Historie
Eine Klinik mit großer Tradition
Die Psychiatrische Klinik der LMU wurde 1904 unter Emil Kraepelin im Herzen der Stadt München eröffnet. Unter ihrem Dach verhalfen viele berühmte Forscher der Psychiatrie zu entscheidenden Fortschritten. Daraus ergaben sich auch neue Therapien, von denen unsere Patienten profitieren konnten.
Zwei der berühmtesten Forscher unseres Hauses waren Emil Kraepelin, der die moderne Psychiatrie als klinische und wissenschaftliche Disziplin maßgeblich begründete und Alois Alzheimer, der als erster die nach ihm benannte senile Demenz erkannte und beschrieb.
Zur Jahrhundertwende errichtete der Architekt Max Littmann, der u. a. auch das Prinzregententheater in München entwarf, das Klinikgebäude im Stil der Gründerzeit. Es steht heute unter Denkmalschutz und wird als Kraepelin-Gebäude bezeichnet. Seine Renovierung wurde Anfang 1998 abgeschlossen. Seitdem dient es als Funktions- und Forschungsbau. Außerdem sind dort die Psychiatrische Ambulanz und ein Teil der Spezialambulanzen untergebracht. Dieser Altbau geht nahtlos in den Neubau im postmodernen Stil über. Er dient als Bettenhaus mit 200 Plätzen.
Alt- und Neubauten gruppieren sich um mehrere schöne Gartenanlagen mit altem Baumbestand.
-
1900
Anton Bumm ist der Bau der Königlich Psychiatrischen Universitätsklinik zu verdanken. Er war in München Ordinarius für Psychiatrie und zugleich Direktor der Oberbayerischen Irrenanstalt, wie es damals hieß. Bumm schlug eine Kombination aus Universitätsklinik und Stadtasyl mit 100 Betten vor, weil er darin Vorteile für Forschung, Behandlung und den medizinischen Unterricht sah. Unter seiner Leitung begann eine Kommission die Psychiatrische Klinik auf dem Areal der anderen Kliniken links der Isar zu planen. Die Stadt München stellte dafür einen Bauplatz an der Ecke Nußbaumstraße/Goethestraße aus dem Eigentum der Krankenhausstiftung zur Verfügung. Im Gegenzug musste sich die Universität verpflichten, die Geisteskranken der Stadt München vorübergehend aufzunehmen und zu untersuchen. Um sich ganz dem Bau der Psychiatrischen Klinik widmen zu können, bat Anton Bumm im November 1900 um seine Amtsenthebung als Direktor der Kreisirrenanstalt.1901
Anton Bumm unterschrieb einen Vertrag, der ihn dazu verpflichtete, die Direktion der neuen Klinik zu übernehmen. Er beschäftigte sich intensiv und detailliert mit Bau- und Einrichtungsfragen. Dabei half ihm der Architekt Max Littmann, der zur damaligen Zeit einer der bekanntesten Architekten Deutschlands war – insbesondere für öffentliche Gebäude. Er entwarf neben der anatomischen Anstalt, der Schack-Galerie und dem Prinzregententheater auch den Neubau des Hofbräuhauses am Platzl in München. Das königliche Hoftheater in Stuttgart, die Stadttheater in Bozen und Posen, das großherzogliche Hoftheater in Weimar und das Schiller-Theater in Berlin gehen ebenfalls auf Entwürfe von Max Littmann zurück.1902
Im August wurde der Bau von Heilmann und Littmann begonnen, die Inbetriebnahme war für das Jahresende 1904 vorgesehen. Dies sollte Anton Bumm nicht mehr erleben. Er starb überraschend nach einer Gallenblasenoperation.1904
Das neue Klinikgebäude wurde im November unter der Leitung von Emil Kraepelin eröffnet. Er wurde aus Heidelberg auf den Lehrstuhl für Psychiatrie nach München berufen.
