Häufige Fragen
In dem nachfolgenden Abschnitt werden zentrale Fragen zu Symptomatik, Diagnostik, Ursachen, Verlauf und Förderung bzw. Behandlung der Legasthenie dargestellt. Die Auswahl und Darstellung der Themen orientiert sich an den von Betroffenen, Eltern und Lehrern am häufigsten gestellten Fragen. Im Literaturverzeichnis wird auf weiterführende Literatur hingewiesen.
Legasthenie erkennen
Mit dem Begriff Legasthenie wird eine Störung bezeichnet, die durch ausgeprägte Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und/oder des Rechtschreibens gekennzeichnet ist.
Trotz regelmäßigem Schulbesuch und ausreichendem Beherrschen der deutschen Sprache sind die betroffenen Kinder nicht in der Lage, ausreichend Lesen und Rechtschreiben zu erlernen.
Es wird eine Lesestörung von einer Rechtschreibstörung unterschieden, da es Kinder gibt, die nur im Lesen beeinträchtigt sind und Kinder, die nur Probleme bei der Rechtschreibung aufweisen. Am häufigsten sind aber beide Bereiche, das Lesen und Rechtschreiben, betroffen. Daher wird auch überwiegend von der Lese-Rechtschreibstörung oder Legasthenie gesprochen.
Die Weltgesundsheitsorganisation (WHO) zählt die Lese-Rechtschreibstörung zu den Erkrankungen. Das Klassifikationsschema der WHO, das Internationale Klassifikationsschema psychischer Störungen (ICD-10, Dilling et al. 1991) unterscheidet zwischen einer "Lese- und Rechtschreibstörung" und einer "Isolierten Rechtschreibstörung".
Es werden sogenannte Einschlusskriterien und Ausschlusskriterien definiert. Als zentrales Einschlusskriterium wird gefordert, dass die Lese- und/oder Rechtschreibleistung unter dem Niveau liegen muss, das aufgrund des Alters, der allgemeinen Intelligenz und der Beschulung zu erwarten ist. Dies bedeutet vereinfacht, dass die Rechtschreibleistung in Beziehung zum IQ oder Alter gesetzt wird. Eine Lese- und Rechtschreibstörung liegt vor, wenn die Lese- und Rechtschreibleistung um einen bestimmten Betrag unterhalb dessen liegt, was auf Grund des IQ oder des Alters zu erwarten ist.
Anhand der Ausschlusskriterien wird eine weitere Eingrenzung des spezifischen Störungsbildes vorgenommen. Wenn beispielsweise ein Kind für längere Zeit (z. B. ein halbes Jahr) die Schule nicht besuchen kann und sich aufgrund dieser Fehlzeit seine Lese- und Rechtschreibleistung deutlich verschlechtert, so spricht man nicht von einer Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie). Wenn aufgrund erheblicher psychischer Probleme die allgemeine Lernfähigkeit beeinträchtigt ist, und dies auch zu einer deutlichen Verschlechterung der Lese- und Rechtschreibfähigkeit führt, liegt ebenfalls keine Lese-Rechtschreibstörung vor. In seltenen Fällen verliert ein Kind - z. B. aufgrund einer Verletzung des Gehirns - seine bereits erworbene Lese- und Rechtschreibfähigkeit. In diesem Fall spricht man von Alexie, wenn nur das Lesen betroffen ist.
Neben den Begriffen "Legasthenie" und "Lese-Rechtschreibstörung" werden noch eine Reihe von weiteren Begriffen, wie z. B. "Lese- und Rechtschreibschwäche" oder "besondere Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und Rechtschreibens" verwendet. Diese Begriffe sind jedoch nicht eindeutig definiert, häufig werden sie synonym für die Begriffe Legasthenie oder Lese-Rechtschreibstörung benutzt.
Es gibt sehr unterschiedliche Probleme, die auf das Vorliegen einer Legasthenie hinweisen können. Im Vordergrund stehen Probleme beim Verschriftlichen von Wörtern und Erlesen von einzelnen Buchstaben und Wörtern.
Beim Rechtschreiben in den ersten drei Schuljahren haben die Kinder große Schwierigkeiten, einzelne Buchstaben zu unterscheiden und zu schreiben. Trotz Unterstützung fällt es den Kindern besonders schwer, für das gehörte Wort die richtigen Buchstaben zu finden. Einzelne Buchstaben werden weggelassen oder auch zusätzlich eingefügt. Z. B. wird anstatt "Haus" nur "Has" geschrieben, anstatt "Sonne" nur "Sne". Zum Teil werden nur Wortruinen verschriftlicht, wie zum "lmnof" für "Blumentopf". Auch das Abschreiben aus einem Buch oder von der Tafel gelingt nicht fehlerfrei. Zusätzlich ist oft die Handschrift unleserlich.
Beim Lesen fällt es den Kindern schwer, die einzelnen Laute zu verbinden. Zum Beispiel wird beim Wort Sonne nur der Anfang "So" lautiert, das Zusammenfügen mit den nachfolgenden Lauten mißlingt jedoch. Insgesamt ist die Lesegeschwindigkeit erheblich herabgesetzt, einzelne Wörter werden mit großer Mühe nacheinander gelesen und der Sinn des Satzes wird häufig nicht verstanden.
Bei einzelnen Kindern fallen die Rechtschreibprobleme erst auf, wenn in der Schule ungeübte Diktate geschrieben werden.
In der dritten und vierten Klasse treten zusätzlich zu den Schwierigkeiten im Fach Deutsch Schwierigkeiten in anderen Fächern auf. Da für fast alle Fächer das Lesen Grundlage für den Wissenserwerb darstellt, sind legasthene Kinder in allen Schulfächern benachteiligt. Dies führt manchmal dazu, dass legasthene Kinder als dumm bezeichnet werden und das allgemeine Leistungsversagen auf mangelnde kognitive Fähigkeiten zurückgeführt wird. Dass der Hintergrund für die Schulschwierigkeiten eine Legasthenie ist, kann erst durch eine eingehende Diagnostik festgestellt werden.
Die Schwierigkeiten beim Lesen und Rechtschreiben fallen auch bei den Hausaufgaben auf. Dies führt nicht selten dazu, dass verstärkt geübt wird. Obwohl seitens des Kindes und der Eltern viel Zeit und Mühe für das Üben aufgewandt wird, macht das Kind nur geringe, teilweise auch gar keine Fortschritte. Dies führt oft zu Spannungen zwischen den Eltern und dem Kind, da auf beiden Seiten schuldhaftes Versagen vermutet wird. In Folge dieser Entwicklung entstehen psychische Probleme beim Kind in Form von Ängsten, Traurigkeit, Herumkaspern und z. T. sogar aggressivem Verhalten.
Diese emotionalen Probleme und Verhaltensschwierigkeiten sind gerade bei legasthenen Kindern der dritten und vierten Klasse häufig erst der Auslöser für eine eingehende Untersuchung.
Es gibt eine Reihe von Anzeichen, die die Aufmerksamkeit von Eltern und Erziehern bzw. Erzieherinnen auf die Schriftsprachentwicklung des Kindes lenken sollten. Es ist allerdings nicht möglich, bereits vorschulisch eine Legasthenie zu diagnostizieren oder zu behandeln.
Zu den vorschulischen Auffälligkeiten zählen insbesondere Schwierigkeiten im Bereich der Sprache wie z. B. ein verzögerter Sprechbeginn oder Schwierigkeiten beim Sprachverständnis und beim Sprechen. Diese Probleme können auf sehr unterschiedliche Ursachen zurückgeführt werden, z.B. auf Störungen der Sprachwahrnehmung oder auf chronische Mittelohrentzündungen.
Weitere Auffälligkeiten bei vier- bis sechsjähigen Vorschulkindern können z. B. Schwierigkeiten beim Erkennen von Reimen und Silben sein.
Wieder andere Faktoren sind zu unspezifisch, um als Risikofaktoren für die Entwicklung eines gestörten Schriftspracherwerbs herangezogen zu werden. Hierzu gehören z. B. eine verzögerte motorische Entwicklung oder Schwächen in der motorischen Koordination, obwohl diese zusammen mit einer Legasthenie auftreten können.
Von Jansen und Mitarbeitern (2002) wurde ein vorschulisches Screening-Programm entwickelt - das Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (BISC) - mit dem Ziel, Risikokinder bereits im Kindergarten zu identifizieren. Die ersten Ergebnisse mit diesem Testverfahren zeigen, dass damit eine recht gute Vorhersage der Lese- und Rechtschreibentwicklung in den ersten Grundschulklassen möglich ist.
Um festzustellen, ob bei einem Kind eine Legasthenie vorliegt, sollte eine eingehende Diagnostik durchgeführt werden. Hierzu gehören folgende Testverfahren:
- Ein standardisierter Rechtschreibtest
- Ein standardisierter Lesetest
- Ein standardisierter Intelligenztest
Empfohlene Lesetests: Für den gesamten Primarbereich (standardisierte Lesetests, die empfohlen werden können, sind nur für den Primarbereich vorhanden):
- Würzburger Leise Leseprobe (WLLP) von P. Küspert und W. Schneider (1998)
- Salzburger Lesetest (SLRT) von K. Landerl, H. Wimmer und E. Moser (1997)
- Knuspels Leseaufgaben von H. Marx (1998)
Empfohlene Rechtschreibtests:
- Ende 1. - Anfang 2. Klasse: Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test für 1. und 2. Klassen (WRT 1+) von P. Birkel (1995).
