufklärungs- und Einwilligungspflicht für Patient:innen.
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Therapieentscheidungen verlangen ein sorgfältiges Abwägen von Nutzen und Risiken für jede einzelne zu behandelnde Person. Bei der Arzneimitteltherapie stellen wir den potentiellen Nutzen der eingesetzten Medikamente einerseits den möglichen Risiken andererseits gegenüber. Soll die zu behandelnde Person Mischinfusionen erhalten, müssen wir deshalb neben dem bekannten Spektrum an Nebenwirkungen auch solche Risiken in unsere Überlegungen einbeziehen, die sich durch Inkompatibilitäten und unzureichende Stabilität ergeben könnten. Leitend ist dabei der Gedanke:
Die Infusionstherapie darf für die zu behandelnde Person kein zusätzliches Sicherheitsrisiko bedeuten!
Auch Faktoren im Versorgungsumfeld spielen bei solchen Überlegungen eine Rolle und können die Nutzen-Risiko-Abwägung beeinflussen. Beim stationären Aufenthalt im Krankenhaus stehen rund um die Uhr geschultes Personal und geeignete technische Hilfsmittel zur Verfügung. Das Fachpersonal kann auch mehrmals täglich Kurzinfusionen zubereiten und anhängen, sofern die Personalkapazität das erlaubt, und deren Verlauf überwachen. Anders verhält es sich bei Patient*innen, die zu Hause versorgt und nur punktuell von einem Pflegedienst betreut werden. Hier fehlt neben den technischen Hilfsmitteln auch die durchgehende Überwachung, die in der Klinik möglich ist. Die punktuelle Versorgung zwingt dabei zwar zu Kompromissen; dennoch sind die Risiken hier besonders gut abzuwägen und zu beachten, wenn man Medikamente ohne Kompatibilitätsdaten kombiniert.
Beispiel:
Vor allem bei Pumpen mit Bolusfunktion ist zu berücksichtigen, dass die zu behandelnde Person mit jeder Bolusgabe alle enthaltenen Medikamente in einer zusätzlichen Dosis erhält. In solchen Fällen empfehlen wir dringend, alternative Applikationsschemata zu diskutieren, z. B. zwei Pumpen oder Bedarfsmedikation über anderen Applikationsweg wie intranasal, rektal oder über einen zusätzlichen s.c.-Zugang.
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Vermeiden Sie Mischinfusionen. Wenn eine Infusionstherapie mit zwei oder mehr Medikamenten unumgänglich ist, beachten Sie bitte die folgenden Hinweise:
Kurzinfusionen
Je nach Zulassungsstatus und Wirkdauer ist eventuell die Gabe als Kurzinfusion möglich (ein- bis mehrmals täglich). Beispiele: Protonenpumpeninhibitoren, Dexamethason, Levetiracetam, Einsatz von Granisetron statt Ondansetron.
Applikation im Bypass/über Y-Stück
Hier muss eine sofort eintretende Inkompatibilität ausgeschlossen sein, z. B. aufgrund starker Unterschiede beim pH-Wert oder bei schwerlöslichen Substanzen. Beispiele: Midazolam (sauer) verträgt sich nicht mit Furosemid (alkalisch); Phenytoin (schwerlöslich).
Anpassung der Kontaktzeit an Kompatibilitätsdaten
Die Kontaktzeit der verwendeten Substanzen sollte möglichst kurz ausfallen. Seien Sie besonders vorsichtig bei fehlenden Kompatibilitätsdaten: Halten Sie in diesem Fall die Kontaktzeit unbedingt bei < 24 h. Falls Kompatibilitäts- und Stabilitätsdaten vorliegen, lässt sich mit ihnen die Laufzeit genauer festlegen. Eine Laufzeit > 24h sollte aus mikrobiologischen Gründen nur angesetzt werden, wenn die Mischung in einem Sterillabor erfolgt (vorausgesetzt natürlich, dass die Mischung ansonsten chemisch-physikalisch stabil ist).