-
17. und 18. Jahrhundert
Zu dieser Zeit wurden psychisch Kranke häufig wie Kriminelle in Zucht- und Tollhäusern untergebracht und von Wärtern bewacht. 1803 errichtete man das Giesinger Tollhaus. Dort arbeiteten vier Wärter und eine Wärterin, die sich um die Reinlichkeit und Aufsicht der Kranken kümmerten. Zwangsmaßnahmen waren nur selten notwendig. Die Patienten konnten sich tagsüber frei im Haus und Garten aufhalten. Das Essen wurde von einem Oeconomen und seiner Frau nach einer Kostordnung verteilt.19. Jahrhundert
Der Wärter-Beruf setzte sich nach Errichtung der Heil- und Pflegeanstalten über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus weiter fort. Denn in Ermangelung therapeutischer Möglichkeiten, war die Bewachung eine wichtige Aufgabe. Die Tätigkeit war jedoch mit einer hohen Personalfluktuation und kurzen Anstellungszeiten verbunden, da die Arbeit meist hart war und das Gehalt oft nicht zum Überleben reichte. Die Wärter waren zudem einem strengen Reglement durch die ärztliche Leitung der Anstalt ausgeliefert. Es gab sogar Eheverbote und Ausgangssperren für sie.20. Jahrhundert
Mit der Jahrhundertwende wurden die Begriffe Wärter und Wärterschaft in Pfleger und Pflegschaft umgewandelt, um dem Beruf eine neue Wertigkeit zu geben. Auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen wurde unumgänglich. Denn die Wärter formierten sich immer häufiger gegen die Umstände.1902
wurden erste Versuche einer gewerkschaftlichen Organisation unternommen.1903/1904
Mit Eröffnung der psychiatrischen Universitätsklinik in München vertraute man die Pflege und Versorgung der Patienten den Barmherzigen Schwestern an, wie in den anderen Universitätskliniken auf dem Innenstadtgelände auch. Zusätzlich wurden männliche Pflegekräfte eingestellt, die für die männlichen und sehr unruhigen Patienten zuständig waren. Kraepelin hatte eine Haus- und eine Dienstordnung verfasst, in denen sich die Strenge und Kompromisslosigkeit des Klinikchefs widerspiegelte. Die Kündigungsfrist betrug einen Monat. Der erste Grund für eine sofortige Entlassung war unterlassener Gehorsam. Geldstrafen gab es, wenn der Ausgang zeitlich überschritten wurde oder der Pfleger-Schlafraum nach 10 Uhr noch nicht verlassen worden war. Die Arbeit der Pfleger bestand in der Bewachung, Reinigung und Verpflegung der Patienten, sowie der Instandhaltung und Säuberung der Wachsäle. Sie verteilten die wenigen damals vorhandenen Medikamente (v. a. Beruhigungs- und Schlafmittel) und beaufsichtigten die Patienten bei der Anwendung von Dauerbädern. Die Ordensschwestern kontrollierten diese Arbeiten und gaben Anweisungen. Außerdem waren die Barmherzigen Schwestern für die Küche zuständig. Unter ihrer Leitung arbeiteten Mädchen im Waschhaus, in der Näh- und Bügelstube. In den Wachsälen musste nachts jede Viertelstunde eine Stechuhr bedient werden. So konnte kontrolliert werden, ob der Pfleger tatsächlich dort war und wachte. Der Tagdienst betrug 15 Stunden von 6.00 bis 21.00 Uhr. Wegen der hohen Arbeitsbelastung durch die steigenden Aufnahmezahlen kam es zunehmend zu Spannungen zwischen der Klinikleitung und dem Pflegepersonal. Die Hauptforderung des Personals war die Verbeamtung. Kraepelin wollte jedoch nur den bewährten Pflegern diesen Vorzug gewähren. Die Einführung des 8-Stunden-Dienstes bzw. des Dreischichtenwechsels nach dem 1. Weltkrieg war Kraepelin ein Dorn im Auge. Er sah die Kontinuität der pflegerischen Betreuung dadurch in Frage gestellt. Das Verhältnis zwischen Kraepelin und dem Pflegepersonal galt als angespannt und wenig freundlich.1917
Die pflegerische Tätigkeit erweiterte sich mit der Einführung therapeutischer Möglichkeiten erheblich. So erhielten z. B. immer mehr Patienten mit progressiver Paralyse eine Fiebertherapie. Sie bedurften besonders intensiver pflegerischer Überwachung und Zuwendung. Denn die Patienten bekamen Blut, das mit inaktivierten, aber Fieber provozierenden Erregern bestimmter Malariastämme infiziert war. Dann wartete man, dass das Fieber stieg. Diese Malariastämme wurden damals von bestimmten Labors durch nahezu ganz Europa geschickt.