- Ende 2. - Mitte 3. Klasse: Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test für 2. und 3. Klassen (WRT 2+) von P. Birkel (1994) oder Diagnostischer Rechtschreibtest für 2. Klassen (DRT 2) von R. Müller, mit Neunormierung Auflage 1997.
- Ende 3. - Anfang 4. Klasse: Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test für 3. und 4. Klassen (WRT 3+) von P. Birkel (1994) oder Diagnostischer Rechtschreibtest für 3. Klassen (DRT 3) von R. Müller, mit Neunormierung Auflage 1997.
- Mitte 4. Klasse: Diagnostischer Rechtschreibtest für 4. Klassen (DRT 4) von M. Grund, G. Haug und C. L. Naumann (1994).
- Mitte 4. - Anfang 5. Klasse: Grundwortschatz Rechtschreib-Test für 4. und 5. Klassen (GRT 4+) von P. Birkel (1990).
- Mitte 5. Klasse: Diagnostischer Rechtschreibtest für 5. Klassen (DRT 5 ) von M. Grund, G. Haug und C.L. Naumann (1995).
- Ende 5. - 9. Klasse: Hamburger Schreibprobe (HSP 5-9) von P. May (6., erweiterte Auflage 2002).
- ab 15 - 32 Jahre: Rechtschreibungstests (R-T) von M. Kersting und K. Althoff (3., vollständig überarbeitete und neu normierte Auflage 2002).
Empfohlene Intelligenztests:
- Kaufman Assessment Battery for Children (K-ABC), von A. S. Kaufman & N. L. Kaufman, Deutsche Bearbeitung von P. Melchers und U. Preuß (2001).
- Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder (HAWIK-III) von U. Tewes, P. Rossmann und U. Schallberger (3. Auflage 2000).
- Grundintelligenztest Skala 2 (CFT 20) von R. H. Weiß (1998).
Zusätzlich zur Testdiagnostik wird ein ausführliches Gespräch über die Entwicklung des Kindes seit der Geburt und über die familiäre Situation durchgeführt. Anhand eines Schulberichtes werden der Leistungsstand im Lesen und Rechtschreiben sowie die Verhaltensweisen des Kindes im Unterricht beschrieben.
Die emotionale und persönliche Entwicklung des Kindes sollte im Rahmen einer psychologischen Untersuchung zusätzlich erfasst werden. Diese Untersuchungen werden insbesondere bei Kindern durchgeführt, die besonders ängstlich und traurig sind, vor Diktaten Bauchschmerzen entwickeln oder z. B. wieder einnässen. Aber auch bei sehr unruhigen, hyperaktiven Kindern ist eine umfangreichere Diagnostik zu empfehlen. Diese wird sinnvollerweise beim Arzt/Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie durchgeführt. Zu den oben bereits genannten Verfahren kommen Fragebogen und Computertests hinzu, um zu beurteilen, ob die Verhaltensauffälligkeiten so stark ausgeprägt sind, dass eine Behandlung dieser Probleme erfolgen sollte.
Bei einzelnen legasthenen Kinder besteht der Verdacht, dass zusätzlich eine Epilepsie vorliegt. Die Probleme dieser Kinder können recht unterschiedlich sein. Eventuell treten wiederholt sehr kurze Phasen von Abwesenheitszuständen auf, die bei Beobachtung des Kindes wie unaufmerksame Momente wirken. Bei Verdacht des Vorliegens einer Epilepsie sollte eine Elektroenzephalographie (EEG) durchgeführt werden. Bei Bestätigung des Verdachts ist eine ärztliche Behandlung dieser Störung notwendig.
Im Rahmen der ärztlichen Diagnostik werden auch Hör- und Sehfunktionen überprüft: Um auszuschließen, dass die Legasthenie nicht durch eine periphere Sehstörung verursacht ist, wird ein Sehtest durchgeführt. Wenn Kinder wiederholt berichten, dass ihnen beim Lesen die Buchstaben verschwimmen, dass es schwierig ist, den Satzanfang zu finden oder dass ihre Augen die Buchstaben in einer Zeile verlieren, sollte eine eingehende orthoptitische Untersuchung durchgeführt werden. Solche Untersuchungen werden allerdings nicht überall angeboten.
Eine periphere Hörstörung wird häufig mit Hilfe einer Tonschwellenaudiometrie untersucht. Bei legasthenen Kindern finden sich hier selten Auffälligkeiten. Hingegen liegen häufig Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von Einzellauten vor. Diese Schwierigkeiten sind eher auf eine zentrale Verarbeitungsstörung der auditiven Information zurückzuführen. Im Rahmen einer psychologischen Untersuchung kann die Lautunterscheidungsfähigkeit erfasst werden.
Zusätzlich sollte die Sprechentwicklung beurteilt werden. Hierzu gehört die Beurteilung der Artikulationsfähigkeit von Einzellauten und komplexen Lauten. Bei manchen Kindern liegt zusätzlich eine Stottersymptomatik vor.
Anhand dieser gesamten vorliegenden Untersuchungsergebnisse wird dann entschieden, ob bei einem Kind eine Legasthenie vorliegt. Das Vorgehen hierbei ist aber nicht einheitlich.
Die Untersuchungsergebnisse sollten klar herausstellen, dass eine umschriebene Störung im Lesen und/oder Rechtschreiben vorliegt. Hiervon abzugrenzen ist eine Lernbehinderung. Von einer Lernbehinderung spricht man, wenn die kognitiven Fähigkeiten, gemessen anhand eines Intelligenztests, unterdurchschnittlich sind. Diese Abgrenzung ist unter mehreren Gesichtspunkten sinnvoll: Kinder mit einer Lernbehinderung benötigen andere Hilfestellungen und Förderkonzepte als legasthene Kinder. Die Entwicklung beider Störungen verläuft unterschiedlich. So können legasthene Kinder durchaus einen gymnasialen Abschluß erreichen, wohingegen lernbehinderte Kinder häufig nur einen Hauptschulabschluß erreichen oder die Schule für Lernhilfe ohne Abschluß beenden.
Neben der ärztlichen und psychologischen Diagnostik erfolgt die Beurteilung der Lese- und Rechtschreibfähigkeit durch die Schule. Im Vordergrund steht hier die qualititive Beurteilung des individuellen Entwicklungsstandes des Kindes im Lesen und Rechtschreiben. Zusätzlich fließt die Beurteilung des allgemeinen Lern- und Sozialverhaltens mit in die Beurteilung ein. Standardisierte Lese- und Rechtschreibtests werden hier selten eingesetzt. Auch jahrgangsweise Überprüfungen der Lese- und Rechtschreibfähigkeit werden bisher in den Schulen kaum durchgeführt. In einem Modellprojekt zur schulischen Förderung in Fördergruppen bei LRS, durchgeführt im Odenwald/Hessen (Modellprojekt MONA, Schulte-Körne et al. 2003), wurden über mehrere Jahre hindurch jahrgangsweise standardisierte Lese- und Rechtschreibtests durchgeführt. Zunächst war die Akzeptanz von klassenübergreifenden Tests im Lehrerkollegium gering. Nachdem aber der mögliche Nutzen für jeden Lehrer deutlich wurde, da er eine individuelle Rückmeldung über die Lese- und Rechtschreibentwicklung seiner Schüler bekam, erhöhte sich die Akzeptanz sehr. Es zeigte sich, dass die jahrgangsweise Durchführung der Rechtschreibtests zur Verbesserung des gesamten Niveau der Lese- und Rechtschreibleistung beitrug. Anhand dieses empirischen Ergebnisses lässt sich der Nutzen von jahrgangsweisen Tests anschaulich aufzeigen.
Ein weiterer Nutzen ist, dass durch solche diagnostischen Verfahren Risikokinder in den ersten Klassen schon frühzeitig erkannt werden können. Unterstützen die Ergebnisse des Screenings den Verdacht eines Risikos für eine Lese-Rechtschreibstörung, so wird dieses Kind anschließend ausführlicher untersucht. Anhand der dann vorliegenden Ergebnisse kann über die für dieses Kind adäquaten Fördermaßnahmen entschieden werden. Im Vergleich zu dem Vorgehen, das Kind erst dann zu untersuchen, wenn sich die Störung schon soweit ausgebildet hat, dass die Symptomatik sehr ausgeprägt ist und sekundär bereits psychische Probleme entstanden sind, ist in jedem Fall das Vorgehen anhand von Screenings zu bevorzugen.
Die Diagnose einer Lese-Rechtschreibstörung wird durch Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie gestellt. Aufgrund der verschiedenen Untersuchungsebenen kann die Diagnostik der Legasthenie nur interdisziplinär erfolgen. Die Kooperation aller Beteiligten ist unbedingt zu empfehlen. Eine wesentliche Bedeutung kommt hierbei der Schule zu. Allerdings kann in der Schule nur ein Teil der Diagnostik durchgeführt werden. Dieser Teil der Diagnostik umfasst die genaue Beobachtung und Beschreibung des Lernstandes im Lesen und Rechtschreiben. Zusätzlich sollten unbedingt die oben genannten standardisierten Lese- und Rechtschreibtests durchgeführt werden. Anhand dieser Testverfahren ist die Einordnung des Leistungsstandes eines einzelnen Kindes im Vergleich zu der Leistung der entsprechenden Klassenstufe möglich.