Manche Inkompatibilitätsreaktionen laufen nur langsam ab. Dann ist z. B. eine Mischung über 24h unproblematisch, während es nach 3 Tagen vermehrt zu Druckalarm kommt. Berücksichtigen Sie weitere Einflussfaktoren, die Reaktionen beschleunigen können, z. B. direkte Sonneneinstrahlung, höhere Temperaturen.
Infusionsfilter
Erwägen Sie grundsätzlich, Infusionsfiltern zu verwenden (max. 1,2µm Porengröße). Filter können partikuläre Verunreinigungen zurückhalten, z. B. durch Kristallbildung oder Ausflockungen, auch kleine Bestandteile von Glasampullen. Wenn ein System mit eingebautem Infusionsfilter Druckalarm gibt, kann das ein Hinweis auf eine Verunreinigung der Infusionslösung durch eine Inkompatibilität sein. Solche Filter sind in einige Überleitungssysteme bereits eingebaut.
Herstellungsbedingungen
Ideal ist es, die Mischinfusion in einer Apotheke mit entsprechend eingerichtetem Sterillabor herzustellen, also in der Regel die Pumpe dort zu befüllen. Dadurch lässt sich zumindest die mikrobiologische Stabilität über einen definierten Zeitraum garantieren. Nur in Akutsituationen und nur für einen eng begrenzten Zeitraum (z. B. 24h) sollte das Mischen vor Ort erfolgen, also z. B. beim Patienten zu Hause.
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Nicht alle Arzneistoffe sollten miteinander vermischt werden. Chemisch-physikalische Unverträglichkeiten können zu Stabilitätsproblemen führen. Auch aus pharmakologischer oder pharmakokinetischer Sicht ist nicht jedes Gemisch sinnvoll.
Folgende Substanzen müssen in jedem Fall separat von anderen appliziert werden.
Der Zugang ist vor und nach der Anwendung unbedingt gründlich zu spülen!
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Nur wenige palliativmedizinisch eingesetzte Substanzen sind auch für den subkutanen Applikationsweg zugelassen.
Bei der subkutanen Applikation handelt es sich somit oftmals um einen Off-Label-Use!
Daten zur subkutanen Anwendbarkeit liegen für viele Substanzen vor, wobei es sich in der Regel um Fallberichte und Fallserien mit insgesamt wenigen Patienten handelt, also um Erfahrungsberichte und nicht um systematische Untersuchungen. Für eine Vielzahl von Medikamenten gibt es publizierte Erfahrungswerte. Auch wenn es keine offiziellen Empfehlungen hinsichtlich der Eigenschaften eines Arzneistoffes gibt, die ein Abschätzen der subkutanen Applikationsmöglichkeit erlauben, können mit Hilfe der publizierten [130, 131] und persönlich gesammelten Erfahrungen sicherlich Aspekte zusammengetragen werden, die sich im klinischen Alltag als Orientierungshilfe nutzen lassen.
Hierzu zählen:
- gut wasserlösliche Substanzen; keine Lösungsvermittler notwendig, um die Substanz überhaupt erst in Lösung zu bringen
- geringes Applikationsvolumen
- möglichst wenig reizend
- möglichst physiologischer pH-Wert und Osmolarität
Hinweis, dass eine Substanz reizend ist, kann z.B. die Fachinformation geben. So sollte die Information, dass die extravasale Anwendung zu Nekrosen führen kann, sicherlich besondere Aufmerksamkeit bekommen.
Der pH-Wert und die Osmolarität sind möglicherweise nur von untergeordneter Bedeutung. Mittlerweile ist bekannt, dass sowohl Substanzen mit extremen pH-Werten als auch mit hohen Osmolaritäten bei der s.c.-Applikation vom Patienten gut toleriert werden. Beispiele sind Midazolam (pH 2,9-3,7) und Omeprazol (pH 9,3-10,3) sowie Metamizol oder Levetiracetam.