1930
In diesem Jahrzehnt führte man die Elektrokrampftherapie ein. Die Überwachung der damit behandelten Patienten gehörte zu den wichtigen Aufgaben des Pflegepersonals. Die Umstände des 2. Weltkrieges erschwerten die Arbeit erheblich. Da in der Klinik ein neurologisches Lazarett eingerichtet wurde, musste sich das Pflegepersonal auch um die Versorgung von Verwundeten kümmern.
1945
Nach dem 2. Weltkrieg - damals war Prof. Georg Stertz Klinikchef - hatten die Pfleger noch eine 60-Stunden-Woche, Tagdienst von 6.00 bis 20.00 Uhr, Nachtdienst von 20.00 bis 6. 00 Uhr.
1947
Die Barmherzigen Schwestern zogen nach dem provisorischen Wiederaufbau des Ostflügels, der durch eine Bombe zerstört wurde, wieder aus dem benachbarten Mutterhaus unter das Dach der Klinik. Nach wie vor ruhte auf ihren Schultern die Hauptverantwortung der Pflege. Die Stationsleitung lag ebenfalls weiterhin in den Händen der Ordensschwestern, die meist über die üblichen Dienstzeiten hinaus arbeiteten.Das weltliche Pflegepersonal unterstand den Ordensschwestern und dem Oberpfleger. Die Schwestern vom Orden der Vinzentinerinnen genossen bereits zur damaligen Zeit eine zweijährige Ausbildung als Krankenschwester, die Pfleger waren immer noch angelerntes Personal. Da es kein gesondertes Reinigungspersonal gab, war Putzen eine wesentliche Aufgabe.
Ab 1950
In diesem Jahrzehnt waren noch alle Stationen geschlossen. In der Regel durften die Patienten während ihres stationären Aufenthaltes die Klinik nicht verlassen - auch nicht in Begleitung. Sie durften lediglich in Begleitung von Pflegepersonal in die nach Geschlecht getrennten Gärten, aber auch das war streng geregelt. Pfleger bewachten die Ausgänge der Gärten. Ab Ende der 50er Jahre führte man eine fachgerechte Ausbildung für das Pflegepersonal ein und plante erste Fortbildungsveranstaltungen.Ab 1960
Anfang dieses Jahrzehnts entspannte sich die Situation. Gut gesundete Patienten bekamen in Begleitung des Pflegepersonals Ausgang. Die nächtlichen Kontrollen mit der Stechuhr wurden auf eine halbe Stunde ausgedehnt. An den übrigen organisatorischen und den baulichen Zuständen änderte sich jedoch nichts Wesentliches. In drei Wachsälen waren bis zu 60 Betten untergebracht, die nachts zwei Pfleger bewachten. Die Patienten bekamen ihr Essen vom Pflegepersonal mundgerecht vorbereitet. So musste kein Besteck ausgeteilt werden, serviert wurde auf unzerbrechlichem Blechgeschirr. Bei der stationären Aufnahme eines Patienten bestand der erste Kontakt in der Regel mit dem Pflegepersonal. Der Patient hatte sich zunächst auszuziehen und wurde - fast wie ein Ritual - zuerst gebadet und auf gefährliche Gegenstände hin untersucht. Bekleidet waren die Patienten mit Schlafanzügen und Bademänteln, die von der Klinik gestellt wurden. Das Pflegepersonal musste kontrollieren, dass keine Patientenbriefe außer Haus gingen, ohne dass sie ein Arzt gesehen hatte. Krankenbesuche waren ohne ausdrückliche Zustimmung eines Arztes verboten. Die Therapieformen der 50er und 60er Jahre brachten mit sich, dass das Pflegepersonal intensiv in die Behandlung eingebunden wurde: Beispielsweise wurde den Patienten fünf Tage lang Quecksilber in die Haut einmassiert. Danach badete man sie und forderte sie auf, den Mund mit Wasserstoffperoxid auszuspülen. Elektrokrampftherapien wurden bei bis zu 30 Patienten nacheinander