Die Lese- und Rechtschreibtests werden teilweise in der Schule durchgeführt, größtenteils aber in speziellen Beratungsstellen, bei schulpsychologischen Diensten oder Ärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie.
Die Legasthenie ist eine sehr häufige Störung. Die Häufigkeitszahlen liegen zwischen 3% und 5% der Kinder und Jugendlichen. Für das Grundschulalter bedeutet dies, dass in Deutschland annähernd 200000 Grundschulkinder nicht ausreichend Lesen und/oder Rechtschreiben können. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass ca. 3 Millionen Deutsche von einer Legasthenie betroffen sind.
Jungen sind tendenziell häufiger als Mädchen Legastheniker, in der Vergangenheit wurde sogar gefunden, dass Jungen drei- bis viermal häufiger als Mädchen betroffen sind. Diese Ergebnisse konnten allerdings in neueren Untersuchungen so nicht bestätigt werden, auch wenn eine gewisse Überlegenheit der Mädchen im Schriftspracherwerb vorliegt.
Nach Haffner et al. (1998) haben ungefähr 5% der deutschen Erwachsenen nur ein Rechtschreibniveau von Viertklässlern. Die Ergebnisse internationaler Studien zur Evaluation der schulischen Entwicklung (IEA, International Association for the Evaluation of Educational Achievement) ergaben, dass 1,4% der Achtklässler als funktionale Analphabeten einzuschätzen sind. Umfragen des deutschen Studentenwerks ergaben kürzlich, dass 1% der deutschen Studenten sich als lese- und/oder rechtschreibschwach bezeichnen (www.studentenwerke.de).
Legasthenie - Ursachen
Was sind die Ursachen der Legasthenie?
Es werden sehr verschiedene Ursachen der Legasthenie angenommen. Die neurobiologisch orientierte Forschung der letzten Jahre hat zu einem deutlichen Erkenntnisgewinn in Bezug auf die zentralnervöse Verarbeitung von auditiver und visueller Information bei der Lese-Rechtschreibstörung geführt. Durch die neuen Methoden der genetischen Forschung sind mögliche Genorte, die wahrscheinlich für die Entstehung der LRS relevant sind, gefunden worden. Das Zusammenwirken verschiedener Faktoren erscheint zur Zeit ein plausibles Erklärungsmodell für die LRS zu sein.
Familienuntersuchungen in den USA, England und der BRD haben gezeigt, dass die Lese- und Rechtschreibstörung familiär gehäuft auftritt (Schulte-Körne 2001a). Die Rate der betroffenen Geschwister und betroffenen Eltern liegt zwischen 40 und 50%. Dies allein würde allerdings nicht ausreichen, um von einer genetischen Disposition zu sprechen. Erst der Vergleich von eineiigen mit zweieiigen Zwillingen ermöglicht die Abschätzung des genetischen Einflusses. Dieser liegt für die Rechtschreibstörung bei 60%, für die Lesestörung um 50%. Die Suche nach relevanten Genen hat zu verschiedenen sogenannten "Kandidaten-Gen-Regionen" geführt. Diese finden sich auf den Chromosomen 1, 2, 6, 15 und 18. In diesen Regionen vermutet man Gene, die eine wichtige Funktion bei der Regulation von zentralnervösen Prozessen spielen. Die aktuelle Forschung in der BRD zu den neurobiologischen und genetischen Grundlagen der Lese-Rechtschreibstörung (unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft) wird dazu beitragen, eine besseres Ursachenverständnis der Lese-Rechtschreibstörung zu erlangen. Die damit verbundene Hoffnung ist, aufgrund eines spezifischeren Ursachenverständnisses spezifischere Behandlungsformen zu entwickeln.
Zu den Störungen der zentralen auditiven Wahrnehmung gehören die Wahrnehmung von nichtsprachlichen und die Wahrnehmung von sprachlichen Reizen. Im Vordergrund der Forschung der letzten Jahre stand die sogenannte "Phonologie-Defizit-Hypothese". Diese besagt, dass bei der Lese-Rechtschreibstörung die Fähigkeit, lautliche Segmente der Sprache zu unterscheiden und im Gedächtnis zu speichern, gestört ist (Schulte-Körne 2001b). Daher haben die Betroffenen auch große Probleme, den einzelnen Buchstaben die entsprechenden Laute und umgekehrt den Lauten die Buchstaben zuzuordnen. Neurobiologische Untersuchungen konnten zeigen, dass Regionen des Großhirns (linker temporo-parietaler Bereich), die im Wesentlichen bei der Wahrnehmung und Unterscheidung von Sprachreizen und Lauten aktiviert werden, bei Lese- und Rechtschreibgestörten signifikant geringer aktiviert werden (Paulesu et al. 2001, Rumsey et al. 1997, Georgiewa et al. 2002). Dies bedeutet, dass hirnorganische Korrelate für die gestörte Sprachwahrnehmung vorliegen.
Die Bedeutung der gestörten Sprachwahrnehmung und der phonologischen Verarbeitung liegen in folgenden Überlegungen: Das Sprachwahrnehmungsdefizit ist bereits in den ersten Lebensjahren vorhanden und könnte einen wesentlichen Prädiktor für den gestörten Schriftspracherwerb darstellen. Möglicherweise stellen diese Befunde eine Grundlage für eine Frühdiagnostik und Frühförderung dar.
Das phonologische Verarbeitungsdefizit, gemessen zum Ende der Kindergartenzeit, lässt eine rechte gute Vorhersage des Erfolgs im Schriftspracherwerb zu (Jansen et al. 2002). Vorschulische Förderung von phonologischen Fähigkeiten wirkt sich positiv auf den Schriftspracherwerb der ersten drei Grundschuljahre aus (Schneider et al. 1998). Inwieweit die Förderung von phonologischen Fertigkeiten über die Kindergartenzeit hinaus zu einer Verbesserung der Lese- und Rechtschreibleistung führt, ist für die deutsche Schriftsprache noch zu zeigen. Die Befunde hierzu sind widersprüchlich.
Die Bedeutung der zentralen visuellen Wahrnehmung ist im Vergleich zur auditiven Wahrnehmung als Ursache der Lese-Rechtschreibstörung geringer einzuschätzen. Neurobiologische Untersuchungen zeigten, dass der occipitale und temporale Cortex bei Lese-Rechtschreibgestörten im Vergleich zu Kontrollpersonen verzögert und geringer aktiviert wird, wenn Wörter und Pseudowörter gelesen wurden (Salmelin et al. 1996). Diese Befunde zeigen, dass Wort- bzw. Buchstabeninformationen in spezifischen Hirnarealen bei den Lese- Rechtschreibgestörten deutlich verzögert und ineffektiver wahrgenommen werden. Ferner finden sich wiederholt Hinweise, dass spezifische Funktionen von Neuronen des sogenannten großzelligen Systems, das durch sich bewegende Reize aktiviert wird, bei der LRS gestört sind (Cornelissen et al. 1998, Schulte-Körne et al. 2003a). Die Bedeutung solcher basaler visueller Wahrnehmungsdefizite für die LRS ist zur Zeit noch nicht vollständig aufgeklärt.
Die Lese-Rechtschreibstörung ist eine Lernstörung, die auf neurobiologische Funktionsstörungen zurückgeführt werden kann. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass bereits die neurobiologischen Korrelate des Lernens, wie die Speicherung von Wörtern, bei der LRS verändert sind (Schulte-Körne et al. 2003b).
Auch bei Aufgaben, die eine aktive Speicherung von Lauten erfordern, zeigt sich eine deutliche Minderleistung bei der LRS. Diese Speicherschwäche tritt selektiv nur bei Lauten und Buchstaben auf, nicht bei nichtsprachlichem Material (wie z. B. graphischen Mustern). Das bedeutet, dass bei der LRS eine spezifische Gedächtnisschwäche für schriftsprachliches Material vorliegt.
In der älteren Forschungsliteratur finden sich eine Vielzahl von weiteren Faktoren, die in einen ursächlichen Zusammenhang mit der Lese-Rechtschreibstörung gebracht wurden: Linkshändigkeit, frühkindliche Hirnschädigung, motorische Entwicklungsverzögerung, unzureichende elterliche Förderung, Familiengröße, Geburtsgewicht, Erziehungsschwierigkeiten, neurotische Störungen bei den Eltern, Trennung oder Scheidung der Eltern, ungelöste Konflikte beim betroffenen Kind sowie niedriger sozioökonomischer Status.
Heute nimmt man an, dass alle diese Faktoren keine Ursachen der Lese-Rechtschreibstörung darstellen. Einzelne dieser Faktoren können jedoch den Verlauf der Störung beeinflussen. Umgebungsfaktoren mit entscheidendem Einfluss auf die Lese- und Rechtschreib-Entwicklung des Kindes sind das Vorhandensein von Lese- und/oder Rechtschreibproblemen bei den Eltern selbst, das Ausbildungsniveau der Eltern, die Unterstützung durch die Eltern bei den Hausaufgaben und die emotionale Unterstützung in Schule und Familie.
