Osteosarkom
Das Osteosarkom ist der häufigste primär maligne Knochentumor. Pro einer Million Einwohner treten etwa 2-3 Erkrankungsfälle pro Jahr auf. Kennzeichen des Osteosarkoms ist die Produktion von manchmal auch nur kleinen Mengen an Tumorosteoid. Mehr als 60% aller Patienten sind jünger als 25 Jahre, aber rund 30% aller Fälle treten bei Patienten über 40 Jahren auf. Gerade hier sollte auf die wenigen bekannten prädisponierenden Faktoren wie einen langjährigen nicht behandelten Morbus Paget oder eine ehemals erfolgte Strahlentherapie geachtet werden. Die mediane Dauer vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnose beträgt etwa 3 Monate. Klinisch führend sind zunehmende, oft als belastungsabhängig empfundene Schmerzen der betroffenen Region, oft als Folge eines Sporttraumas interpretiert. Erst später kann eine lokale Schwellung bemerkt werden, gerade am Kniegelenk ist diese gut palpabel, manchmal auch mit einer Bewegungseinschränkung verbunden. Pathologische Frakturen sind selten, können aber auch das erste Symptom der Erkrankung sein. Wie bei allen primär malignen Knochentumoren sollte der Verdacht zur Überweisung an ein Sarkomzentrum führen.
Diagnostik
Unverzichtbar ist nach wie vor das konventionelle Röntgen in mindestens zwei Ebenen. Ergänzend müssen Schnittbildverfahren zur Darstellung des Markraumbefalls (manchmal sehr weitgehend) und des Weichteiltumors erfolgen. An den Extremitäten, im Schultergürtel- und im Beckenbereich wird hier die Magnetresonanztomographie (MRT) mit Kontrastmittel bevorzugt. Die Untersuchung muss neben der detaillierten Darstellung des Tumors selbst auch den gesamten befallenen Knochen mit den benachbarten Gelenken umfassen, um eventuell vorhandene Skip-Läsionen zu erfassen.
Differentialdiagnostisch kann in einigen Fällen additiv die Durchführung einer Computertomographie (CT) zur Feinbeurteilung des ossären Wachstumsmusters hilfreich sein.
Im nächsten Schritt erfolgt die immer notwendige Biopsie des Tumors, empfohlen an jenem Sarkomzentrum, das später auch die Resektion des Tumors durchführen wird.
Die Wahl eines ungeeigneten Zugansweges oder die Durchführung in falscher Technik kann den Extremitätenerhalt massiv gefährden.
Ob die Biopsie in minimalinvasiver Stanz- oder in herkömmlicher offener Technik („Inzisionsbiopsie") erfolgt, bleibt der Erfahrung des behandelnden Zentrums überlassen. Angesichts der raschen Durchführbarkeit, der niedrigen Komplikationsrate und Vorteilen bei der definitiven Versorgung nimmt die Zahl der Stanzbiopsien eher zu. Trotz geringen Gewebegewinns läßt sich bei der meist sehr typischen histopathologischen Struktur in den allermeisten Fällen so die Diagnose minimalinvasiv absichern. Eine Referenzpathologie wird in der Regel routinemäßig, schon aus Gründen des Studieneinschlusses, erfolgen.
Das Risiko der pulmonalen Fernmetastasierung bedingt klassischerweise eine CT des Thorax. Zur Suche nach Knochenmetastasen wird klassischerweise eine Skelettszintigraphie in 3-Phasen-Technik, in vielen Zentren heute auch direkt eine Ganzkörper-Positronen-Emissions-Tomographie mit 18F-Fluorodesoxyglukose und CT (FDG-PET/CT) als Ausgangsuntersuchung auch zur Beurteilung des späteren Therapieansprechens durchgeführt.
Laborchemisch gibt es, wie bei allen Sarkomen, keine spezifischen Marker. Ein hoher Knochenumsatz (erhöhte Werte der alkalischen Phosphatase) oder eine ausgeprägte Nekrose (erhöhte Werte der LDH) sind prognostisch aber ungünstig.
Klassifikation und Stadieneinteilung
Prinzipiell werden eine Reihe von Subgruppen unterschieden. Der wichtigste und typischste Vertreter (80-90%) ist dabei das zentrale Osteosarkom. Osteosarkome sind meist anaplastische Tumoren hoher Malignität, seltener sind hochdifferenzierte Tumoren (G1) mit niedrigem Metastasierungspotential (low-grade) z.B. parossale Osteosarkome.