an einem Tag ohne Narkose im Bett des Wachsaals durch. Auch das mussten die Pfleger mit überwachen. Bei den Insulinkuren, die auf einer Spezialstation durchgeführt wurden, war es häufig Aufgabe der Pflegekräfte bis zu 270 Einheiten Insulin zu spritzen. Nur den langjährigen Erfahrungen der Pflegekräfte mit diesen komplizierten und nicht ungefährlichen Therapieverfahren war es zu verdanken, dass es dennoch selten zu Zwischenfällen kam. Einfachere Komplikationen meisterten sie ohne einen Arzt hinzuzuziehen. Kamen Patienten mit einer Vergiftung in die Klinik führte man - wie heute – eine Magenspülung durch. Passierte so ein Notfall nachts, wurde ein Reservepfleger zur Entgiftung dazu geholt. Jeden Dienstag und Donnerstag verlegte man einige Patienten per Bus nach Haar. Auch diese Transporte wurden von Pflegern begleitet und beaufsichtigt. Ohne diese regelmäßigen Verlegungen wäre es in der Klinik in der Nußbaumstraße zu einer heillosen Überfüllung gekommen. Da sie nach wie vor die erste Anlaufstelle für Patienten aus der Stadt München war - den traditionellen Aufgaben des Stadtasyls entsprechend. Ende der 60er Jahre bekam der Orden der Barmherzigen Schwestern erste Nachwuchsschwierigkeiten. Deshalb wurden jetzt auch weltliche Krankenschwestern eingestellt.Ab 1970
Als die Klinik in den 70er Jahren bereits von Prof. Hippius geleitet wurde, definierte man den Pflegeberuf insgesamt neu: „Das Pflegepersonal brauche ich für wichtigere Dinge als fürs Putzen...“ Nach intensiver Vorbereitung kam es in Verbindung mit den psychiatrischen Kliniken rechts der Isar und dem Max-Planck-Institut für Psychiatrie zur Einrichtung der bis heute bestehenden Weiterbildungsstätte für psychiatrische Fachpflege. Zu Anfang gab es einen vierteljährigen Kurs in spezieller Psychiatriepflege, der zur Fachschwester bzw. zum -pfleger qualifizierte. Auch der Umgang mit Pharmaka veränderte sich in den 70er und 80er Jahren drastisch. Die vorher häufig über das Verfallsdatum hinaus benutzten Tabletten und Säfte wurden vernichtet, eine Übersicht und Kontrolle des aktuellen Medikamentenbestandes eingeführt. In der Führung des Pflegepersonals kam es nach dem Ausscheiden des Ordens der Vinzentinerinnnen aus der Pflegedienstleitung zu einem Wechsel. Erstmals stellte man neben dem männlichen Pflegedienstleiter, Herrn Späth, eine weltliche, weibliche Vertreterin, Frau Eichinger, ein. Das Krankenblattarchiv wurde traditionell vom Oberpfleger geführt, soweit es männliche Patienten betraf. Das weibliche Krankenblattarchiv lag in Händen der Oberin. Diese Archive wurden Ende der 70er Jahre von Prof. Hippius zusammengeführt und unter die Verwaltung von Dr. Anton Strauß gestellt. Dabei weitete man die Dokumentation der Erkrankungen, ihren Verlauf und die Therapie auch für wissenschaftliche Zwecke aus. Die Klinik führte auch das Dokumentationssystem der „Arbeitsgemeinschaft für Dokumentation in der Psychiatrie“ (AMDP) ein, zu der sich führende deutsche Kliniken zusammengeschlossen hatten.1980