Legasthenie - Verlauf und Fremdsprachen
Diese Frage lässt sich nur allgemein beantworten, da die individuelle Entwicklung der einzelnen legasthenen Kinder sehr unterschiedlich ist. Die Lese-Rechtschreibstörung bleibt überwiegend bis ins Erwachsenenalter bestehen. Kaum ein Schüler, der zu Beginn der zweiten Klasse Leseschwierigkeiten aufwies, erzielte in der 8. Klasse durchschnittliche Leistungen (Wiener Längsschnittstudie, Klicpera et al. 1993). Leseschwache Kinder bleiben bis zur 12. Klasse leseschwach (Connecticut Längsschnittstudie, Shaywitz et al. 1999). Jugendliche mit einer LRS erreichen ein im Verhältnis zu ihren kognitiven Möglichkeiten zu geringeres Schulabschlussniveau: Legasthene Jugendliche besuchen häufig die Hauptschule und Realschule, z. T. aufgrund ihrer Störung auch die Sonderschule. Ein gymnasialer Abschluss wird vergleichsweise selten erreicht.
Im Vergleich zu ihren kognitiven Fähigkeiten erreichen Rechtschreibgestörte ein deutlich geringeres Berufsausbildungsniveau (Strehlow et al. 1992). Es werden weniger akademische Berufe gewählt, obwohl die Betroffenen aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten sehr gut in der Lage wären, solche Berufe auszuüben. Insgesamt ist die Rate der Arbeitslosigkeit unter den Lese-Rechtschreibgestörten deutlich erhöht (Esser et al. 2002). Diese Ergebnisse belegen eindrucksvoll, dass die LRS kein vorübergehendes Entwicklungsphänomen ist, sondern eine Störung darstellt, die ein Handicap für das gesamte Leben ist.
Im Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1978 wird davon ausgegangen, dass durch die Förderung in den Jahrgangsstufen 1 bis 6 Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben im Wesentlichen behoben sind. Diese Erwartung ist bisher nicht durch empirische Befunde bestätigt. Trotz optimaler Förderung verbessern sich rechtschreibschwache Fünftklässler bis ins Erwachsenenalter nur unwesentlich (Jungermann 2002). Mit Ausnahme des Bundeslandes Bayern wird kein Schutz der legasthenen Schüler bis zum Abitur garantiert. Häufig entsteht sogar ein Leistungseinbruch beim Übergang von Klasse 9./10 in Klasse 11, da ab diesem Zeitpunkt die schriftlichen Leistungen der diagnostizierten Legastheniker ohne erkennbaren Grund wieder bewertet werden. Dieses Vorgehen führt nicht selten dazu, dass Legastheniker, die ihre Störung bisher zufriedenstellend kompensieren konnten, plötzlich in der Schule versagen und eine Reihe von zusätzlichen emotionalen Problemen entwickeln.
Die Entwicklung der LRS wird durch verschiedene Faktoren mitbestimmt, die sich wiederum gegenseitig untereinander beeinflussen können. Legasthene Kinder mit recht hohen kognitiven Fähigkeiten durchlaufen insgesamt eine bessere Entwicklung. Ferner zählt ein unterstützendes Elternhaus zu den schützenden Faktoren.
Die Entwicklung von legasthenen Kindern, die zusätzliche Störungen (wie zum Beispiel eine Hyperkinetische Störung) haben, ist vergleichsweise schlechter.
Dementsprechend ist auch das Berufsausbildungsniveau der Legastheniker herabgesetzt.
Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die psychische Entwicklung der Betroffenen. Häufig finden sich ein geringes Selbstwertgefühl, eine geringe Frustationstoleranz und z. T. ein negatives Selbstbild mit einer pessimistischen Zukunftserwartung.
Auch Verhaltensstörungen in Form von impulsivem und aggressivem Verhalten treten in der Entwicklung auf. Insbesondere bei legasthenen Kindern mit einer bereits vorschulisch diagnostizierten hyperkinetischen Störung besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Störung des Verhaltens.
Einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung sollte der Faktor Förderung und Therapie haben. Allerdings sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen hierzu widersprüchlich. Trotz Förderung ist die Entwicklung im Lesen und Rechtschreiben insgesamt nicht sehr gut. Diese Aussage wird natürlich durch die Auswahl des Verfahrens zur Förderung beeinflusst. Bei nicht effektiven Methoden ist der Verlauf der Legasthenie sehr schlecht, da sich die Betroffenen im Verhältnis zum Klassendurchschnitt weiter verschlechtern.
Kinder mit erheblichen Problemen mit dem Lesen und Rechtschreiben einer Fremdsprache haben auch häufig Probleme damit in der Muttersprache. Angaben zur Häufigkeit von Problemen beim Lesen und Rechtschreiben in einer Fremdsprache bei legasthenen Kindern fehlen.
Für die Auswahl der Schule ist das mögliche Auftreten einer Lese- und Rechtschreibstörung in Fremdsprachen eine wichtige Entscheidungsgrundlage. Die verschiedenen Fremdsprachen stellen aufgrund ihrer Spracheigenschaften unterschiedliche Anforderungen an legasthene Kinder. Die sehr unregelmäßige Zuordnung von Laut zu Buchstaben stellt eine besondere Schwierigkeit im Englischen und Französischen dar. Im Französischen ist bedingt durch die Häufigkeit ähnlichklingender Laute eine Differenzierung für Legastheniker sehr schwer. Die Annahme, dass Latein aufgrund seiner hohen Übereinstimmung von Laut zu Buchstaben keine Probleme für legasthene Kinder darstellt, ist fraglich. Im Lateinischen besteht die Schwierigkeit darin, dass eine Buchstabenfolge exakt gelesen und gespeichert werden muss, um den Inhalt des Gelesenen zu verstehen. Da die Bedeutung einer Textpassage nicht selten durch wenige Buchstaben entscheidend verändert werden kann, ist ein sehr genaues Lesen notwendig. Der Rückgriff auf Kontextinformationen, der zum Textverständnis im Deutschen oder Englischen möglich ist, ist dagegen im Lateinischen weniger hilfreich.
Der Fremdsprachenerwerb stellt in der Regel für legasthene Kinder eine große Herausforderung da. Es ist deshalb wichtig, dass Eltern sich vorab in der weiterführenden Schule erkundigen, wie dort mit dem Problem Legasthenie und Fremdsprachen umgegangen wird. Kinder mit einer Legasthenie benötigen auch im Fremdsprachenunterricht intensive Unterstützung, didaktische Prinzipien, die das Vorhandensein einer Legasthenie berücksichtigen und gegebenenfalls eine spezifische Förderung.
Im rechtlichen Rahmen, festgelegt durch die Erlasse und Verwaltungsvorschriften (s.o.), wird die Legasthenie im Fremdsprachenerwerb in nur wenigen Bundesländern berücksichtigt. Insbesondere unterrichtsdidaktische Empfehlungen fehlen.
Legasthenie - Förderung
Möglichkeiten der Unterstützung im Elternhaus
Zentral in der Unterstützung für ein legasthenes Kind ist der Rückhalt in der Familie. Die Anerkennung durch die Eltern trotz schlechter Leistungen im Fach Deutsch stellt die Basis für eine positive Entwicklung des legasthenen Kindes dar. Dadurch, dass nicht selten die Diagnose Legasthenie recht spät gestellt wird und zuvor durch quälendes Üben zuhause und ausgedehnte Sitzungen zum Erledigen der Hausaufgaben das Verhältnis zwischen legasthenem Kind und Eltern extrem angespannt ist, ist vorrangig die Entlastung des Kindes und der Eltern wichtig (Warnke et al. 1989).
Die Entlastung erfolgt oft erst mit der Stellung der Diagnose und der Aufklärung über die Störung. Denn zuvor wurde innerhalb der Familie nach Erklärungen für das Scheitern des Kindes gesucht. Nicht selten sieht die Schule, das soziale Umfeld und sogar die Familie selbst die mangelnde Erziehungskompetenz eines Elternteils als Auslöser für die Legasthenie an.
Eltern suchen oft nach Möglichkeiten für Hilfen beim Lesen und Rechtschreiben ihres Kindes. Wenn eine Legasthenie vorliegt, sollte auch eine spezifische Legasthenie-Förderung durchgeführt werden. Dieses Vorgehen schließt nicht aus, dass Eltern den Schriftspracherwerb ihres Kindes zusätzlich unterstützen. Jedoch sollten die Hilfen für das Kind mit den Lehrern bzw. Therapeuten abgestimmt werden, da es nicht hilfreich ist, verschiedene Lernmethoden, die möglicherweise sich widersprechende Instruktionen beinhalten, gleichzeitig anzuwenden.
Mit Unterstützung von Fachleuten können Eltern auch spezifische Förderprogramme mit ihrem Kind durchführen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen zählen, dass die Eltern ausreichend Zeit haben, konsequent über einen längeren Zeitraum mit ihrem Kind zu üben. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kind darf nicht durch negative Lernerfahrungen so belastet sein, dass ein gemeinsames Üben zu ausgeprägten Auseinandersetzungen führt. Außerdem sollte die Möglichkeit bestehen, sich bei der Durchführung eines Förderprogrammes beraten zu lassen. Ein Beispiel für ein Programm, das hinsichtlich seiner Wirksamkeit als Elterntraining überprüft ist, ist das Marburger Rechtschreibtraining (Schulte-Körne & Mathwig 2001).