Seitens der Lokalisation werden die schnell wachsenden Areale der Knochen, wie typischerweise das distale Femur, die proximale Tibia, das proximale Femur und der proximale Humerus in metaepiphysärer Lage bevorzugt. Oberflächenosteosarkome können bei sehr langsamem Wachstum und nicht immer eindeutigem Erscheinungsbild mit Exostosen verwechselt werden. Sekundäre Osteosarkome, z.B. nach Strahlentherapie oder als Folge eines Morbus Paget, zeigen eine ausgesprochen schlechte Prognose. Etwa 20% der Osteosarkome sind zum Diagnosezeitpunkt in den Screeninguntersuchungen erkennbar metastasiert, in 80-90% betrifft dies die Lunge. Auch wenn es augenscheinlich nur lokalisiert auftritt, muss das Osteosarkom aber als systemische Erkrankung verstanden werden.
Zur Stadieneinteilung findet die aktuelle TNM-Klassifikation Anwendung (Tabelle)
Therapie
Bis zur Einführung der Chemotherapie in den 70er- Jahren betrug die Überlebenschance trotz radikaler ablativer Therapie nur ca. 20%. Heute wird die Chemotherapie generell vor der Resektion (neoadjuvant) und nach der Resektion (adjuvant) durchgeführt. Eine Ausnahme stellen lediglich hochdifferenzierte (G1)-Osteosarkome dar, wie sie z.B. bei den periostealen Formen häufiger vorkommen.
Aufgrund der Seltenheit dieser Tumorentität hat man früh multizentrische randomisierte Studien begonnen, die erfreulicherweise fast alle in den deutschsprachigen Ländern versorgten Osteosarkome bei Kindern und jüngeren Erwachsenen erfassen. Die Therapie von Patienten mit einem Osteosarkom bis zum 40-sten Lebensjahr erfolgte bis Juni 2011 im EURAMOS (EURopean and AMerican Osteosarcoma Study)-1 Protokoll. Nach einer 7-jährigen Rekrutierungsphase wurden 2260 Patienten aus 330 Zentren eingeschlossen. Etwa 50% der Patienten wurden in 50 Zentren therapiert. In Deutschland konnten überdurchschnittlich 68% der Patienten randomisiert werden. Aktuell werden bei uns die Patienten im Standard-Arm des EURAMOS-1 Protokolls behandelt und registriert, jedoch nicht mehr risikoadaptiert randomisiert (coss@olgahospital-stuttgart.de). Liegt das Erkrankungsalter zwischen dem 40-sten und 65-sten Lebensjahr, so wird der Einschluss in das offene EURO-B.O.S.S. (EUROpean Bone Over Forty Sarcoma Study) Protokoll empfohlen.
Grundsätzlich muß zumindest die weite Re angestrebt werden. Bei palliativem Therapieansatz (z. B. Tumorre oder bei Vorliegen inoperabler Me sind die Anforderungen an die Raät des Eingriffes natürlich weniger streng zu stellen. Auch eine Strahlentherapie kann hier, oder bei anatomisch nicht resektabler Lokalisation sinnvoll sein.
Operationstechnische Gesichtspunkte
Eine MRT-Abbildung des gesamten Kompartmentes ist zum Ausschluss von Satellitenläsionen notwendig. Ist dies gesche kann weiter entschieden werden, welche anatomischen Strukturen für eine Deckung des Resektionsdefektes zur Verfügung stehen bzw. ob bei einer Extremitäten-erhaltenden Operation eine ausreichende onkologische Radikalität eingehalten wird und ob die erhaltene Extreät anschließend auch noch sinnvoll genutzt werden kann.
Operative Methoden
Grundsätzlich zur Verfügung stehen an den Extäten verschiedene operative Methoden:
- Erhalt der Extremität in der ursprünglichen Form mit Überbrückung eines entstehenden knöchernen Defektes
- Endoprothetische Gelenkrekonstruktion
- Amputation und Umkehrplastik
Operationen bei Knochentumoren stellen immer hochgradig individuelle Eingriffe dar. Die Funktion richtet sich nach den erhaltbaren Strukturen und den im Einzelfall zur Verfügung stehenden Rekonstruktionsmöglichkeiten. Bei Jugendlichen oder Erwachsenen ist die klassische Tumorendoprothetik meist das Verfahren der Wahl (Abb. 1 u. 2). Probleme bereiten pathologische Frakturen wegen der schwer vorhersehbaren Tumorzellverschleppung im Frakturhämatom und Kleinkinder, bei denen sich durch das Wachstum der Extremitäten zusätzliche Probleme bieten. Neue Operationsverfahren der autologen Rekonstruktion (Abb. 3) wie auch die Wachstumsendoprothesen (Abb. 4) können hier das Indikationsalter nach unten verschieben.