Die psychiatrische Klinik blieb von den Folgen des sogenannten Pflegenotstands in den 80er Jahren nicht völlig verschont. Obwohl hier die pflegerische Situation im Vergleich zu anderen Kliniken wesentlich besser war. Dies verdankte man der langjährigen Verbundenheit vieler Schwestern und Pflegern zur Klinik. Sie gehörten teilweise 40 Jahre und länger zum Personal. Lediglich eine Station musste vor dem Umzug in den Neubau für einige Monate geschlossen werden. Im Rahmen der Umorganisation der Innenstadtkliniken gliederte man die selbständige Nervenklinik in das Klinikum Innenstadt ein und unterstellte sie einer zentralen Verwaltung. Für das Pflegepersonal brachte diese Umstrukturierung eine Pflegedirektion mit sich, die Teil der Klinikdirektion ist. 1982 entwickelte man die Spezialstation für Suchterkrankungen und die Forschungsstationen mit den Schwerpunkten Demenzerkrankungen sowie Endokrinologie, Psychopharmakologie und Schlaf.Ab 1990
Um den speziellen Anforderungen der vielfältigen psychiatrischen Krankheitsbilder gerecht zu werden, richtete man noch mehr Stationen nach Schwerpunkten aus. Die Spezialstationen zur Therapie von depressiven Störungen und Schizophrenie entstanden. Durch die Spezialisierung konnte das Fachpersonal als kompetentes Team spezifische therapeutische Ziel- und Maßnahmenplanungen besser umsetzen.Die pflegerische Tätigkeit in der Psychiatrie fördert bei entsprechendem Engagement und Fähigkeiten weit über das normale Maß der herkömmlichen Krankenpflege hinaus den Therapieerfolg. Denn bei geeigneten Gruppen oder Einzelgesprächen können Pflegekräfte als Co-Therapeuten zusammen mit Ärzten und Psychologen die Entscheidungen des therapeutischen Teams mit tragen und umsetzen. Zudem garantieren Arbeitsgruppen, zahlreiche Mentoren und die hausinterne Personalschulungen die Qualitätssicherung.
Dr. G. Neundörfer
Literatur/Quellen:
- Engstrom, E.J. (1990): Emil Kraepelin: Leben und Werk des Psychiaters im Spannungsfeld zwischen positivistischer Wissenschaft und Irrationalität. Magisterarbeit, LMU München.
- Höll, T., Schmidt-Michel, P.-O. (1989): Irrenpflege im 19. Jh.. Die Wärterfrage. Band 44. Psychiatrie-Verlag: Bonn.
- Stertz, G. (1949): Dienstordnung. Märkl-Verlag: München.
-
Emil Kraepelin war der erste Klinikdirektor der Psychiatrischen Klinik der LMU. Er erlangte zu Beginn des 20. Jahrhunderts weltweit Geltung in der Psychiatrie.
1856 bis 1873: Die Kinderzeit
Emil Kraepelin wurde am 15. Februar 1856 in Neustrelitz in Mecklenburg geboren. Sein Vater war Musiklehrer. Emil war das jüngste von drei Geschwistern. Zu seinem neun Jahre älteren Bruder Karl (1848 – 1915) hatte er eine besonders enge Beziehung. Karl weckte auch Emils Interesse an den Naturwissenschaften, das in seinen Kindertagen vor allem der Botanik galt. Der enge Kontakt der Brüder blieb zeitlebens bestehen. Sie reisten viel gemeinsam. Vermutlich geht Kraepelins Neigung zu Systematisierungen und Klassifizierungen in der Psychiatrie auf den Einfluss seines Bruders zurück, der Professor für Botanik wurde. Ein Freund von Emils Vater war Arzt. Unter seinem Einfluss beschloss Kraepelin bereits als Schüler, Medizin zu studieren. Nach dem Schulabschluss musste er jedoch erst eine mehrmonatige Militärdienstzeit absolvieren.
1874 bis 1877: Das Medizinstudium
Kraepelin begann im Sommersemester 1874 sein Medizinstudium in Leipzig. Nach einem Jahr wechselte er an die Universität Würzburg. Dort machte er das Physikum. Nach einem erneut in Leipzig verbrachten Semester, kehrte Kraepelin zum Wintersemester 1877/78 wieder nach Würzburg zurück. Dort hatte man ihm eine Assistentenstelle angeboten, die er Ende 1877 übernahm, obwohl er erst 1878 die Staatsprüfung ablegte.