Möglichkeiten der Unterstützung durch die Schule
Der Schule kommen zentrale Aufgaben bei der Diagnostik, Förderung und Beratung zu. Auch wenn die Erfahrungen von Eltern in der Kooperation mit Schule recht unterschiedlich sind, liegt die Aufgabe der Vermittlung des Schriftspracherwerbs bei der Schule. Dies bedeutet, dass beim Auftreten von Schwierigkeiten im Lesen und/oder Rechtschreiben dies von den Lehrern bemerkt und beschrieben werden sollte. Im Gespräch mit den Eltern sollten diese Beobachtungen mitgeteilt und gemeinsam überlegt werden, welche Hilfen dem legasthenen Kind angeboten werden können und wie diese umgesetzt werden.
Die Kultusministerkonferenz hat 1978 einen Beschluss zu den "Grundsätzen zur Förderung von Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und Rechtschreibens" gefasst. Dieser Beschluß ist Grundlage für die in den einzelnen Bundesländern geltenden eigenständigen Regelungen in Form von Erlassen und Verwaltungsvorschriften. Die zur Zeit gültigen Regelungen der einzelnen Bundesländer sind auf auf der Internetseite des BVL unter www.legasthenie.net zsammengefasst.
Ziel dieser Regelungen ist es, für die einzelnen Bundesländer Standards im Umgang mit Kindern mit Schwierigkeiten beim Lesen und Rechtschreiben zu schaffen. Die einzelnen Regelungen weichen jedoch erheblich voneinander ab. Die Folge ist, dass ein Kind mit Legasthenie recht unterschiedliche Ansprüche hinsichtlich der Diagnostik und Förderung hat, abhängig davon, in welchem Bundesland es wohnt. Eltern sollten sich in jedem Fall über die gesetzlichen Grundlagen informieren und auch die Umsetzung ihres Anspruchs einfordern.
Die Förderung des legasthenen Kindes ist eine zentrale Aufgabe der Schule, die jedoch recht unterschiedlich wahrgenommen wird. Die Unterschiede bestehen sowohl in der Quantität als auch in der Qualität der Angebote. Es wird zwischen zwei verschiedenen, übergeordneten Methoden der schulischen Förderung unterschieden. Die sogenannte Binnendifferenzierung setzt auf die Förderung im Klassenverband. Durch die Bildung von Leistungsgruppen im Klassenverband wird versucht, entsprechend dem Leistungsstand des Kindes individuelle Lernangebote zu schaffen. Die Wirksamkeit dieser Fördermethode bei Kindern mit Legasthenie ist bisher kaum untersucht, die vorliegenden Befunde zeigen im Wesentlichen aber Nachteile dieser Methode auf.
Die Einrichtung von Fördergruppen zusätzlich zum Unterricht wird nur vereinzelt in Schulen angeboten. Durch die Bildung von Gruppen aus Kindern mit Schwierigkeiten beim Lesen und Rechtschreiben wird versucht, eine emotional entlastende Lernsituation zu schaffen. Durch eine Gruppenbegrenzung auf maximal 5 bis 6 Kinder ist es möglich, sich individuell dem einzelnen Kind zuzuwenden. Die Einrichtung von Fördergruppen kann eine wirksame Fördermethode sein, wenn prinzipielle Regelungen eingehalten werden. Hierzu gehört, dass der Förderunterricht zweimal wöchentlich in Kleingruppen erteilt wird. Die Gruppenzusammensetzung sollte möglichst leistungshomogen und störungsspezifisch sein. Das bedeutet beispielsweise, dass Kinder mit einer Rechenschwäche separat von Kindern mit einer Legasthenie gefördert werden sollten.
Entscheidend für den Erfolg von Fördergruppen ist das zugrundeliegende Konzept. Obwohl zur Zeit erst wenige evaluierte und wirksamkeitsgeprüfte Förderkonzepte vorliegen, sollte die Förderung nur auf solche aufgebaut werden.
Eine weitere Form von schulischen Hilfen ist der Notenschutz. Der Notenschutz ist bei Vorliegen einer Lese-Rechtschreibstörung unbedingt zu gewähren, da er zu einer deutlichen psychischen Entlastung des betroffenen Kindes führen kann. Bei bis zu 50% der Kinder und Jugendlichen mit einer Lese-Rechtschreibstörung treten psychische Auffälligkeiten auf. Diese werden überwiegend als Folge der ausgeprägten emotionalen Belastung der Schüler verstanden. Ein wesentlicher Grund für die emotionale Belastung sind die Schulnoten. Besonders hervorzuheben ist die Bedeutung der Schulnoten im Fach Deutsch für die Versetzung und insbesondere für die Schulempfehlung von Klassenstufe 4 zu 5.
Die Bewertung der schriftlichen Leistungen eines Schülers mit einer Lese-Rechtschreibstörung, die als eine Form einer Behinderung angesehen werden kann, bedeutet eine erhebliche Benachteiligung. Bei einer Körperhinderung, die mit einer erheblichen Einschränkung der Motorik aufgrund einer Halbseitenlähmung verbunden ist, wird bei einem betroffenen Schüler die Leistung im Fach Sport auch nur unter Berücksichtigung der Behinderung bewertet.
Aufgrund der Bedeutung des Notenschutzes im Sinne der persönlichen und emotionalen Entwicklung sollte dieser bis zum Ende der Schulzeit gewährt werden. Dies trifft insbesondere auch für die Oberstufe im Gymnasium zu, da die Lese-Rechtschreibgestörten ansonsten im Vergleich zu den Nicht-Betroffenen in den Möglichkeiten des Zugangs zum Hochschulstudium entscheidend benachteiligt werden.
Weitere Formen schulischer Hilfen können im Rahmen des Nachteilsausgleichs gewährt werden:
- Einsatz von Computern mit Fehlerkorrekturprogramm.
- Individuelle Bemessung der Zeitangaben bei der Leistungsüberprüfung im Lesen und Rechtschreiben.
- Möglichkeit bei schriftlichen Arbeiten, diese zunächst mündlich anzufertigen und sie mit ausreichend Zeit später zu verschriftlichen.
- Ausnutzung verschiedener Formen der Vermittlung von Rechtschreibfähigkeit bei ausgeprägter Lese- und Rechtschreibstörung (z. B. Handzeichen).
Die Formen des Nachteilsausgleichs sollten in allen Schulfächern, die schriftliche Anforderungen beinhalten, ermöglicht werden und bis zum Schulabschluss gelten.
Die überwiegende Anzahl der Lehrer ist trotz der Empfehlung der Kultusministerkonferenz von 1978 in den Fragen zur Diagnostik und Förderung bei "normalem und gestörtem Schriftspracherwerb" nicht ausgebildet. Weder im Studium noch in der Lehrerfortbildung ist eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik für Grundschullehrer zwingend vorgesehen. Dies trifft ebenfalls für den Sekundarbereich zu. Hier besteht dringender Handlungsbedarf in der Verbesserung der Aus- und Weiterbildung von Lehrern.
Aufgrund der Komplexität des Störungsbildes ist für die Behandlung der Legasthenie ein multimodaler Ansatz sinnvoll. Dieser Ansatz orientiert sich an den folgenden Aspekten:
- Form der Störung (Lese- und Rechtschreibstörung oder isolierte Lese- bzw. Rechtschreibstörung)
- Schweregrad der Störung
- Entwicklungsstand in der Schriftsprachentwicklung
- Vorliegen von komorbiden Störungen (z. B. Hyperkinetische Störung)
- Alter des Kindes (z. B. Unterscheidung zwischen vorschulischer und schulischer Förderung)
- Soziales Umfeld (z. B. häusliche Unterstützung und Förderung beim Schriftspracherwerb)
- Schulisches Umfeld (z. B. Angebot von Förderunterricht)
Zur Versorgung eines Kindes mit einer Legasthenie ist das Zusammenarbeiten verschiedener Institutionen zu empfehlen. Dieses Netzwerk (siehe Abbildung 1) versucht, die unterschiedlichen Sichtweisen und Herangehensweisen zur Hilfe für das betroffene Kind zu integrieren. Insbesondere die Kooperation der Eltern mit der Schule ist häufig erschwert und bedarf nicht selten der Vermittlung durch einen unbeteiligten Dritten, z. B. den Kinder- und Jugendpsychiater.
Die Formen der Förderung können nach verschiedenen Gesichtspunkten differenziert werden. Ausgehend von der Annahme, dass der Legasthenie spezifische Defizite in der Wahrnehmung von auditiver und visueller Information zugrunde liegen, wird versucht, diese Schwächen zu behandeln, um dadurch die Voraussetzungen für das Erlernen der Schriftsprache zu verbessern. Diese Form wird nachfolgend als das Training von basalen Wahrnehmungsfunktionen bezeichnet. Hierzu gehören Verfahren, die die sogenannte Ordnungsschwelle, d. h. das Intervall zwischen 2 Reizen, das zur Getrenntwahrnehmung dieser Reize notwendig ist, trainieren. Ebenfalls in diese Sparte gehören Verfahren, die zur Verbesserung der Steuerung der Blickbewegung eingesetzt werden. Diese Verfahren sind dadurch charakterisiert, dass sie auf einer sehr schriftsprachfernen Ebene ansetzen und zur Anwendung recht kostspielige Geräte angeschafft werden müssen.