Amputationen bzw. verwandte Verfahren wie Exartikulationen oder Hemipelvektomien müssen durchgeführt werden bei zusätzlichem Befall der versorgenden nervalen Strukturen oder beinicht anders beherrschbaren Komplikationen anderer Rekonstruktionen. Als Umkehrplastik wird die Entfernung eines Segmentes einer Extremität und die Replantation des distalen Anteils der Extremität an die proximale Absetzungsstelle verstanden. Durchgängig erhalten bleibt nur die Nervenversorgung. Klassisches Beispiel ist die Umkehrplastik nach Borggreve.
Daten aus: Campanacci M., Bone and Soft Tissue Tumors, Springer-Verlag Wien-New York, 1990
In 1.355 Patienten der COSS Studie fanden sich 2011 publiziert signifikant unterschiedlich Lokalrezidive bei amputierten Patienten in 3,2%, bei Extremitäten erhaltend operierten Patienten in 7,5% und bei Umkehrplastiken in 2,4%. Zwischen weiter (6,2%) und radikaler Resektion (4,5%) bestand keine signifikante Differenz. Auch bei den knöchernen Resektionsabständen (1-10 vs. 11-20 mm) fand sich keine signifikante Differenz.
Generell lässt sich beim Osteosarkom damit die klare Empfehlung für eine weite Tumorresektion aussprechen. Die oft sehr begrenzten anatomischen Verhältnisse (z.B. Abstand zu den Gefäßen und Nerven der Poplitea) lassen eine über einen weiten Resektionsrand -zumindest im Millimeterbereich- hinaus gehende radikalere Resektion unter Mitnahme dieser wichtigen Strukturen nicht begründen. Ist im Einzelfall, z.B. im Becken, ein Resektionsrand kontaminiert muss unter kritischer Abwägung und Diskussion mit den Patienten u.U. auch eine lokale Nachbestrahlung gegenüber einer ablativen Maßnahme diskutiert werden.
In den Ergebnissen der im deutschsprachigen Raum abgeschlossenen COSS-Studien ließ sich damit ein Extremitätenerhalt in 70-80% aller Patienten bei einen Gesamtüberleben (10 Jahre) von ca. 65% im primär nicht metastasierten und ca. 30% im primär metastasierten Stadium bei den konventionellen Osteosarkomformen dokumentieren. Wesentliche prognostische Bedeutung kommt dem Ansprechen des Tumors auf die Chemotherapie zu. Eine Nekroserate von 90% und mehr ermittelt bei der Resektion, verbessert die Prognose hochsignifikant. Günstige prognostisch Parameter sind die periphere Lage, eine Größe kleiner 1/3 des Extremitätendurchmessers und die Vollständigkeit der chirurgischen Resektion. Die Lokalrezidivrate beträgt dabei abhängig von der Lokalisation im Extremitätenbereich ca. 4-13% (dist. Tibia – prox. Femur). Patienten mit singulären oder wenigen Lungenmetastasen eines Osteosarkoms haben eine signifikant bessere Prognose im Vergleich zu multiplen Lokalisationen. Eine Heilung ist nur bei vollständiger Resektabilität zu erwarten.
Mehr und mehr Patienten aus den Anfangsjahren der Chemotherapie bis heute sind deshalb potentiell kurativ therapiert und stellen die behandelnden Tumororthopäden aufgrund ihres meist jungen Alters und der erheblichen Defektgröße mit oft großen tumorendoprothetischen Ersatz langfristig vor erhebliche technische Herausforderungen. Insbesondere die Etablierung moderener modularer multiaxialer Prothesensysteme und die Erkenntnis der hohen Bedeutung der suffizienten Weichteildeckung haben hier in den letzten Jahrzehnten die Revisions- und sekundäre Ampuationsrate wesentlich sinken lassen.