1878: Erster Kontakt mit der Psychiatrie
Mit dem Abschluss in Medizin ging Kraepelin 1878 an die Münchener Kreisirrenanstalt zu Bernhard von Gudden. Die ersten Erfahrungen in der Psychiatrie wirkten auf den jungen Mann offensichtlich eher entmutigend. Er registrierte vor allem die völlige Ohnmacht des ärztlichen Handelns und war verunsichert über die Vielfalt der Beobachtungen, die für ihn nur ein „verwirrendes Gewimmel“, ein einziges „Gewirr der Beobachtungen“ war. Mit seinem wissenschaftlichen Interesse fand er in München schnell Anschluss an einige Mitarbeiter der Klinik, die erfolgreich auf dem Gebiet der Neuroanatomie arbeiteten, das in der von Gudden’schen Klinik im Mittelpunkt der Forschung stand.1879 bis 1880: Neuorientierung
Während seiner Arbeit bei von Gudden musste Kraepelin von Oktober 1879 bis Mai 1880 den zweiten Teil seines Militärdiensts in Neustrelitz absolvieren. In dieser Zeit schrieb er seine erste wissenschaftliche Arbeit innerhalb von drei Wochen. Als Kraepelin wieder in München war, empfand er wohl zunehmend, dass er bei von Gudden seine eigenen wissenschaftlichen Pläne und Vorstellungen nicht verwirklichen konnte – obwohl er sehr stolz auf die wissenschaftliche Bedeutung der Klinik war und von Gudden persönlich verehrte.1882 bis 1883: Habilitation
Kraepelin nahm im Sommer 1882 das Angebot an, Assistent an der Psychiatrischen Klinik der Universität Leipzig zu werden. Es wurde ihm zugesichert, dass er sich dort für Psychiatrie habilitieren könne. Fünf Wochen später, im Mai 1882, bekam er jedoch die Kündigung. Man weiß bis heute nicht sicher, was der Grund dafür war. Dank der Unterstützung von Wilhelm Wundt sowie des Internisten und Neurologen Wilhelm Erb in Leipzig konnte Kraepelin dennoch sein Habilitationsverfahren abschließen. Danach entschloss er sich im Herbst 1883 zurück nach München zu gehen. Bernhard von Gudden hatte ihm erneut eine Stelle angeboten.1884 bis 1885: Familiengründung und Entscheidungsjahre
Durch die sichere Assistentenstelle bei von Gudden und die damit verbundenen Einkünfte, sah sich Kraepelin Anfang 1884 in der Lage mit 28 Jahren zu heiraten. Er hatte sich schon 1871 mit der ebenfalls aus Neustrelitz stammenden, um sieben Jahre älteren Ina Schwabe verlobt. Doch mit der Hochzeit zögerte Kraepelin dann plötzlich doch: Denn nach der Rückkehr zu von Gudden verlor er endgültig das Interesse an hirnanatomischen Studien. Er fühlte sich als „reiner Psychiater mit psychologischen Neigungen“. Im Laufe des Jahres 1884 zweifelte und überlegte er viel und entschloss sich schließlich „der akademischen Laufbahn zu entsagen und zu heiraten“. Kraepelin übernahm die Position eines Oberarztes an der Schlesischen Irrenanstalt Leubus. Am 4. Oktober 1884 fand die Hochzeit statt. Schon wenige Monate später wurde ihm die Position des dirigierenden Arztes der Irrenabteilung des Allgemeinen Krankenhauses in Dresden angeboten. Er sagte zu und trat dort im Frühjahr 1885 seinen Dienst an. Im November 1885 kam seine erste Tochter zur Welt, die wenige Stunden nach der Geburt starb.1886 bis 1890: Autor und brillanter Wissenschaftler
Nach einem Jahr in Dresden, bekam Kraepelin im Sommer 1886 einen Ruf auf den psychiatrischen Lehrstuhl der baltischen Universität Dorpat. Er blieb dort bis 1891 Professor und gehörte dadurch bereits Ende des 19. Jahrhunderts zu den führenden deutschen Psychiatern. Privat waren die Jahre in Dorpat für das Ehepaar Kraepelin jedoch tragisch. 1887 wurde eine zweite Tochter geboren – 1888 eine dritte, die im Alter von zwei Jahren starb. Beruflich festigte Kraepelin seinen Ruf als hervorragender Kliniker und Wissenschaftler durch acht Auflagen seines Lehrbuchs „Psychiatrie", die in schneller Folge 1887, 1889, 1893, 1896, 1899 erschienen. Sie sind die Basis für Kraepelins bis in unsere Zeit hineinreichende überragende Bedeutung für die gesamte Psychiatrie. Am 9. November 1890 erreichte Kraeplin der Ruf auf den Lehrstuhl für Psychiatrie nach Heidelberg. Am gleichen Tag wurde sein erster Sohn geboren. Er starb jedoch noch, bevor die Familie 1891 nach Heidelberg zog.1891 bis 1902: Die Heidelberger Jahre
Die Zeit in Heidelberg wurde für Kraepelin und seine Familie dann endlich eine sehr glückliche Zeit: Es wurden vier Töchter geboren.