Dem gegenüber stehen die symptomspezifischen Förderprogramme, die schriftsprachnah sind und in der Regel Teilprozesse des Lesens und Rechtschreibens fördern. Zu dieser Form der Förderung gehören z. B. Programme zur Verbesserung der Lautbewusstheit oder Rechtschreibregeltrainings.
Die symptomspezifischen Trainings lassen sich sinnvoll nach dem Modell des Schriftspracherwerbs von Frith (1985) verschiedenen Entwicklungsstufen zuordnen (Abbildung 2). Das Modell von Frith (1985), das durch eine Reihe von empirischen Studien in seinen grundlegenden Annahmen bestätigt werden konnte, geht zunächst von einer sogenannten logographischen Entwicklungsstufe aus. Diese vorschulische Entwicklungsstufe der Verschriftlichung ist dadurch gekennzeichnet, dass die Kinder bereits eine Vorstellung davon haben, dass Laute bzw. Wörter in Zeichen ausgedrückt werden können, jedoch noch kein Wissen über die Buchstaben-Laut-Beziehung haben. Daher verschriftlichen sie ein Logogramm als Zeichen für ein Wort. Das Lesen auf dieser Entwicklungsstufe ist durch das Erkennen von besonderen Merkmalen einzelner Wörter gekennzeichnet. Einzelne Wörter werden aufgrund ihres Symbol- oder Zeichencharakters wiedererkannt, ohne dass ein Verständnis über die Buchstaben-Laut-Beziehung vorliegt (z. B. Wiedererkennen des eignen Namens an einzelnen Buchstaben).
Die darauffolgende alphabetische (phonologische) Entwicklungsstufe beginnt mit der schulischen Unterrichtung. Durch die Vermittlung der Buchstaben-Laut-Zuordnung wird das Prinzip der Schriftsprache eingeführt. Die Verschriftlichung ist im wesentlichen lautgetreu, das Lesen ist durch das Erlesen von einzelnen Buchstaben und das Verbinden der einzelnen Laute gekennzeichnet. Diese Stufe kennzeichnet überwiegend den Entwicklungsfortschritt in den ersten beiden Grundschulklassen.
Die orthographische Entwicklungsstufe kennzeichnet den Erwerb von Wissen über Regelmäßigkeiten von Buchstabenfolgen, Morphemen und überorgeordneten grammatikalischen und semantischen Strukturen der Schriftsprache. Auf dieser Entwicklungsstufe sind die Kinder in der Lage, einzelne Wörter als Ganzes zu lesen.
Die genaue Analyse des individuellen Entwicklungsniveaus eines lese- und rechtschreibgestörten Kindes ermöglicht die Zuordnung zu einer der genannten Entwicklungsstufen. Darauf aufbauend wird über den passenden Förderansatz entschieden (z.B. Förderung von Lautbewusstheit oder von orthographischem Wissen).
Förderung auf der alphabetischen Entwicklungsstufe
Der Ansatz, phonologische Bewusstheit zu fördern, geht auf die zahlreichen empirischen Befunde zurück, die eindrucksvoll belegen, dass phonologische Bewusstheit einen zentralen Fakor für den Schriftspracherwerb darstellt (Übersicht in Schulte-Körne 2001b). Mittlerweile liegen eine Vielzahl (im Wesentlichen englischsprachige) Therapiestudien vor, die die Wirksamkeit dieses Ansatzes belegen. Im Vordergrund dieses Förderansatzes stehen folgende Aspekte:
- Analyse (Zerlegen von Wörtern in Laute)
- Synthese (Zusammenfügen von Lauten zu Wörtern)
- Silbengliederung
- Lautgedächtnis
Neben der Förderung von phonologischer Bewusstheit gehört hierzu auch die Förderung folgender Bereiche, die bei der Legasthenie als schwächer ausgebildet gefunden wurden:
- Buchstaben-Laut-Zuordnung
- Förderung der Wortlesefähigkeit
Förderung auf der orthographischen Entwicklungsstufe
Im Vordergrund der Förderung auf der orthographischen Entwicklungsstufe stehen regelgeleitete Rechtschreibförderprogramme. Der Einsatz eines Regeltrainings ist unter dem Gesichtspunkt sinnvoll, dass Regelfehler einen großen Anteil an den Rechtschreibfehlern von Grundschulkindern haben. Bei Kindern der zweiten Klasse sind 66% der Rechtschreibfehler Regelfehler. Ferner haben legasthene Drittklässler häufig keinerlei Regelwissen bzw. können bei ausreichender Regelkenntnis die Regeln oft nicht anwenden. Rechtschreiboperationen, die in Einzelprozessen richtig durchgeführt werden (z.B. Mitlautverdopplung nach kurzem Selbstlaut) können nicht auf den gesamten Schriftsprachprozess übertragen werden (z. B. wenn zusätzlich die Entscheidung über Groß- und Kleinschreibung getroffen werden muss. Das Ziel eines Rechtschreibtrainings ist daher über die reine Vermittlung von Regelwissen auch die Vermittlung von Lösungsstrategien.
Ein weiterer positiver Aspekt von Regeltrainings ist, dass sie sich gut in den Schulalltag integrieren lassen. Die Abgrenzung vom normalen Förderunterricht besteht zum einen darin, dass der Bereich Rechtschreibregeln, der im normalen Unterricht nur einen verschwindend geringen Raum in Anspruch nimmt (weniger als 1%, Gasteiger-Klicpera & Klicpera 1988), in den Vordergrund rückt. Zum anderen werden im Regeltraining auch gezielt Lösungsstrategien vermittelt (z. B. Schulte-Körne und Mathwig 2001). Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass rechtschreibschwache Kinder nicht nur einfach quantitativ intensiveren, sondern qualitativ anderen Förderunterricht benötigen.
Im Gegensatz zu der hohen Anzahl betroffener Kinder (im Grundschulbereich ca. 200000) und dem Bedarf an qualifizierter Förderung liegen insgesamt nur wenige Studien vor, die die Effektivität einer Intervention überprüft haben (Übersicht bei Mannhaupt 1994, 2002, Tacke 1999). Im Vordergrund der Interventionsstudien stehen Ansätze auf der alphabetischen und orthographischen Entwicklungsstufe. Obwohl Kinder mit einer LRS häufig psychische Auffälligkeiten zeigen, wurde dieser Aspekt in der Interventionsforschung bisher kaum beachtet.
Im Gegensatz zur Popularität der Programme zum Training basaler Wahrnehmungsfunktionen sind die überwiegende Anzahl dieser Methoden nicht evaluiert. Trotzdem werden gerade Programme, die die basalen Wahrnehmungsfunktionen fokussieren, angeboten und häufig eingesetzt. Solange kein Wirksamkeitsnachweis dieser Programme vorliegt, sollten sie nicht in der Förderung eingesetzt werden, da dadurch eventuell wichtige Zeit der Entwicklung ungenützt bleibt
Förderung auf der alphabetischen Entwicklungsstufe
Die überwiegende Anzahl der Evaluationstudien ist dominiert von dem Ziel, phonologische Bewusstheit zu fördern. Die Wirksamkeit dieses Ansatzes konnte in verschiedenen Sprachen eindrucksvoll belegt werden (Übersicht in Schulte-Körne 2001c). Die Kombination von phonologischen Trainings mit Methoden zur Förderung von Teilprozessen des Lesenlernens (wie z. B. der Buchstaben-Laut-Zuordnung) erscheinen am wirksamsten zur Verbesserung der Leseleistung zu sein. Allerdings ist die Wirksamkeit des Trainings phonologischer Bewusstheit im deutschen Sprachraum auf die erste bis Mitte der zweiten Klasse beschränkt. So fanden Wimmer und Hartl (1991) keinen Therapieeffekt eines Phonologietrainings zum Ende der zweiten Klasse.
Förderung auf der orthographischen Entwicklungsstufe
Dass ein Rechtschreibregeltraining erfolgreich sein kann, zeigen mehrere Therapiestudien. Müller (1969) und Reith & Weber (1973) konnten bei Dritt- und Viertklässlern durch ein gezieltes Rechtschreibregeltraining die Zahl der Regelfehler erheblich reduzieren. Scheerer-Neumann (1988) untersuchte den Einfluß eines verhaltenstherapeutisch orientierten Regeltrainings auf die Rechtschreibleistung von Hauptschülern der fünften und sechsten Klassenstufe. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe erreichte die Experimentalgruppe signifikant bessere Ergebnisse beim Schreiben von Wörtern einer Prüfliste. Auch Schulte-Körne und Mitarbeiter (1997, 1998, 2001) fanden einen bedeutsamen Therapieeffekt bei Einsatz eines Regeltrainings (Marburger Rechtschreibtraining) bei Zweit-, Dritt- und Viertklässlern. Neben der Vermittlung von Rechtschreibregeln lernten die Kinder neue Strategien und Handlungsanweisungen, um zur richtigen Verschriftlichung zu gelangen. Dieses Programm war sowohl im Einzeltraining als auch im Förderunterricht und im Elterntraining wirksam.