Therapie metastasierter und rezidivierter hoch maligner Osteosarkome
Primär (synchron) metastasierte Patienten mit resektabler Erkrankung sollten in o. g. Therapieprotokolle eingeschlossen werden, womit sich Fünfjahresüberlebensraten von ca. 30–40% erreichen lassen. Pulmonale oder andere radiologisch erkennbare Metastasen lassen sich mit al-leiniger Chemotherapie nur ausnahmsweise in eine dauerhafte komplette Remission überführen, weshalb die zusätzliche operative Entfernung aller resektablen Tumorresiduen für eine langfristige Tumorfreiheit entscheidend ist. Bei 10 Lungenmetastasen werden noch Drei- bis Fünfjahresüberlebensraten von 10–30% beschrieben.
Sofern eine studienprotokollgerechte Chemotherapie und eine Metastasektomie nicht in Betracht kommen, ist der Einschluss in aktuelle „Salvage“-Protokolle mit der Studienzentrale zu prüfen. Die Fünfjahresüberlebensrate rezidivierter Patienten beträgt nur 10–20%. Prognostisch bedeutsam ist eine konsequente, oftmals wiederholte chirurgische Metastasektomie. Meist wird die Metastasektomie, zumindest im 1. Rezidiv, von einer neound/oder adjuvanten Chemotherapie begleitet. Einen Beweis dafür, dass eine adjuvante Chemotherapie nach kompletter Metastasenresektion die Überlebensrate verbessert, gibt es jedoch nicht.
Etablierte Rezidivchemotherapien existieren nicht. Nach Vorbehandlung mit ADM, DDP, IFS ± HD-MTX liegen die im Rezidiv mit Kombinationen wie z. B. Cisplatin/Carboplatin + Etoposid oder Ifosfamid + Etoposid, Ifosfamid + Adriamycin, HD-IFS, Topotecan + Etoposid oder Gemcitabin/Docetaxel beschriebenen Remissionsraten bei ca. 20–35%. Eine stammzellgestützte Hochdosischemotherapie hat keinen etablierten Stellenwert in der Therapie des Osteosarkoms.
Niedrig maligne zentrale Osteosarkome
Differenzialdiagnostische Schwierigkeiten bereiten zentrale niedrig maligne Osteosarkome, weil es sich dabei um Tumoren handelt, die radiologisch und histologisch das morphologische Erscheinungsbild von gutartigen Knochentumoren bzw. tumorähnlichen Knochenläsionen (Counterpart-Läsionen, wie z. B. fibröse Dysplasie, fibröser metaphysärer Defekt, aneurysmatische Knochenzyste, Chondromyxoidfibrom u.a.) imitieren. Mitunter kann die korrekte Diagnose eines malignen Tumors dabei erst aus dem klinischen Verlauf heraus gestellt werden, wenn nach zunächst unvollständiger Entfernung Lokalrezidive eintreten. Auch die Transformation in hoch maligne Osteosarkome ist möglich. Eine Chemotherapie ist bei niedrig malignen Osteosarkomen nicht indiziert.
Juxtakortikale Osteosarkome
Juxtakortikale Osteosarkome sind wesentlich seltener als zentrale Osteosarkome. Besonders die stark Knochen bildenden parossalen Osteosarkome können aufgrund des langsamen Wachstums und ihres Erscheinungsbildes im Nativröntgen mit kartilaginären Exostosen oder mit reaktiven Ossifikationen verwechselt werden. Vor dieser verhängsnisvollen Fehldiagnose schützt die konsequente Beachtung der sehr charakteristischen Vorzugslokalisation des parossalen Osteosarkoms am distalen Femur dorsal (Abb. 4). Bei korrekter Diagnose können diese Tumoren lokal reseziert werden und benötigen dann keine Chemotherapie, da sie meist sehr hoch differenziert sind. Die zur Gruppe der juxtakortikalen Osteosarkome gehörigen Entitäten des periostalen Osteosarkoms und des High-Grade-Surface-Osteosarkoms sowie die extraskelettalen Osteosarkome sind noch seltener, können erhebliche differenzialdiagnostische Probleme bereiten und sollten ausschließlich in spezialisierten Zentren behandelt werden.
Referenzoperationszentrum im COSS/EURAMOS-Protokol
Text und einige Abbildungen übernommen aus:
Seltene Knochentumoren der Extremitäten. H.R. Dürr, P.-U. Tunn, J. Schütte, J.T. Hartmann, V. Budach, M. Werner. Onkologe 2009 · 15:277–291