1903 bis 1916: Rückkehr nach München
Bei seinem Entschluss, Heidelberg zu verlassen, hatte Kraepelin zunächst „das Gefühl, der Wissenschaft sein persönliches Glück zum Opfer zu bringen". Dennoch sah er dann in der zweiten Münchener Zeit seine wichtigste Lebensphase – sowohl wissenschaftlich wie privat. Er knüpfte weltweit viele Beziehungen, pflegte alte und neue Kontakte zu sehr vielen Fachkollegen. Verschiedene Mitarbeiter folgten Kraepelin 1903/1904 nach München, um dort ihre Arbeit fortzusetzen. Dazu gehörten vor allem R. Gaupp, A. Alzheimer und P. Nitsche – später u. a. Lotmar, Reiss und E. Rohde. Der von Kraepelin besonders geschätzte Rohde richtete in München das erste chemische Labor ein. Nicht nur für Kraepelin, sondern auch für seine Familie war der Wechsel nach München positiv. Denn Kraepelin hatte bei seiner Berufung durchgesetzt, dass er in einem Anbau an die neue Klinik eine großzügige Dienstwohnung bekam, genannt die „Villa". Seine wirtschaftliche Situation entwickelte sich so gut, dass er in Pallanza am italienischen Ufer des Lago Maggiore ein Haus baute. Das Grundstück hatte er bereits in seiner Heidelberger Zeit erworben. Kraepelin verbrachte die Semesterferien dort, um sich fernab der Klinik und anderen Verpflichtungen, seiner wissenschaftlichen Arbeit zu widmen. So schrieb er in dieser Zeit große Teile seines Werks in Pallanza.1917 bis 1926: Das Max-Planck-Institut für Psychiatrie
Als Direktor der Königlich Psychiatrischen Klinik in München gründete Kraepelin die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie - das heutige Max-Planck-Institut für Psychiatrie. Nach viel Überzeugungsarbeit für seine besondere „Forschungseinheit" und durch sein unermüdliches Engagement erhielt er dafür finanzielle Unterstützung von der Industrie. Krupp, Nobelpreisträger E. Fischer, die Deutsche Chemische Industrie und die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft förderten ihn. Es wurde sein größtes, vollendetes Projekt, bevor er 1922 emeritiert wurde. Emil Kraepelin starb am 7. Oktober 1926 in München.Heute: Kraepelins Erbe
Die aus der klinischen Anschauung und Beobachtung heraus entwickelte, immer wieder empirisch überprüfte und unter Berücksichtigung neuer Befunde und Erkenntnisse auch immer wieder geänderte Kraepelin’sche Systematik der psychiatrischen Krankheitsbilder ist unverändert gültig. Durch die weltweiten Bemühungen um die Operationalisierung der psychiatrischen Diagnostik – im Zusammenhang mit der ICD-Klassifikation (ICD-10) der WHO und den amerikanischen Diagnoseklassifikationen DSM-III und -IV) – hat die Nosographie und klassifikatorische Systematik Kraepelin’s in den letzten Jahren sogar wieder ganz besondere Bedeutung erhalten. -
Er war ein Mitarbeiter Emil Kraepelins und ist wahrscheinlich der berühmteste Arzt unserer Klinik-Geschichte. Denn der Psychiater und Neuropathologe beschrieb als erster eine Demenzerkrankung, die nach ihm Alzheimersche Krankheit benannt wurde.