Reuter-Liehr (1993) zeigte bei Fünft- und Sechstklässlern, dass eine Kombination aus Regeltraining und "Syllabierendem Mitsprechen" zu einer bedeutsamen Verbesserung der Rechtschreibfähigkeit führte. Auch Tacke und Mitarbeiter (1993) fanden anhand der Methode des Syllabierenden Mitsprechens eine deutliche Reduktion von Rechtschreibfehlern bei Drittklässlern.
Erwartungsgemäß sind Trainingsprogramme, die auf der Vermittlung von Rechtschreibregeln beruhen, erst ab Ende der 2. Klasse sinnvoll durchzuführen. So fand Dumke (1979) nur für einen Teil der trainierten Regeln Effekte. Ein Ergebnis, das möglicherweise durch das Alter der Kinder (zweite Klasse) erklärbar ist.
In praktisch allen Therapiestudien wurde das Training außerschulisch, d.h. nicht von den Lehrern, durchgeführt. Es liegen bisher kaum Studien vor, die die Anwendbarkeit eines Trainingsprogramms im schulischen Setting untersuchen oder schulische und außerschulische Fördermaßnahmen in ihrer Effektivität vergleichen (Tacke et al. 1987).
Tacke et al. (1987) verglichen in ihrer Studie den konventionellen Förderunterricht mit 2 Varianten eines Regeltrainings bei rechtschreibschwachen Hauptschülern der 5. Klasse. Förderunterricht und Training wurden von den Lehrern durchgeführt. Die Trainingsgruppen zeigten nach einem Jahr gegenüber der Kontrollgruppe (Fördergruppe) keine signifikant verbesserte Rechtschreibleistung. Die Autoren stellten außerdem fest, daß die Motivation zur Mitarbeit bei den Trainingsgruppen (im Gegensatz zur Förderunterrichtsgruppe) extrem gesunken war. Dies zeigt, dass eine didaktisch und graphisch ansprechende Umsetzung des Trainings von entscheidender Bedeutung ist; die eigentliche Fragestellung der Studie bleibt aufgrund dieses offensichtlichen Motivationsdefizites der Schüler leider unbeantwortet.
Förderung durch Eltern
In mehreren empirischen Arbeiten konnte gezeigt werden, dass Eltern in der Lage sind, ihr Kind adäquat zu fördern. Bushell et al. (1982) und Fry (1977) untersuchten den Therapieeffekt von verschiedenen Programmen zur Förderung der Lesefähigkeit, die Eltern mit ihren leseschwachen Kinder durchführten. Alle Kinder profitierten von dem Üben mit ihren Eltern hinsichtlich der Lesegenauigkeit und dem Leseverständnis. Thurston und Dasta (1990) konnten zeigen, dass Eltern ihre Kinder anhand eines Lernprogrammes sowohl im Lesen als auch im Rechnen und in der Rechtschreibung erfolgreich fördern konnten und dass sich die Lerneffekte ebenfalls in der schulischen Leistungsüberprüfung zeigten. Für die deutsche Schriftsprache fanden Schulte-Körne et al. (1997, 1998), dass Eltern unter systematischer und regelmäßiger Anleitung in der Lage sind, die Rechtschreibleistung ihres Kindes zu verbessern. Ein weiterer wesentlicher Befund dieser Untersuchungen war, dass sich durch das Eltern-Kind-Training die Interaktion positiv verändert hatte und das Selbstwertgefühl der Kinder signifikant verbessert wurde.
Bei der Legasthenie treten eine Reihe von zusätzlichen Störungen auf. Zu den häufigsten gehören die hyperkinetischen Störungen, Störungen des Sozialverhaltens, Emotionalstörungen und depressive Episoden. Das Vorliegen solcher Störungen beeinflusst zentral die ganze Konzeption von Förderung und Behandlung bei der Legasthenie. Wenn zum Beispiel bei einem legasthenen Kinder zusätzlich Probleme in der Aufmerksamkeit oder hyperaktives Verhalten und eine impulsive Verhaltenssteuerung vorliegen, ist die Behandlung dieser Problematik ebenso wichtig wie die Behandlung der Lese- und Rechtschreibstö-rung. Für die Behandlung der Legasthenie müssen die Voraussetzungen in diesem Fall erst geschaffen werden. Erst wenn die Aufmerksamkeit ausreichend vorhanden ist und das Kind zumindest für eine umschriebene Zeitspanne ruhig sitzen kann, ist die Förderung im Lesen und Rechtschreiben sinnvoll möglich.
Das Vorliegen solcher Störungen bei einer Legasthenie erfordern die spezifischen Behandlungsmethoden der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (Remschmidt 1997).
Legasthenie - Beratung und Recht
Beratung bei Legasthenie wird von verschiedenen Berufsgruppen und Institutionen angeboten. In psychologischen Beratungsstellen und Erziehungsberatungsstellen, die Aufgaben der freien Jugendhilfe übernehmen, wird auch Beratung bei Legasthenie durchgeführt. Allerdings wird in diesen Einrichtungen nicht immer auch die Diagnostik der Legasthenie durchgeführt.
Beratung wird auch vom zuständigen schulpsychologischen Dienst angeboten. Allerdings sind die Zuständigkeitsbereiche der einzelnen Dienste z. T. so groß, dass die Kapazitäten für eine individuelle Beratung oft nicht ausreichend sind.
Beratung wird des weiteren auch von der öffentlichen Jugendhilfe (Jugendamt) angeboten.
Ein sehr großen Anteil der Beratungsarbeit übernehmen Elternselbsthilfegruppen. Der überwiegende Teil dieser Selbsthilfegruppen ist in den Landesverbänden der einzelnen Bundesländer organisiert. Die Landesverbände sind wiederum im Bundesverband Legasthenie (BVL) zusammengefasst. Die Beratung wird hier von Eltern übernommen, die häufig selbst ein legasthenes Kind haben. Durch Zusammenschluss mehrerer Eltern kann eine örtliche Selbsthilfegruppe gegründet werden, die regelmäßig Elternabende anbietet. Diese Abende dienen dem gegenseitigen Austausch, der Beratung beim Umgang mit Schulen, dem Austausch von Empfehlungen zu Förderangeboten und Hilfen bei der Umsetzung sozialrechtlicher Ansprüche. Die Arbeit der Eltern ist ehrenamtlich.
Beratung wird auch bei den Einrichtungen angeboten, die die Diagnostik durchführen. Hierzu zählen die Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, psychologische Praxen und private Anbieter, die ihr diagnostisches Angebot mit einer Therapieempfehlung verbinden. Der "Markt" der freien, privaten Anbieter ist sehr unterschiedlich. Verschiedene Berufsgruppen, wie z. B. Ergotherapeuten, Lehrer, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen oder Logopäden bieten hier ihre Dienste an.
Die Finanzierung der Förderung eines legasthenen Kindes stellt Eltern oft vor große Probleme. Die Annahme, dass die Verankerung der Lese-Rechtschreibstörung im ICD-10 auch dazu führt, dass die Behandlung der Legasthenie als kassenärztliche Leistung anerkannt wird, wird oft nicht bestätigt. Die Krankenversicherungen lehnen die Bitte zur Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass gemäß der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Lese-Rechtschreibstörung nicht zu den Krankheiten zählt.
Daher wenden sich viele Eltern an die Jugendhilfe und stellen dort Anträge auf Kostenübernahme. Allerdings stellt die in den letzten Jahren deutlich gestiegene Anzahl von Anträgen auf Eingliederungshilfe eine Herausforderung für die öffentliche Jugendhilfe dar. Die Jugendhilfe ist gemäß des Kinderjugendhilfegesetzes (KJHG) durch eine Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierung und eine Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen gekennzeichnet. Die Leistungen der Jugendhilfe werden von Trägern der freien Jugendhilfe (z. B. Erziehungsberatungsstellen) und von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe (Jugendamt) erbracht. Die nachfolgend beschriebenen Leistungsverpflichtungen richten sich an den Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Zu den Formen der für die Legasthenieförderung relevanten Aufgaben gehören die Hilfen zur Erziehung (§ 27 SGB VIII) und die Eingliederungshilfe (§35a SGB VIII, IX). Ob seitens der Jugendhilfe Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Erziehung gewährt wird, ist in der Praxis umstritten. Häufig wird nach §35a Eingliederungshilfe gewährt.
§ 35a SGB VIII Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche:
(1) Kinder und Jugendliche, die seelisch behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, haben Anspruch auf Eingliederungshilfe. Die Hilfe wird nach Bedarf im Einzelfall
- in ambulanter Form,
- in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
- durch geeignete Pflegepersonen und
- in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.
Der Bundestag hat am 6. April 2001 das "Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" verabschiedet. In Artikel 8 Nr. 1 SGB IX wurde der § 35a SGB VIII neu gefasst bzw. dem vereinheitlichten Behinderungsbegriff angepasst. Die Anspruchsvoraussetzungen wurden systematisch in zwei Teile zerlegt, wodurch die Aufgabenverteilung zwischen dem Arzt einerseits und den Jugendamtsfachkräften andererseits nochmals deutlicher wird. Absatz 1 des § 35a SGB VIII lautet nunmehr:
"Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist."
Für Aufgaben und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie die Art der Maßnahmen gelten §39 Abs. 3 und $ 40 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) sowie die Verordnungen nach 47 des BSHG, soweit die einzelnen Vorschriften auf seelisch Behinderte Anwendung finden. Nachfolgend wird der nach §39 definierte Personenkreis dargestellt.
§ 39 BSHG Personenkreis und Aufgabe
(1) Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, ist Eingliederungshilfe zu gewähren. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung kann sie gewährt werden.
(2) Den Behinderten stehen die von einer Behinderung Bedrohten gleich. Dies gilt bei Personen, bei denen Maßnahmen der in den §§ 36 und 37 genannten Art erforderlich sind, nur, wenn bei Nichtdurchführung dieser Maßnahmen eine Behinderung einzutreten droht.
(3) Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört vor allem, den Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder ihn soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen.
(4) Eingliederungshilfe wird gewährt, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, vor allem nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.
Unter der Voraussetzung der Erweiterung des Katalogs der Verordnung §3 des § 47 BSHG auf die im ICD-10 genannten Störungen gehören die Entwicklungsstörungen zu den psychischen Erkrankungen, die zu einer seelischen Behinderung führen können. D. h. aber auch, dass die Lese-Rechtschreibstörung an sich noch keine seelische Behinderung darstellen muss, jedoch zu einer seelischen Behinderung führen kann.
Die Lese-Rechtschreibstörung wird zu einer drohenden oder bestehenden seelischen Behinderung in dem Moment, in dem aufgrund dieser Störung die gesellschaftliche Integration gefährdet ist.
Jedoch sind mit § 3 der Verordnung nur die schon seelisch Behinderten beschrieben. Da jedoch nach dem KJHG Eingliederungshilfe für die Gruppe der von einer seelischen Behinderung Bedrohten und für seelisch nicht wesentlich Behinderte gewährt, müssen auch diese Gruppen definiert werden.
Von einer Behinderung bedroht sind nach § 5 Eingliederungshilfe die Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Die Lese-Rechtschreibstörung wird zu einer drohenden oder bestehenden seelischen Behinderung in dem Moment, in dem aufgrund dieser Störung die gesellschaftliche Integration gefährdet ist.
Faktoren, die die gesellschaftliche Integration negativ beeinflussen können, sind Risikofaktoren. Risikofaktoren für die Lese-Rechtschreibstörung wurden aus der Forschungsliteratur gewonnen. Die Bedeutung der einzelnen Risikofaktoren können für jedes Kind unterschiedlich sein, teilweise können auch mehrere Risikofaktoren additiv wirken. Hierzu zählen der Schweregrad der Störung, der Verlauf der Störung (chronisch), die zusätzlichen Erkrankungen und das soziale und familiäre Umfeld.
Zum Begriff Behinderung
Das KJHG verpflichtet im § 35 a die Jugendhilfe, Hilfe für seelisch Behinderte bzw. von einer Behinderung bedrohte zu gewähren.
Der Begriff der seelischen Behinderung wird in einer Stellungnahme der Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 1995 wie folgt definiert:
"Die seelische Behinderung oder drohende seelische Behinderung ist eine durch intensive, auch längerfristige ambulante, teilstationäre und/oder stationäre medizinische, insbesondere kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung nicht vollständig behebbare Beeinträchtigung des seelischen Befindens, der familiären, sozialen, vorschulischen, schulischen und beruflichen Integration ... Infolge einer seelischen Erkrankung drohen oder bleiben Beeinträchtigungen der altersadäquaten sozialen Beziehungs- und Orientierungsfähigkeit bzw. der begabungsadäquaten Leistungsfähigkeit in einem Ausmaß bestehen, dass die Teilnahme am Leben der Gesellschaft wesentlich bedroht oder beeinträchtigt ist." (Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters in der Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatie 23, 219 - 222, 1995).
Die Feststellung einer seelischen oder drohenden seelischen Behinderung ist ohne medizinisch qualifizierte Fachkompetenz hierfür nicht möglich.
Im Kommentar zum KJHG weist Münder auf den pädagogischen Aspekt der Behinderung hin (J. Münder, Frankfurter Lehr- und Praxiskommentar zum KJHG): "Als behindert i. S. der Behinderten- oder Sonderpädagogik werden Kinder- und Jugendliche angesehen, die in ihrem Lernen, im sozialen Verhalten, in der sprachlichen Kommunikation oder in den psychomotorischen Fähigkeiten längerfristig und dauerhaft so weit beeinträchtigt sind, dass ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft wesentlich erschwert ist und sie deshalb besonderer pädagogischer Förderung bedürfen.
Als seelisch behindert gelten Kinder und Jugendliche, bei denen infolge psychischer Belastungen und Besonderheiten die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben (z. B. in sozialer, schulischer, beruflicher Hinsicht) beeinträchtigt ist.
Behinderung ist im Sinne des KJHG ein sozialrechtlicher Begriff, der es erlaubt, Personenkreise zu definieren, die auf Eingliederungshilfe Anrecht haben."
Nach § 35a kann Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche oder von einer solchen Behinderung Bedrohten gewährt werden. Die Anwendung des Paragraphen 35a setzt folglich eine Bestimmung des Personenkreises voraus , auf den § 35a angewendet werden kann. Für die Bestimmung dieses Personenkreises wird auf den § 47 des BSHG §3 verwiesen.
Jedoch sind mit dem § 3 der Verordnung nur die seelisch Behinderten beschrieben. Da jedoch nach dem KJHG Eingliederungshilfe für die Gruppe der von einer seelischen Behinderung Bedrohten und für seelisch nicht wesentlich Behinderte gewährt, muss auch diese Gruppen definiert werden.
§ 3 Seelisch wesentlich Behinderte.
Seelisch wesentlich behindert im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes sind Personen, bei denen infolge seelischer Störungen die Fähigkeit zur Eingliederung in erheblichem Umfang beeinträchtigt ist. Seelische Störungen, die eine Behinderung im Sinne des Satzes 1 zur Folge haben können, sind
1. körperlich nicht begründbare Psychosen,
2. seelische Störungen als Folge von Krankheiten oder Verletzungen des Gehirns, von Anfallsleiden oder von anderen Krankheiten oder körperlichen Beeinträchtigungen,
3. Suchtkrankheiten,
4. Neurosen und Persönlichkeitsstörungen.
Die in Paragraph 3 der Verordnung genannten Störungen entstammen einem Störungskatalog aus den 60er Jahren, der längst nicht mehr dem heutigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Die Weiterentwicklung der diagnostischen Ordnungssysteme und neue wissenschaftliche Erkenntnisse über Ursachen, Verlauf und Therapie einzelner Störungen bleiben unberücksichtigt. Daher sollte heute das von der WHO vertretene Werk, das Internationale Klassifikationsschema psychischer Störungen (ICD-10) die Grundlage für die Beschreibung des Personenkreises bilden. Insbesondere für den Bereich psychischer Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt das ICD-10 Entwicklungsaspekte angemessen.
Die Verordnung nennt psychische Erkrankungen als Voraussetzungen für die seelische Behinderung bzw. für die drohende seelische Behinderung.
Daher ist zu klären, ob Legasthenie eine seelische bzw. drohende seelische Behinderung darstellt. Dies kann nur durch entsprechende Fachgutachten erfolgen. Gutachter sind überwiegend Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
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- Klicpera, C., Schabmann, A., Gasteiger-Klicpera, B. (2003) Legasthenie. Ernst Reinhardt, MünchenEin sehr gelungenes Buch, dessen zentrale Aussagen trotz zahlreicher Details klar herausgearbeitet werden. Empfehlenswert für Eltern wie für Lehrer.
- Schulte-Körne, G. (2001). Lese-Rechtschreibstörung und Sprachwahrnehmung - Psychometrische und neurophysiologische Untersuchungen zur Legasthenie. Waxman, Münster Ein wissenschaftliches Buch zu Fragen der Grundlagenforschung. Umfangreiche Darstellungen im Literaturteil zur phonologischen Bewusstheit und Sprachwahrnehmung bei der Legasthenie.
- Schulte-Körne, G. (Hrsg.) (2001). Legasthenie: erkennen, verstehen, fördern. Dr. Winkler, Bochum. Aktuelle übersichten zu allen relevanten Thema, Diagnostik, Ursachen, Förderung und Therapie bei der Legasthenie. Auch für interessierte Eltern geeignet.
- Schulte-Körne, G. (Hrsg.) (2002). Legasthenie: Zum aktuellen Stand der Ursachenforschung, der diagnostischen Methoden und der Förderkonzepte. Dr. Winkler, Bochum Ausführliche Darstellungen der führenden Wissenschaftler Deutschlands.
- v. Suchodoletz, W. (2003) Therapie der Lese-Rechtschreibstörung, Kohlhammer, Stuttgart Sehr gute Analyse der vielen Therapieangebote und umfangreiche Analysen auch zu den nicht wirksamen Therapien. Sehr empfehlenswert.
Rechtschreibtraining
- Schulte-Körne G, Mathwig F. (2001). Das Marburger Rechtschreibtraining. Ein regelgeleitetes Förderprogramm für rechtschreibschwache Schüler. Dr. Winkler, Bochum (Siehe auch hier)
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Schulische Förderung und Einzelförderung auf der alphabetischer und orthographische Stufe des Schriftspracherwerbs
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