1864 bis 1901: Die frühen Jahre
Alois Alzheimer wurde am 14.06.1864 in Marktbreit am Main als Sohn eines Notars geboren. 1887 machte er in Würzburg sein Staatsexamen und promovierte dort. 1888 bekam er die Aufgabe, fünf Monate lang Reisebegleiter einer geisteskranken Frau zu sein. Danach wurde er Assistenzarzt, später Oberarzt an der Städtischen Irrenanstalt Frankfurt unter der Leitung von Emil Sioli.
1902 bis 1905: Rechte Hand Kraepelins
1902 wechselte Alzheimer an die Psychiatrische Universitäts-Klinik Heidelberg zu Emil Kraepelin. Ein Jahr später folgte er ihm auch nach München und war dort von 1903 bis 1912 dessen Stütze. Kraepelin beauftragte Alzheimer, die Fertigstellung und Einrichtung der Münchener Klinik zu überwachen.1904 habilitierte er sich an der Münchener Fakultät mit der Arbeit „Über histologische Studien zur Differential-Diagnose der progressiven Paralyse". In München war Alzheimer anfangs - ebenso wie später E. Rüdin, F. Plaut und M. Isserlin - wissenschaftlicher Assistent. Er erhielt keine Bezahlung, konnte jedoch als Forscher frei über seine Zeit verfügen. Für ihn wurden der große Mikroskopiersaal und ein Raum für Mikrophotographie eingerichtet. Schon bald kamen Forscher aus vielen Ländern, um bei Alzheimer zu arbeiten. Der „Alzheimer’sche Mikroskopiersaal" war ein Zentrum der neurohistologischen Forschung. Zu den Mitarbeitern und Schülern von Alzheimer gehörten z. B. U. Cerletti, G. Perusini, F. Lotmar - sowie A.M. Jakob und H.G. Creutzfeldt, nach denen später die Creutzfeldt-Jakob Krankheit benannt wurde. Alzheimer musste auch nach Fertigstellung und Eröffnung der Klinik noch viele Aufgaben übernehmen, die ihn daran hinderten, in erster Linie wissenschaftlich zu arbeiten. So hatte er ab dem Sommersemester 1905 bis zu seinem Ausscheiden aus der Klinik nach dem Wintersemester 1912/13 umfangreiche Vorlesungsverpflichtungen.
1906 bis 1911: Die Entdeckung
Alzheimer hatte bereits eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten zu Erkrankungen des Gehirns veröffentlich, als er am 3. November 1906 bei der 37. Versammlung Südwestdeutscher Irrenärzte den Vortrag hielt, der ihn berühmt machte. Er beschrieb die auffallende Gedächtnisschwäche seiner Patientin Auguste D. Durch neuartige Färbemittel konnte er in ihrem Fall erstmals eine Veränderung der Neurofibrillen nachweisen. Die damit verknüpfte Krankheit benannte Kraepelin später nach Alzheimer. Als 1906 Gaupp den Ruf nach Tübingen annahm, wurde Alzheimer besoldeter Oberarzt und Vertreter Kraepelins. In den folgenden drei Jahren hatte er dadurch ein riesiges Arbeitspensum zu bewältigen und konnte während der regelmäßigen Abwesenheiten Kraepelins in den Semesterferien keinen Urlaub machen. Auf Alzheimers eindringlichen Wunsch hin, übertrug Kraepelin im April 1909 die Oberarztfunktion auf Ernst Rüdin. Alzheimer hatte nun wieder den Status des unbesoldeten wissenschaftlichen Assistenten. So fand er endlich wieder mehr Zeit für seine wissenschaftliche Arbeit. Einmal beurlaubte man ihn sogar für eine Studienreise.1913 bis 1915: Die letzten Jahre
Alzheimer übernahm als Nachfolger von K. Bonhoeffer den Psychiatrie-Lehrstuhl in Breslau. Er leitete die Klinik nur drei Jahre lang. Denn er erkrankte bald nach dem Umzug. Möglicherweise litt er unter einer Endokarditis, später kam eine Nierenkrankheit hinzu. Am 19.12.1915 starb Alois Alzheimer.